Von außen betrachtet: Wie die Nachbarn Österreich sehen

Die österreichische Flagge weht vor einer Bergkulisse.
Die Wirtschaftsvertreter aus der Schweiz und Deutschland in Wien loben vor allem den Tourismus und das hohe Bildungsniveau. Sie sehen aber auch Schwächen.

Kaum Wachstum bei anhaltend hoher Inflation: Diese toxische Mischung veranlasst Ökonomen zur Sorge um den Standort Österreich. Vor allem, weil andere EU-Länder derzeit viel besser dastehen. Dazu kommt, dass die Mega-Pleite des Immo-Imperiums Signa von René Benko über die Grenzen hinweg am Standort-Image kratzt. 

In puncto Transparenz und Korruption müsse Österreich aufpassen, meint der Chef der Handelskammer Schweiz-Österreich-Liechtenstein in Österreich, Urs Weber. Sein Pendant in der Deutschen Handelskammer, Thomas Gindele, mahnt auch zu mehr Offenheit bezüglich Arbeitskräfte-Zuzug. 

Doch die beiden Wirtschaftsvertreter finden auch lobende Worte für den Standort. Die Vorzüge decken sich im Wesentlichen mit Wirtschaftsrankings, in denen Österreich gut abschneidet. Gut ausgebaute Infrastruktur, etwa im Tourismus, bestens qualifizierte Arbeitskräfte und vor allem die Lebensqualität kommen gut an.

Ein lächelnder Mann mit Brille, Hemd, Weste und roter Krawatte.

Urs Weber, Generalsekretär der Handelskammer Schweiz-Österreich-Liechtenstein 

NACHGEFRAGT

Der KURIER wollte von Urs Weber von der Handelskammer Schweiz-Österreich-Liechtenstein (HKSÖL) wissen, ...

... welche Branchen oder Konzerne er spontan mit Österreich verbindet:  
Zunächst eindeutig den Tourismus. Wir Schweizer beneiden euch um den Tourismus und wir liefern uns da  einen gesunden Wettbewerb. Dann fallen mir   Autozulieferer wie AVL List oder FACC  ein. Auch die Voestalpine und ihre Entwicklung ist beeindruckend. Aber auch die Banken wie Raiffeisen oder Erste Bank, die  im osteuropäischen Raum führend sind.

... warum Österreich generell ein guter Standort ist:
Es gibt hier viele gute Unternehmen, so genannte Hidden Champions und eine hervorragende Forschung auf den Universitäten mit guten Spin-offs, etwa im Life-Science-Bereich. Und es gibt ausgebildete Fachkräfte, aber leider hat die Lehre ein schlechtes Image. Jeder Elternteil versucht hier, seine Kinder auf Biegen und Brechen durchs Gymnasium zu schleusen, obwohl es so gute Alternativen gibt, wie Lehre mit Matura. In der Schweiz ist das völlig gleichwertig.

... für welche Branchen Österreich attraktiv ist:
Definitiv für die Autozulieferbranche, aber auch für alle jene, die gute Verbindungen nach Osteuropa suchen. Wir Schweizer haben    ja eine  Ost-Phobie, alles, was aus Osteuropa ist, ist böse.   Nur 4 bis 6 Prozent unserer Handelsbeziehungen stammen aus diesen Raum, in Österreich gut 20 Prozent. Gleicher Kulturkreis mit einer Tür in den osteuropäischen Raum ist ein Argument, sich als Schweizer hier niederzulassen.

... wo sich Österreich verbessert hat: 
Da fällt mir spontan die ÖBB ein, die sich super entwickelt hat, allein vom Wagenmaterial her. Die Österreicher sind bahnaffiner geworden. Dazu hat auch das Klimaticket beigetragen. Niemand wäre vor 20 Jahren freiwillig mit der Bahn auf Urlaub gefahren, das hat sich stark geändert. Österreicher sind jetzt eine wichtige Urlaubergruppe für   Schweizer Bahnreisen geworden.

... wo sich Österreich verschlechtert hat: 
Eindeutig bei  der Transparenz und Korruption. Ich sage  da nur Signa. Das fällt   auf, weil auch Schweizer Banken betroffen sind. Das ist nicht gut fürs Image, da muss Österreich aufpassen.

