Waldviertler Wende
Der Teppich aus Wiesen, Feldern und Wald wird nur an wenigen Stellen von alten Gehöften durchbrochen. Wir fahren durch Kleingloms, Rottenbach, Hirschbach, Kirchberg am Walde. Die Dörfer gleichen einander: Die Fassaden der kleinen Häuser aus den 60er-Jahren blättern ab, die Straßen sind menschenleer, ab und zu säumt ein "Nah & Frisch" die Straßen. In Weißenalbern 8 im Bezirk Gmünd, unweit der tschechischen Grenze, liegt unser Ziel.
Das Waldviertel stirbt aus, heißt es. Die Abwanderung ist hoch, die Arbeitslosenrate in manchen Regionen auch. In Gmünd lag sie im Dezember bei 13,5 Prozent. Die hiesige Textilindustrie hat in den vergangenen Jahren Konkurse eingefahren. Viele Einwohner pendeln aus Jobmangel nach Krems, St. Pölten, Linz und Wien. Dieses Eck, das sich nordwestlich von Wien bis zur tschechischen Grenze erstreckt, ist verlassenes Land, vergessen von der Welt.
Oder doch nicht. Baubranche und Holzwirtschaft sind wichtige Arbeitgeber in der Region. Der sanfte Tourismus wächst beständig. Auch übernehmen die Jungen die Ruder in den Traditionsunternehmen. Wie Klaus Ramharter, der in Weißenalbern 8 soeben die 117 Jahre alte Schlosserei von Vater Walter übernommen hat und gerade die Betriebserweiterung plant. "Das Waldviertel hat seine Reize, viele Junge kommen nach ihrer Ausbildung wieder zurück", sagt der 25-jährige Ingenieur. Auch wenn Jobs rar sind, "Handwerkerjobs gibt es schon." Die Schlosserei hat sich auf Geländer spezialisiert, arbeitet mit modernsten Schweißgeräten, setzte früh auf trendigen Nirostastahl. Zurzeit wird an einem großen Auftrag, 330 Meter Geländer für einen Wohnbau in Gmünd, gewerkt. Zwei Drittel der Kundschaft kommen aus der Region, der Rest aus dem Großraum Wien. Ramharter schweißt für Elk Haus, Swietelsky, Kastner und Leyrer +Graf, die Hälfte der Kunden sind Häuslbauer. Klaus Ramharter will mittelfristig drei Mitarbeiter aufnehmen. Die Lehrlingssuche sei wegen der Lage weit schwieriger: "Kein Bus fährt hierher."
Gemeinsam stärker
Und die Tischlerei Höllerer. Sie liegt in St. Leonhard am Hornerwald, abseits vom Zentrum. Hier gibt es eine Kirche, ein Handwerksmuseum und immerhin sieben Gasthäuser für 1250 Einwohner. Franz Höllerer Senior hat seinen Betrieb seit 2010 um eine Million Euro auf 4800 Quadratmeter erweitert, "für später, für den Junior". Schon vor 30 Jahren streckte er seine Antennen nach Wien aus. Und fand in historischen Gebäuden eine Nische: Für das Otto-Wagner-Spital produzierte er Brandschutztüren aus Esche, für die TU Wien und das Schloss Schönbrunn Kastenfenster. In der Holzbauregion könne man sich nur "mit Nische und Qualität" durchsetzen, sagt er.
Der Senior träumt immer noch von einer Waldviertler Autobahn, denn die Hälfte der Aufträge ergattert er in Wien und Umgebung, eine Stunde braucht er bis zur Stadtgrenze. Mit heute 30 Mitarbeitern sei man langsam und kontinuierlich gewachsen, 60 Lehrlinge hat er bisher ausgebildet, zwei sind es pro Jahr, " die besten Fachkräfte für uns." Im Waldviertel finde man noch gute, ehrliche Arbeiter, sagt der Senior. Der Junior, 33, ist künftiger Chef. Er möchte nirgendwo anders leben: "Hier ist alles, was man braucht."
Dann geht es Richtung Tautendorf, nach Untertautendorferamt immer tiefer in den Wald hinein. Hier geben Internet und Handy endgültig auf. Mitten auf einer Lichtung, beim elterlichen Haus, haben Erwin Steiner, 35, und sein Bruder Manfred Reidinger, 28, das Handwerk ihres Ururgroßvaters wiederbelebt, sich mit ihrer Zimmerei "WaldHolzBauen" vor fünf Jahren selbstständig gemacht. Mit inzwischen zwölf Mitarbeitern. Die Aufträge kämen oftmals über Empfehlungen, wie am Land üblich. Mit einem benachbarten Dachdecker-Spengler habe man einen starken Partner. "WaldHolzBauen" will anders sein als die Zimmerer in der Region, sagt Steiner: "Wir arbeiten mit einem Architekten zusammen, setzen auf eine öko-biologische Bauweise." Hochbett und Dachstuhl baut man bis vor die Tore Wiens. Steiner hat noch viel vor, seine Vision ist ein Schaudorf am Grundstück – ein Blockhaus steht bereits.
Im Waldviertel ticken die Uhren anders, heißt es. In Zeiten der Hochkonjunktur wird es als Letztes, in Zeiten der Krise als Erstes erfasst. Die Region gilt als benachteiligt – vor 1989, weil die Grenze dicht war, seither, weil sie offen ist. Fährt man heute durchs Waldviertel, sieht man wunderschöne Landschaft. Aber auch verlassene Dörfer ohne Postamt, ohne Greißler, ohne Wirt. Die Menschen fehlen, die Jungen finden zu wenige Ausbildungsmöglichkeiten, ziehen fort, weil die Perspektive fehlt.
Aber jede Bewegung hat ihren Gegentrend. Rebellen wie Schuhproduzent Heini Staudinger (GEA) oder Kräuterhändler Johannes Gutmann (Sonnentor) sind just von hier aus erfolgreich. Sie verkaufen weit über das Waldviertel hinaus, weil es heute egal ist, wo das Büro steht. Sie produzieren in der Region und schaffen damit Wertschöpfung und eine neue Aufbruchstimmung. Die Botschaft: Im Waldviertel geht was, hier kann man etwas schaffen, hier ist gutes Leben möglich.
Bei einer Rundfahrt durch das Waldviertel haben auffallend viele junge Unternehmer, oft aus Familienbetrieben und tief in der Region verwurzelt, diesen frischen Optimismus. Sie finden ihre Nischen und machen mit Holz und regionalen Produkten gute Geschäfte. Sie nützen, was es hier gibt – das Know-how, die Rohstoffe, das Handwerk. Ein bisschen erinnert das ans Silicon Valley. Dort ist auch nichts, nur Wüste. Aber von dort kommen Innovationen, die die Welt verändern.
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