Geheim, loyal, wehrhaft: Die Geschichte der Drusen

Verstümmelte Leichen, geplünderte Häuser, immer wieder Gefechte – so beschreiben Reporter die Lage in der südsyrischen Stadt as Suwaida am vergangenen Wochenende. Tausende sunnitische Stammeskrieger hatten versucht, die Hochburg der syrischen Drusen zu stürmen, auch Teile der syrischen Regierungstruppen sollen in Gefechte gegen die Minderheit involviert gewesen sein.
Doch die Drusen rund um Milizenführer Hikmat Salman al-Hijri konnten ihre Stadt verteidigen – nicht zuletzt dank Hilfe aus Israel.
Es war beileibe nicht das erste Gefecht, das sich die Drusen mit ihren Feinden liefern mussten. Und es wird nicht das Letzte gewesen sein. Zu eigen, zu geheimnisvoll, ist diese Glaubensgemeinschaft, die sich um 1.000 nach Christus vom schiitischen Islam abgespalten hatte.

Libanon
Im konfessionell ausbalancierten System des Libanon ist die drusische Gemeinschaft formell gut vertreten: Sie stellt einen der Spitzenposten im Staat – den Vorsitzenden des Parlamentsausschusses für Justiz. Auch ihre religiöse Autonomie ist gesetzlich geschützt. Faktisch dominiert jedoch eine politische Elite unter Führung der Familie Dschumblatt die drusische Politik. Für viele junge Drusen bedeutet das: religiöse Freiheit ja, aber politische Teilhabe bleibt begrenzt auf wenige Clans und machtvolle Netzwerke. Im libanesischen Bürgerkrieg verfügten die Drusen über kleine, aber schlagkräftige Milizen.
Israel
Die Drusen in Israel genießen volle religiöse Freiheit und werden vom Staat offiziell als eigenständige Religionsgemeinschaft anerkannt. Politisch sind sie stärker integriert als andere arabische Minderheiten: Viele dienen in der Armee, einige bekleiden Parlaments- und Verwaltungspositionen. Ihr Einfluss im politischen System ist eher gering, doch sie genießen Anerkennung und werden oft als Brücke zwischen Israel und den Drusengemeinschaften in anderen Ländern, insbesondere in Syrien, gesehen. Dadurch – und auch aufgrund strategischer Überlegungen Israels – unterstützt das Land die syrischen Drusen stark.
Syrien
In Syrien leben die meisten Drusen im Süden, vor allem im Gouvernement as-Suwaida. Unter dem Assad-Regime wurden sie kaum verfolgt, arrangierten sich mit der Regierung – wenngleich es auch Strömungen gab, die Assad kritisch gegenüberstanden. Politisch war ihre Mitbestimmung stark eingeschränkt. Beim Sturz des Regimes schlossen sich einige drusische Verbände den islamistischen Rebellen an. Danach gründete sich aber ein Militärrat, um sich gegen radikale Islamisten in der neuen Regierung verteidigen zu können. Nicht zu Unrecht, wie die jüngsten Ereignisse zeigen. Für die syrischen Drusen geht es derzeit ums Überleben – und eine mögliche Autonomie in der Zukunft.

Das Drusentum entstand zur Zeit des Kalifen al-Hākim bi-amr Allāh. Unter seiner Herrschaft entwickelte sich eine radikal esoterische Strömung innerhalb des schiitischen Glaubens. Die Lehren wurden zwischen 1017 und 1043 durch anonyme Autoren in einer Reihe von Episteln formuliert, die das Fundament der drusischen Religion bilden. Besonders prägend war der persische Missionar Hamza ibn Alī, der als eigentlicher Gründer des Drusentums gilt.

Er definierte eine Lehre, die Monotheismus, Reinkarnationsglauben, ethische Selbstdisziplin und philosophischen Rationalismus miteinander verband. Nach al-Hākims mysteriösem Verschwinden im Jahr 1021 wurden die Drusen verfolgt, zogen sich in abgeschiedene Bergregionen des heutigen Libanon, Syriens und Israels zurück – und entwickelten eine geschlossene, stark identitätsbewusste Religionsgemeinschaft mit geheimen Lehren, klaren sozialen Grenzen und einem tief verwurzelten Loyalitätsprinzip gegenüber dem jeweiligen Staat.
Diese Haltung erklärt, warum Drusen oft als loyale Bürger gelten: ob in Israel oder im Libanon – sie stellen Soldaten, Beamte und politische Führer, ohne ihre religiöse Identität preiszugeben. Auch in Syrien war dies der Fall – seit dem Sturz Assads wird die neue Regierung jedoch kritisch gesehen (mehr dazu unten). Modernisierung nehmen die Drusen selektiv auf: Bildung wird hoch geschätzt, aber Heirat außerhalb der Gemeinschaft ist tabu. Ihre Lebensweise ist ein Balanceakt zwischen Tradition und Gegenwart – getragen von einem tiefen inneren Zusammenhalt und einem klaren ethischen Kompass.
Im Osmanischen Reich etwa lebten die Drusen offiziell als Muslime, praktizierten ihren Glauben aber geheim. In der frühen Neuzeit etablierten sie sich im Libanon als politische Kraft: Im 16. und 17. Jahrhundert unter Emir Fakhr ad-Dīn II. kontrollierten sie weite Teile des Berglibanon und pflegten sogar Beziehungen zu europäischen Mächten wie den Medici in Florenz. Nach seinem Sturz 1635 verloren die Drusen ihre Vorherrschaft, konnten sich jedoch in ihrem Siedlungsraum behaupten.
Das 19. Jahrhundert war geprägt von schweren Konflikten: Besonders blutig war der Drusen-Maroniten-Krieg 1860, bei dem konfessionelle Spannungen zwischen christlichen und drusischen Gemeinschaften im Libanon eskalierten.
Tausende starben, Frankreich intervenierte militärisch, das Osmanische Reich führte ein neues Verwaltungssystem ein – das „Mutasarrifiyyat“ von Beirut –, das den Einfluss der Drusen langfristig einschränkte. 1921 erlangten die syrischen Drusen in Suwaida einen autonomen Staat – freilich unter französischer Herrschaft. Auch das Verhältnis zu den Franzosen verlief nicht immer friktionsfrei – ein 1925 begonnener Aufstand wurde blutig niedergeschlagen. Doch ihre Wehrhaftigkeit verloren die Drusen nicht – bis heute.
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