Ob spazieren, Radfahren oder den Berg hinaufschnaufen: Sport macht nicht nur fit – er wirkt auch auf das menschliche Gehirn und die Psyche. Körperliche Aktivität fördert Lernprozesse, steigert das emotionale Wohlbefinden und kann sogar depressive Symptome signifikant reduzieren. In einigen Fällen ist die Wirkung mit einer medikamentösen Therapie vergleichbar, insbesondere bei leichten bis mittelschweren Depressionen. Bewegung und Sport gewinnen aber auch in der Prävention psychischer Erkrankungen an Bedeutung. Zahlreiche Studien zeigen den Effekt auf persönliche Ressourcen, wie etwa das Selbstwert- oder Körpergefühl. Im Interview spricht die Sportpsychiaterin Univ.-Prof.in Dr.in Katharina Hüfner über das präventive und therapeutische Potenzial von Sport – und wie Patienten in Bewegung gebracht werden können.
KURIER: Was bedeutet Sportpsychiatrie genau?
Univ.-Prof. Katharina Hüfner: Sie umfasst zwei große Bereiche – einerseits die psychische Gesundheit von Leistungssportlern und zum anderen die Rolle von Sport und Bewegung in der Vorbeugung und Behandlung psychischer Erkrankungen.
Welche Art von Bewegung sollte bei psychischen Erkrankungen eingesetzt werden?
Jede Art von Bewegung kann zur Prävention und Therapie psychischer Erkrankungen eingesetzt werden. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt 150 Minuten körperliche Aktivität pro Woche als Minimum. Darunter fällt aber jegliche Bewegung, also nicht nur das, was wir klassischerweise als Sport verstehen. Es zählt auch, wenn jemand zu Fuß in die Arbeit geht oder Gartenarbeit macht. Wichtig ist dass eine gewisse Intensität erreicht wird, also der Puls steigt und man schneller atmet.
Ist Sport in der Natur besser?
Beim Outdoor-Sport addieren sich die positiven Effekte von Bewegung mit jenen der Natur. Weil mittlerweile bekannt ist, dass der Aufenthalt draußen, im Grünen und in natürlicher Umgebung den Stresslevel reduziert.
Sprechen bestimmte psychische Störungsbilder besonders auf körperliche Aktivität an?
Den besten wissenschaftlichen Nachweis gibt es für Angststörungen, Depression, Störungen der Hirnleistung und in weiterer Ausprägung für Demenzerkrankungen. Das heißt aber nicht, dass sie nicht bei anderen Erkrankungen ebenfalls wirksam ist. Bewegung hilft wahrscheinlich auch bei den meisten anderen psychischen Erkrankungen gegen verschiedene Symptome, etwa bei Schizophrenie, Persönlichkeitsstörungen und bei Abhängigkeitserkrankungen. Einzige Ausnahme: Essstörungen. Da ist es ein bisschen anders, weil es hier um Menschen geht, die sich meist zu viel bewegen, vor allem Anorexie-PatientInnen. Da ist Sport erst ab einer gewissen körperlichen Stabilisierung ratsam, vorrangig ist hier, zwanghafte Bewegung in eine gesunde zu überführen.
Gibt es eine Sportart, die die Psyche besonders stark beeinflusst?
Grundsätzlich ist jede Art von Ausdauertraining zu empfehlen und neben den 150 Minuten Bewegung wöchentlich zwei Mal pro Woche muskelkräftigende Übungen. Welche Sportarten besonders effektiv sind, ist noch nicht eindeutig belegt.
Zumal Bewegungsvorlieben individuell sind.
Genau. Das Wichtigste daran ist, dass überhaupt irgendeine Form von Bewegung oder Sport stattfindet. Das größte Problem ist ja, dass die Menschen zwar wissen, wie hilfreich Bewegung und Sport bei ihrer Erkrankung wären, aber trotzdem nichts machen. Wenn sie eine Sportart finden können, die ihnen Spaß macht, dann ist das für sie garantiert die beste, weil sie dann auch durchgeführt wird.
Motivation, wichtiger Punkt. Gerade Menschen mit Depressionen schaffen es oft nicht, sich zu bewegen, weil es sie überfordert.
