Novartis-Chefin: "Medikamente sollten als Investment gesehen werden“

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Österreich-Chefin Cathrine Emond und Standortleiter Roland Gander erläutern, welche Reformen es braucht, damit weiterhin in Tirol geforscht und produziert wird. Slowenien zeige es vor.

Der Schweizer Pharmariese Novartis hat in Tirol einen wichtigen Forschungs- und Produktionsstandort. Seit April verantwortet die Kanadierin Cathrine Emond das Österreich-Geschäft. Gemeinsam mit Standortleiter Roland Gander spricht sie über die Wichtigkeit des Standorts, sinkende Wettbewerbsfähigkeit und die dringende Notwendigkeit einer nationalen Pharmastrategie.

KURIER: Wie geht es mit Novartis nach der Abspaltung von Sandoz in Tirol weiter?

Cathrine Emond: Trotz Abspaltung der Sandoz vor zwei Jahren bleibt Tirol ein ganz wichtiger Standort für Novartis und für die österreichische Pharmabranche. Mit 3.300 Mitarbeitern sind wir einer der größten heimischen Player und an drei Standorten tätig.

Wo liegen die Schwerpunkte in Kundl und Schaftenau?

Roland Gander: Wir bilden hier die gesamte Wertschöpfungskette ab, von umfangreichen Forschungstätigkeiten in den Laboren über sämtliche Schritte im Produktionsprozess bis hin zur finalen Verpackung der Arzneimittel, die auf komplexen Proteinen und Nukleinsäuren wie DNA und RNA basieren. Viele unserer Medikamente „Made in Austria“ sind weltweit im Einsatz. Die Biologika-Gesamtkapazität ist die wichtigste für Novartis weltweit. Tirol ist ein weltweiter Supply-Hub, 98 Prozent der Produktion geht in den Export.

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Novartis-Standortortleiter Roland Gander

Wie ist die Auftragslage?

Gander: Wir sind voll ausgelastet, und das Volumen wächst von Jahr zu Jahr. Es ist auf 40 Million Units pro Jahr ausgelegt. Von Tirol aus wird eine große Mehrheit des gesamten Novartis-Portfolios versorgt.

Warum produziert Novartis nach wie vor in Tirol?

Gander: Da gibt es vier gute Argumente: Erstens ist es ein gut entwickelter Standort mit Know-how und Expertise. Zweitens gibt es Synergien mit Unis und Forschungseinrichtungen, drittens ist die Qualifikation der Mitarbeiter hoch, und wir bekommen die Talente, die wir suchen, und es gibt stabile politische Rahmenbedingungen etwa mit der Forschungsprämie. Zudem sind wir sehr stark lokal verankert, sodass unsere Investments auch der lokalen Wirtschaft in Tirol zugutekommen, die mit uns wächst.

Wird in Tirol weiter investiert?

Gander: Wir haben in den vergangenen zehn Jahren 1,6 Mrd. Euro in den Standort investiert. Es gibt ein klares Bekenntnis des Konzerns, den Standort auch künftig weiter auszubauen. Wir werden vor allem in die Automatisierung, aber auch in den Ausbau erneuerbarer Energie investieren. Allerdings müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Dafür müssen jetzt die Weichen gestellt werden.

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Viele Betriebe klagen über hohe Energie- und Personalkosten. Wie geht Novartis damit um?

Gander: Wir haben da den direkten Vergleich zu anderen EU-Ländern, und es stimmt schon, Energie- und Arbeitskosten sind inzwischen deutlich höher als in anderen Ländern. Österreich hat hier in den vergangenen Jahren einen Schritt in die falsche Richtung gemacht und ist gegenüber anderen Ländern wie etwa Slowenien weit zurückgefallen. Da sollten wir mit politischer Unterstützung unbedingt ansetzen, um Österreich wieder attraktiver zu machen. Wir haben 500 Millionen Euro in den Ausbau von Kundl und Schaftenau investiert und werden noch im Oktober den letzten Schritt des Investments finalisieren. Aber die Unterstützung und Förderungen waren im Vergleich mit anderen Ländern super-minimal, die hätten stärker ausfallen können.