... wo es den größten Reformbedarf gibt: 
Das wird Sie wenig überraschen, aber bei den Lohnnebenkosten und den Steuern. Auch die Reform des Pensionssystems ist längst fällig. Die Last auf die erste Säule ist zu hoch. Hier mangelt es auch an Finanzbildung, etwa beim Aufbau  der  zweiten und dritten Vorsorge-Säule wie in der Schweiz. Alles jenseits von Sparbuch ist hier Teufelszeug.

... was er „niedlich“ findet:
Die Titel. Generalsekretär etwa, das nimmt in der Schweiz niemand ernst.  

Eine Grafik zeigt Österreichs Platzierungen in verschiedenen Wirtschaftsrankings.
Ein Mann mit Anzug und Krawatte lächelt in die Kamera.

Thomas Gindele, Geschäftsführer Deutsche  Handelskammer in Österreich (DHIK) 

NACHGEFRAGT 

Der KURIER wollte von  Thomas Gindele von  der Deutschen Handelskammer  (DHK) wissen, ...

... welche Branche er spontan mit Österreich verbindet:
Als Deutscher natürlich das Skifahren, also den Tourismus. Die Hälfte der Touristen kommt ja aus Deutschland. Fast jeder Deutsche ist einmal in Österreich auf Urlaub gewesen. Hotels und Infrastruktur sind erstklassig. Als quasi 365-Tage-Destination hat Österreich ein Alleinstellungsmerkmal. Und bis vor Kurzem hat auch das Preis-Leistungs-Verhältnis gestimmt ...

... wie die  Deutschen über Liftpreise und Klimawandel  im Wintertourismus denken:
Es bleibt abzuwarten, inwiefern   die Gäste die Teuerung  tolerieren werden, aber  70 Euro für eine Liftkarte muss man sich erstmal leisten können.   Die Klimadebatte wird auch in Deutschland geführt. Aber die Menschen   lassen sich noch nicht davon abbringen, auf den Winterurlaub zu verzichten. Für einige Skigebiete wird es zwar herausfordernd. Ich sehe   aber noch durchaus gute Jahre für den Wintertourismus  vor uns.

... was den Standort generell attraktiv macht:
Es ist einer der führenden Standorte in Europa, was das Bildungsniveau und die Infrastruktur anbelangt. Ich denke da nur an die duale Ausbildung, die wie in Deutschland vorbildhaft ist. Österreich verfügt über eine gute Logistik-Infrastruktur und das Land ist sicher.  Aber klar ist auch, dass Österreich kein Billigstandort ist und auch nie wieder werden wird. Niemand kommt nach Österreich, um Massenproduktion anzusiedeln.  

... warum sich  deutsche Firmen hier ansiedeln sollen:
Für die deutsche Wirtschaft, vor allem den Mittelstand, ist Österreich nach wie vor sehr attraktiv. Vor allem für die ersten Auslandserfahrungen. Das ist ein Markt, der durch Sprache und die Nähe schneller und leichter zu erschließen ist als andere. Etwa für den Einzelhandel. Da gab es ja seit dem EU-Beitritt einen enormen Boom und sie finden heute dieselben Geschäfte in einer mittelgroßen österreichischen Stadt wie in einer deutschen. Gehen neue Handelsketten ins Ausland, ist Österreich immer die Nummer eins.

... wo Österreich zuletzt aufgeholt hat und wo nicht:
Bei der Infrastruktur und vor allem der Digitalisierung des Landes. Sehr restriktiv ist Österreich bei der Arbeitskräfteüberlassung aus anderen EU-Ländern. Und Österreich müsste unbedingt noch mehr Fachkräfte aus dem Ausland holen.

... ob die Signa-Pleite dem Standort schadet: 
In Deutschland ist man schon angefressen auf den  Herrn Benko, keine Frage. Das wird uns wegen Karstadt sicher das nächste  Jahr noch beschäftigten, aber die Karawane zieht weiter. Der Wirecard-Skandal ist ja auch schon wieder verdaut. Das wird das Gesamtbild über Österreich aber nicht trüben.

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