Das ist das Problem. Hier wäre es wichtig, dass da begleitet wird und dass man nicht einfach sagt: Bewegen Sie sich mehr. Auch bei Angstpatienten ist das oft schwierig – weil die körperlichen Effekte der sportlichen Aktivität einer Panikattacke ähneln: Herzrasen, Schwitzen, schnelles Atmen, rascher Puls. Ein Angstpatient kann schwer allein beginnen, Sport zu machen. Das wäre für ihn schrecklich. Diese Menschen brauchen Anleitung und Unterstützung, dann können sie das lernen. Die weltweite Initiative „Exercise is Medicine“ an der wir in Tirol auch teilnehmen, versucht Bewegung als „verschreibbares Medikament“ zu installieren, um genau solche Programme finanzierbar und besser umsetzbar zu machen.
In welchem Setting ist das möglich – wäre das etwa bei einer psychosozialen Reha der Fall? Und was kommt danach, im Alltag?
Die meisten Rehas inkludieren Bewegungsprogramme. Bedauerlicherweise ist es meist so, dass Bewegung das einzige „Medikament“ ist, das abgesetzt wird, wenn der Patient nach Hause geht. Wenn Sport und Bewegung fixe Bausteine des therapeutischen oder rehabilitativen Prozesses sind, schaffen das viele. Aber das anschließend in den Alltag und ins Leben mitzunehmen, ist für viele Menschen oft schwierig. Da fehlt es leider an adäquaten Angeboten.
Thema Prävention: Gibt es wissenschaftliche Evidenz, dass Bewegung in Bezug auf psychische Erkrankungen vorbeugend wirkt?
Da gibt es sehr gute Daten. Für Angsterkrankungen, Depressionen und kognitive Defizite inklusive Alzheimerdemenz sind Bewegung und Sport nicht nur in der Therapie bedeutend, sondern auch in der Prävention. Jede Minute Bewegung, die ein Mensch im Laufe seines Lebens macht, ist hilfreich.
Welche Rolle spielt denn das Thema Resilienz in Studien zur Sportpsychiatrie?
Im Prinzip ist Resilienz das Gegenstück zu einer Erkrankung. Das heißt aber nicht, dass Menschen, die besonders resilient sind, niemals krank werden. Aber es handelt sich um eine Eigenschaft, die jedem hilft, schneller wieder gesund zu werden oder im Idealfall gar nicht zu erkranken. Resilienz lässt sich allerdings aufbauen: Und da kann Sport und vor allen Dingen Naturerleben viel bewirken. Dabei geht es nicht nur um die Bewegung per se, sondern auch um die sozialen Kontakte, die die Resilienz fördern.
Sie sind begeisterte Bergsportlerin. Beeinflusst Bewegung im Gebirge die Psyche besonders?
Ob Bewegung in den Bergen besser wirkt als jene am Meer, lässt sich nicht sagen. Was man aber schon weiß ist, dass so genannte „Green and Blue Spaces“ positiv auf die psychische Gesundheit wirken. Natur, egal, ob im Wald, auf dem Berg, am See oder am Meer.
Was bewirkt Bewegung in Hinblick auf stimmungsregulierende Neurotransmitter wie Dopamin oder Serotonin?
Da gibt es nicht diesen einen Mechanismus, der die psychische oder mentale Gesundheit fördert und mit dem bestimmte Symptome wieder verschwinden. Bei psychischen Erkrankungen sind viele Faktoren beteiligt – von der Genetik bis zu körperlichen Erkrankungen, Lernprozessen oder psychischen Traumata. Neurotransmitter spielen eine Rolle, genauso wie die Plastizität des Gehirns oder ein starkes Herz-Kreislaufsystem. Vom Dopamin weiß man, dass es hilft, zu motivieren, weil es eng mit dem Belohnungssystem zusammenhängt. Bergsteigen ist da ein gutes Beispiel: Wenn man da nach einer langen Tour den Gipfel erreicht und erfüllt ist von dem, was man sieht und geschafft hat, dann wird das Belohnungssystem aktiviert. Das führt natürlich dazu, dass man das gerne wiederholen möchte.
Beeinflusst Ihre Leidenschaft für den Bergsport Ihre wissenschaftliche Arbeit?
Auf jeden Fall. Wenn man sich ein Forschungsgebiet aussuchen kann, das einen interessiert, ist man mit mehr Begeisterung bei der Sache. Wenn ich selbst davon überzeugt bin, ist es einfacher, meine Patienten zu motivieren oder die positiven Effekte von Sport zu erklären. Und es ist auch einfacher, authentisch zu bleiben, wenn man sich selbst für Sport begeistert.
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