Musterschüler Polen mit durchwachsenen Aussichten

Während der Rest Europas in Richtung Rezession rutscht und sich das EM-Partnerland Ukraine schweren Menschenrechtsvorwürfen stellen muss, steht Polen inmitten der Krisen als Musterknabe da. Das Land scheint als Einziges in Europa die Lehman-Pleite von 2008 und deren Folgen ohne Rezession überstanden zu haben. Die Wirtschaft, die wie alle anderen Rückschläge einstecken musste, ist in der Europäischen Union mit derzeit drei Prozent sogar die am stärksten wachsende. Selbst in der tiefsten Krise kam Polens Wachstum noch mit einem Plus unterm Strich davon.
Einen besonderen Vorteil genießt die polnische Volkswirtschaft, weil sie nicht so stark von Exporten abhängig ist wie andere europäische Staaten. Als Haupteinflussfaktor für das Wachstum erwiesen sich die privaten Investitionen, stellte die EU-Kommission in ihrer gerade veröffentlichten Frühjahrsprognose fest.
Viel Geld für Infrastruktur

Nachdem das ehemals kommunistische Polen seit der Transformation vor allem mit dem Aufbau des Landes beschäftigt war, begann es in den vergangenen Jahren damit, umfangreich in die öffentliche Infrastruktur zu investieren.
Vor allem seit Polen im April 2007 gemeinsam mit der Ukraine die Ausrichtung der Fußball-Europameisterschaft zugesprochen wurde, boomt die Wirtschaft. Premier Donald Tusk scheint diesen Impuls gut genutzt zu haben. Er nahm den Zuschlag der UEFA und tätigte die längst überfälligen Investitionen. Besonders die Infrastruktur in den Austragungsorten profitierte.
Zwar stieg durch die zusätzlichen Ausgaben das Budgetdefizit auf bis zu 7,8 Prozent, doch bis zum Ende des Jahres wird es sich auf rund drei Prozent einpendeln, glaubt die EU-Kommission. Grund dafür sei das wirtschaftliche Wachstum, das für zusätzliche Steuereinnahmen sorgt.
Doch bei allem Optimismus ist Vorsicht geboten: Experten warnen, dass Polen vor allem deshalb so stark boomt, weil EU-Förderungen und staatliche Investitionen wie kaum woanders fließen. Die EU schießt seit fünf Jahren bis 2013 etwa 67 Milliarden Euro zu. Polen trat 2004 der Union bei und galt anfangs als Sorgenkind.
Hohe Arbeitslosenzahl
Die staatlichen Investitionen werden aber nach der EM erwartungsgemäß zurückgehen. Ob dann der private Konsum weiter so hoch bleibt und die Strukturreformen fortgesetzt werden, ist fraglich. Angesichts einer Arbeitslosenrate von 9,8 Prozent und der relativ hoch bleibenden Inflation klafft auch an der Weichsel die Kluft zwischen Arm und reich immer weiter auf.
Die rund eine Million Fußballfans, die nach Polen reisen werden, verändern daran nichts. Und wenn sie wieder wegfahren, bleiben von der Europameisterschaft nur noch die leeren Stadien übrig.
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