"Der Leistungsdruck nimmt zu"

"Der Leistungsdruck nimmt zu"
Wie Jugendlichen und Kindern in akuten Krisensituationen geholfen werden kann.

Eine schwarze Fahne ist vor dem Badener Gymnasium auf Halbmast gesetzt. Eine Schule trauert um den Schüler, der sich hier am Donnerstag aus dem Fenster gestürzt hat. Der Bub, der drei Frühwarnungen hatte, sah offenbar keinen anderen Ausweg.

„Mein besonderes Mitgefühl gilt den Eltern“, sagt die Kinderpsychologin Claudia Rupp. Eltern, Mitschüler, Lehrer und Angehörige brauchen jetzt professionelle Hilfe. KURIER-Family-Coach Martina Leibovici-Mühlberger meint, „dass es jetzt auch darauf ankommt, wie die Schule damit umgeht. Erlebt man das tragische Ereignis als Gemeinschaft oder verdrängt man es? Nur, wenn die Schule das Geschehene als sozialer Körper aufarbeitet, bleibt kein Trauma zurück.“

Ursachenforschung Aber wie konnte es überhaupt so weit kommen? Leibovici-Mühlberger warnt vor vorschnellen Schuldzuweisungen. „Manche Kinder setzen sich selber so unter einen psychischen Druck und meinen, sie müssten mit schwierigen Situationen alleine fertig werden. Die einzige Lösung sehen sie im Suizid.“

Auch wenn es für den konkreten Fall keine Antworten gibt – einen Trend stellt Eva Mückstein, Präsidentin des Österreichischen Bundesverband für Psychotherapie fest: „Der Leistungsdruck auf Kinder in der Familie und in der Schule nimmt zu.“ Dies sei eine Folge unserer derzeitigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Situation: „Immer mehr Menschen haben einen Job in prekären Arbeitsverhältnissen und stehen unter großem Druck. Das wirkt sich natürlich auf die Familie aus, der Leistungsdruck wird auf die Kinder weitergegeben.“

Gute Ausbildung

Vielen Eltern sei bewusst, dass eine gute Ausbildung die Basis dafür ist, dass das Kind einmal einen gut bezahlten Beruf bekommt. „Sie haben Angst, das Kind hätte ohne Matura keine Zukunft. Das stimmt aber nicht. Denn gut ausgebildete Facharbeiter sind eher gesucht als mittelmäßige Akademiker.“

Eine Lösung wäre es, von den Schülern Druck wegzunehmen. Doch wie gelingt das? „Wir müssen jungen Menschen helfen, ein gesundes Selbstbewusstsein aufzubauen“, ist Mückstein überzeugt. „Sie brauchen selbstbewusste Erwachsene als Vorbilder. Diese Menschen besitzen die Fähigkeit, sich mit ihren Stärken und Begabungen wahrzunehmen.“ Genau das müssten Schule und Elternhaus vorleben und vermitteln. „In unseren Schulen konzentrieren wir uns leider viel zu sehr auf die Schwächen. Doch ein gesundes Selbstbewusstsein entsteht nur, wenn wir Begabungen der Kinder fördern und herausarbeiten. So ermutigen wir die Jugendlichen.“

Wenn ein Kind mit einem oder mehreren Fünfern nach Hause kommt „müssen es Eltern und Lehrer besonders fördern und versuchen, seinen Selbstwert zu bestärken. Strafen und noch mehr Druck sind in dieser Situation die falsche Antwort“, sagt Mückstein. Kinderpsychologin Rupp weiß,dass gerade im Jugendalter viele Herausforderungen zu meistern sind: „Es ist die Zeit des körperlichen und hormonellen Umbruchs. Schule und Eltern fordern Leistungen ein. Gleichzeitig müssen sich Jugendliche in ihrer Peergroup – unter den Gleichaltrigen – behaupten. Einige sind zum ersten Mal verliebt usw. Das alles wird für manche einfach zu viel.“

Prävention

In dieser schwierigen Situation können Eltern, Lehrer und vertraute Personen nur versuchen, den Jugendlichen Folgendes zu vermitteln: „Du kannst jederzeit zu mir kommen, wenn du Hilfe brauchst.“

Ganz besonders wichtig sei es, dass Kinder eine vertraute Person haben, wenn sie keinen Ausweg mehr wissen. Lehrer können dies in der Regel nicht sein. Deren Auftrag ist es nicht, Kinder psychologisch zu betreuen, sondern Stoff zu vermitteln und
Leistung einzufordern.

Rupps Vorschlag: „Muss ein Lehrer eine Frühwarnung aussprechen, sollte dies als Leistungsbeurteilung und nicht als Kritik an der Person des Schülers vermittelt werden. Ebenso wichtig wäre es, dass der Pädagoge dem Schüler vermittelt, was er tun kann, damit er das Schuljahr trotzdem positiv abschließt.“
Eine sinnvolle Maßnahme wäre auch, Suizidpräventionsprogramme an den Schulen anzubieten. Und zwar flächendeckend. „Jugendlichen sollte dabei bewusst gemacht werden, dass es auch in scheinbar ausweglosen Krisensituationen Ansprechpersonen und professionelle Hilfe gibt.“

Krisen-Anlaufstellen

Berufsverband Österreichischer PsychologInnen (BOEP)
Helpline 01/504 80 00, eMail: helpline@boep.or.at, Website: www.boep.at/hl/help.htm

Kriseninterventionszentrum
Beratung: 01 / 406 95 95 (Mo.–Fr. 10–17 Uhr) oder auf www.kriseninterventionszentrum.at

Rat auf Draht
Kostenfrei unter 147 (ohne Vorwahl, 0–24 Uhr) oder auf: http://rataufdraht.orf.at/beratung

Ambulatorium für Kinder- und Jugendpsychiatrie des SOS-Kinderdorfes Wien
01/ 27 10 340–0, eMail: ambulatorium.floritz@sos-kinderdorf.at

Sozialpsychiatrischen Notdienst in Wien 01/313 30

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