Auch die Regulierung wird gerne kritisiert …

Gander: Ja, Österreich übertreibt es mit der Regulierung gerne. Dazu kommt, dass viele Bestimmungen, etwa steuerliche Anreize für erneuerbare Energien, auf Klein- und Mittelbetriebe abgestimmt sind, wo wir als Konzern rausfallen. Auch Genehmigungsverfahren dauern viel zu lang.

Sie erwähnten Slowenien, wo derzeit viele Pharma-Investments stattfinden. Was macht Slowenien besser?

Gander: Es gibt in der Pharmabranche derzeit eine klare Tendenz zu osteuropäischen Ländern. Sie sind weniger reguliert, und die Arbeits- und Energiekosten sind niedriger. Slowenien hat erkannt, dass die Pharmaindustrie wirklich wichtig für das Land ist und hat viele Schritte unternommen, der Branche unter die Arme zu greifen. In Österreich hat es manchmal den Anschein, Pharma ist nur eine Sparte der Industrie unter vielen anderen. Sprich: Mehr Fokus würde uns helfen.

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Die Regierung hat eine eigene Life-Science-Strategie angekündigt. Was muss unbedingt drinnen stehen?

Emond: Eine nationale Life-Science-Strategie ist ganz wichtig im globalen Wettbewerb. Sie darf aber nicht punktuell sein, sondern muss einen nationalen Schulterschluss umfassen. Ein wichtiger Punkt ist, dass Forschung und Entwicklung Hand in Hand mit Produktion und Vertrieb gehen. Hier hat Österreich Aufholbedarf. Der Wert der Pharma-Innovationen wird bei der Preisbildung für Medikamente zu wenig berücksichtigt. Österreich ist ein kleines Land, wird aber als Referenzmarkt gesehen, daher ist es wichtig, dass zentrale Player hier sind. Um Innovation zu ermöglichen, brauchen wir ein starkes Signal von Österreich.

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Novartis-Werk in Kundl

Was sind Ihre konkreten Forderungen?

Emond: Wichtig wäre ein rascherer Zugang der Patienten zu innovativen Therapien. Forschung ohne den entsprechenden Zugang zu diesen innovativen Therapien ist ein leeres Versprechen. Weiters benötigen wir ein Erstattungssystem, das den Wert innovativer Therapien widerspiegelt. Dabei sollte auch der Nutzen neuer Arzneien für das Gesundheits- und Sozialsystem berücksichtigt werden. Weiters muss die klinische Forschung ausgebaut werden, der Zugang zu Patientendaten verbessert und die Awareness zur Forschung in der Bevölkerung gehoben werden.

Vertreter der Pharmabranche warnen vor Versorgungsengpässen, sollten die Medikamentenpreise weiter so niedrig bleiben. Sie auch?

Emond: Das österreichische Gesundheitssystem muss sparen, da müssen wir alle an Lösungen arbeiten. Medikamente sind aber nicht der Kostentreiber, sie machen nur 13,5 Prozent der Gesundheitskosten aus und das relativ stabil. Wir dürfen Medikamente nicht nur als Kosten sehen, sondern als Investment in die Gesundheit der Österreicher und ihrer Aktivität. Wir können die Forschung und Entwicklung nicht mehr aufrechterhalten, wenn die Produkte am Markt nicht den Preis erhalten, der dafür notwendig ist.

Würden Sie einen europäischen Einheitspreis befürworten?

Emond: Wenn die EU global wettbewerbsfähig sein will, ist es an der Zeit, das Umfeld zu verändern. Wir müssen Medikamente rascher zum Patienten bringen, das könnte über eine Reform der Preisgestaltungssysteme funktionieren. Es gibt eine Dringlichkeit, denn was jetzt an Rahmenbedingungen entschieden wird, definiert den Weg für die nächsten zehn Jahre.

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