Streit um Sozial-Beiträge: Wertschöpfungsabgabe 0.0

Der Wunsch von Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) nach neuen Geldquellen zur Finanzierung der Sozialsysteme wird wohl noch geraume Zeit ein frommer Wunsch bleiben. Die Wertschöpfungsabgabe, die Hundstorfer vorschwebt – der KURIER berichtete – stößt in der Wirtschaft und beim Koalitionspartner auf vehementen Widerstand.
Für Wirtschaftsminister und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner kommt sie jedenfalls nicht in Frage: "Die Wertschöpfungsabgabe ist für uns absolut kein Thema, weil sie wirtschafts- und standortschädlich wäre. Das würde letztlich viele Arbeitsplätze in Österreich kosten."
Industrie 4.0
Die Industrie lehnt den Vorstoß ebenfalls strikt ab. Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung: "Das ist eine Undiskussion zur Unzeit." Die IV gehe davon aus, dass die Digitalisierung und Vernetzung der Produktion – Stichwort Industrie 4.0 – zusätzliche Arbeitsplätze schafft und nicht vernichtet. Eine weitere Belastung der Unternehmen mit einer "Investitionsstrafsteuer" sei der falsche Weg.
Hundstorfer dagegen befürchtet wie etliche Arbeitsmarktexperten auch, dass gerade die Modernisierung der Produktion Arbeitsplätze kostet. Und dass dadurch die Finanzierung der Sozialsysteme, die derzeit ausschließlich auf der Lohnsumme basiert, weiter unter Druck gerät. Mit der Verbreiterung der Finanzierungsbasis soll der Ausfall von Beiträgen kompensiert werden.
Die Last der Sozialbeiträge würde dadurch auch gleichmäßiger verteilt. Denn derzeit zahlen personalintensive Branchen mehr in die Beitragstöpfe ein als etwa durchrationalisierte Industriebetriebe. Bei der Ausweitung der Berechnungsbasis auf die gesamte Wertschöpfungskette würden personalintensive Unternehmen entlastet.
Diese Entlastung dürfe aber, warnt AMS-Chef Johannes Kopf, Entwicklungen wie Industrie 4.0 nicht behindern. Kopf: "Ich kenne das Modell nicht, aber ich begrüße generell Überlegungen zur Entlastung des Faktors Arbeit. Bei der Wertschöpfungsabgabe muss man aber aufpassen, dass sie nicht innovationsfeindlich wird."
Ein detailliertes Modell für eine Wertschöpfungsabgabe hat auch Hundstorfer noch nicht. Eine Variante könnte eine Berechnungsbasis aus Personalkosten plus Gewinn abzüglich Kosten für Fremdkapital sein.
Vor 125 Jahren stiegen die Menschen nur zögernd von der Kutsche ins Auto um. Vor drei Jahrzehnten weigerten sich Angestellte, den Computer zu benutzen, schließlich hatten sie ihr Leben lang in eine Schreibmaschine getippt. Heute ist die vierte industrielle Revolution im Gange, auch wenn wieder viele hoffen, davon verschont zu bleiben. Industrie 4.0 heißt: Eine Schraube "weiß" automatisch, wohin sie gehört. Roboter ersetzen in der "Smart Factory" den Menschen. Das kann auch eine gute Nachricht sein: Eintönige, anstrengende Fließband-Arbeit verschwindet.
Sogar außerhalb der produzierenden Industrie fegt die Digitalisierung Jobs weg: im Handel, in der Musikwelt. Und sie schafft neue, oft hochspezialisierte Arbeitsplätze. An solchen Fachkräften herrscht hierzulande Mangel. Für schlecht Qualifizierte hingegen gibt es in einem Hochsteuerland wie Österreich immer weniger Vollzeit-Beschäftigung. Die Hoffnung lebt, dass Nischen für hochwertige, handwerkliche Produkte und der Dienstleistungssektor weiterhin blühen werden.
Nur leider hat sich Europa im Bereich der digitalen Revolution von den USA und China abhängen lassen. Das hat auch mit der speziell in Deutschland und Österreich grassierenden Fortschritts- und Technikfeindlichkeit, gepaart mit einer gewissen saturierten Trägheit zu tun. Für unseren Wohlstand ist das gefährlich. Noch dazu, wo Österreich im Gegensatz zu Deutschland manche Reformen vernachlässigt hat.
Retro-Idee
Dass Infrastrukturminister Stöger nun "4.0"-Professuren an den Unis fördert, ist löblich, kommt aber sehr spät. Und wenn der Sozialminister und wahrscheinliche SPÖ-Hofburg-Kandidat Hundstorfer laut über eine Maschinensteuer nachdenkt, weil sich die Staatseinnahmen aus der Lohnsteuer verringern, dann ist das nur auf den ersten Blick bestechend, auf den zweiten aber ziemlich "retro". Die Gefahr, dass Innovationen in Betrieben abgewürgt werden und die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts leidet, ist hoch. Diese Steuer forderte schon Alfred Dallinger in den Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts. Sie ist theoretisch gut, funktioniert aber – ähnlich wie die Finanztransaktionssteuer – nur global.
Ohnehin wird man schon bald das zu geringe Wachstum nicht mehr mit neuen Steuern wettmachen können. Im Gegenteil: Hohe Regulierungs- und Abgabenlast könnten die Schrittmacher der Gesellschaft entmutigen. Auch wenn man hierzulande – sozial abgesichert – sicher noch eine Zeit lang recht kommod lebt.
Besser wäre die Entwicklung einer kraftvollen Strategie. Österreich hat tolle Unternehmen, noch immer hohe Produktivität und im Prinzip keine schlechten Bildungseinrichtungen. Dort braucht es dringend viel mehr fächerübergreifende Technik- und Naturwissenschaftsschwerpunkte. Damit wir in Zukunft nicht vom Fortschritt abgekoppelt sind.
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