Blind durch die Stadt

Ein blinder Mann mit Armbinde und Stock betätigt einen Knopf an einem Ampelmast.
Wie Sehbehinderte sich zurechtfinden und was ihnen das Leben erschwert

Wolfgang Kremser ist Brillenträger. Nicht, weil er damit besser sieht – Kremser ist blind. Er braucht die Brille, um seine Augen vor ungeahnten Hindernissen zu schützen. Scharfkantige Straßenschilder, spitze Äste, Dinge, bei denen Sehende ganz natürlich ausweichen.

Wir treffen einander in Wien-Mitte – hier wimmelt es von Fußgängern, Fahrradfahrern, Autos und Bussen. Orientieren kann sich Kremser nur so selbstsicher, weil er die Wege auswendig gelernt hat. Mit seinem Blindenstock tastet er sein Umfeld ab, sein Gehör gibt ihm zusätzliche Orientierungshilfe. „Akustische Informationen sind nicht immer so eindeutig wie die optischen“, sagt Kremser und räumt mit einem Irrglauben auf: „Sehbehinderte hören nicht immer besser als Sehende. Mit dem Alter wird auch unser Gehör oft schlechter.“

Autobahn

Im Rahmen von Mobilitätstrainings lernen Blinde die Wege, die sie brauchen, auswendig. Die mit dem Stock ertastbaren Bodenleitsysteme sind dafür essenziell. „Ich muss wissen, wo die Leitsysteme hinführen, sonst sind sie so nutzlos wie eine Autobahn ohne Schilder.“ Nutzlos und sogar gefährlich sind die Leitlinien auch, wenn sie ins Leere führen (etwa zur Aufzugstür statt zum Rufknopf) oder gar zu einer entgegenkommenden Rolltreppe. An einem abgestellten Fahrrad oder an ein paar unachtsam bei einem Leitsystem aufgestellen Schanigarten-Sesseln kann sich nicht nur der Blindenstock verfangen. Blaue Flecken und Kratzer sind für Kremser keine Seltenheit.

Eine besondere Herausforderung sind Fahrten mit den Öffis. In Stationen, wo mehrere Straßenbahnen oder Busse stehen bleiben, muss ein Sehbehinderter stets nachfragen, ob er richtig unterwegs ist. In Wien gibt es mehr als 90 Haltestellen, für die man eine Fahrbahn kreuzen muss – ist die akustische Ampel falsch positioniert, läuft der Blinde Gefahr, plötzlich mitten auf der Kreuzung zu stehen.

Auch wenn Wolfgang Kremser nicht sehen kann, macht er auf schwierige Situationen für Blinde aufmerksam, indem er seinen Alltag filmt und online stellt.

Richtig helfen

„Man muss sich ständig konzentrieren, damit man im Verkehrslärm die Orientierung nicht verliert.“ Passiert das doch, sind Blinde auf die Hilfe von anderen angewiesen. „Bitte nicht wortlos zupacken, zerren oder zwicken“, sagt Kremser, der das alles schon erlebt hat. Ein ganz normales „Darf ich Ihnen helfen?“ oder „Brauchen Sie Hilfe?“ gibt einem Sehbehinderten die Möglichkeit, zu entscheiden. „Manchmal will man gerade selbst etwas schaffen – da darf niemand böse sein, wenn man die Hilfe ablehnt.“ Helfer sollten auch Zeit zum Helfen haben: „Bitte nicht über die Straße führen und mitten auf der Straße stehen lassen, weil gerade der Bus kommt.“ Ansonsten ist einem Blinden am besten geholfen, wenn er sich am Ellbogen des Helfers festhält und über die Straße oder zum Ziel führen lässt.

Für die Verabschiedung gelten ganz normale Umgangstöne: „Es ist okay, zu einem Blinden Auf Wiedersehen zu sagen.“

Als Sehender im Dunkeln tappen

Wer als Sehender übrigens einmal ausprobieren möchte, wie es sich anfühlt, sich in der Welt von Sehbehinderten zurecht zu finden, kann dies beim "Dialog im Dunkeln" oder beim "Dinner im Dunkeln" erfahren, und bei "Blinder Passagier 2013" wird eine Erlebnisreise der anderen Art angeboten. Nachzulesen gibt es hier außerdem einen Erfahrungsbericht über "Theater ohne Licht".

Delfine tun es, Fledermäuse tun es und Menschen können es auch. Der blinde Daniel Kish hat die Klicksonar-Technik in den USA populär gemacht und auch hierzulande findet sie immer mehr Anhänger. Dabei wird mittels eines Zungen-Klicks ein Schall ausgesandt – das zurückfallende Echo hilft dabei die Position, die Dichte und teilweise auch die Größe von Gegenständen in der Umgebung wahrzunehmen.

Mit seiner Organisation „World Access for the Blind“ hat Kish inzwischen mehr als 1000 Blinde in der Nutzung der Echoortung trainiert. Die Technik verhilft sehbehinderten Menschen sogar dazu, Ski oder Rad zu fahren. Voraussetzung für ihren Einsatz ist ein gutes Gehör – laute Umgebungsgeräusche erschweren die Orientierung. Inzwischen werden in Österreich alle Frühförderer und Mobilitätstrainer für Blinde durch das Bundes-Blindenerziehungs- institut und den Verein „Contrast“ in die Technik eingewiesen und geben die Methode an blinde Kinder und Erwachsene weiter.


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