Monika Rosen: "Hohe Aufmerksamkeit für Techkonzerne ist gerechtfertigt"

Monika Rosen: "Hohe Aufmerksamkeit für Techkonzerne ist gerechtfertigt"
Die ehemalige Chefanalystin der UniCredit Bank Austria spricht über ihre Pläne, die USA und den Finanzmarkt.

Die langjährige Chefanalystin der UniCredit Bank Austria ist vor kurzem in den Ruhestand gegangen. Doch sie hat weiterhin zum Börsengeschehen viel zu sagen. Denn ihre Leidenschaft für die USA und die dortigen Unternehmen, vor allem im Technologiebereich, lässt sie nicht los. Sie sagt ihnen trotz des aktuell ungünstigen Marktumfelds eine langfristig blühende Zukunft voraus.

KURIER: Sie waren viele Jahre Österreichs gefragteste Börsenexpertin. Nun sind Sie in Pension. Was sind Ihre Pläne?

Monika Rosen: Ich bin eigentlich nur formell in Pension. Das heißt, ich habe eine Vielzahl neuer Angebote und Tätigkeiten. Ich habe etwa eine Kolumne in einer Tageszeitung, arbeite für den Tourismusconsulter MRP Hotels und ich werde an der Wiener Börse Akademie zum amerikanischen Markt unterrichten. Und allen voran bin ich als Vizepräsidentin der Österreich-Amerikanischen Gesellschaft weiterhin auch als Finanzexpertin tätig.

Es wird Ihnen somit nicht langweilig.

Ja. Ich habe sehr gute Angebote, arbeite weiterhin sehr gerne in dem Beruf, weil er hat mich immer begeistert. Ich bin mit der jetzigen Situation sehr glücklich.

Was fasziniert Sie eigentlich so an diesem Beruf?

Die Welt spiegelt sich in all ihren Facetten auch an der Börse. Alles, was uns bewegt, bewegt auch die Börse, egal ob im Guten oder im Schlechten. Dieser Mikrokosmos und die Dynamik haben mich von Anfang an fasziniert.

Monika Rosen: "Hohe Aufmerksamkeit für Techkonzerne ist gerechtfertigt"
Das kann ich nachvollziehen. Vor 15, 20 Jahren aber, so habe ich es in Erinnerung, war die Börsenwelt einfacher gestrickt. Jetzt kommt mir einiges irrational vor...

Was man auf jeden Fall sagen kann, ist, dass der Finanzmarkt immer komplexer wird. Und technologischer. Die Globalisierung bringt mehr Marktteilnehmer und die Vernetzung nimmt zu. Und infolge der sozialen Medien auch die Geschwindigkeit. All das spiegelt nicht nur das Geschehen, sondern beeinflusst es auch. Dass es irrationaler wurde, den Eindruck kann ich nicht teilen.

Apropos soziale Medien: Sie sind selbst auf Twitter sehr aktiv. Würden Sie ohne den Dienst noch auskommen?

(Lacht). Ich habe Twitter sehr gerne, weil es so unmittelbar ist, ein schnelles Medium also und daher perfekt meine Branche bedient. Es gibt so gut wie jeden Tag etwas zum Markt zu sagen. Und es ist keine Frage, ich habe ein Mitteilungsbedürfnis und Twitter bedient das. Es macht mir großen Spaß. Ich habe mehr als 3.000 Follower. Ich beantworte auch gerne Fragen, gebe aber keine Tipps.

Fürchten Sie nun um die Unabhängigkeit von Twitter, falls es Elon Musk gelingt, den Dienst zu übernehmen?

Inhaltlich wird man sehen, welche Konsequenzen es hat. Vom Standpunkt der Börse ist zu sagen, dass die Zustimmung der Twitter-Aktionäre – und auch die der Wertpapieraufsicht SEC – ja noch aussteht. Bezüglich der Großaktionäre gehe ich davon aus, dass er sich deren Okay im Vorfeld eingeholt hat. Spannend ist die Finanzierung. Musk muss wohl einen Teil seiner Tesla Aktien belehnen, um die Übernahme zu stemmen. Ich finde fast, die Auswirkungen auf den Kurs von Tesla könnten noch die spannendere Frage werden…

„Ich habe ein Mitteilungsbedürfnis und Twitter bedient das. Es macht mir großen Spaß. Ich habe mehr als 3.000 Follower.“

Sie arbeiten jetzt sehr viel mit Twitter, das gab’s in den 80er-Jahren noch nicht. Wie sehr hat sich Ihre Arbeitsweise im Laufe der Zeit geändert?

Total. Das war Ende der 80er, als ich in einer kleinen Niederlassung einer internationalen Bank zu arbeiten begonnen habe. Damals war der Übergang zur Computerisierung. Wir sind in einem riesigen Berg von Papier gesessen und hatten ein Festnetztelefon in der Hand. Insofern ist die Vision von Bill Gates vom papierlosen Büro schon wahr geworden. Wenn früher eine Anfrage kam, hat es ja kein Google gegeben. Es war also notwendig, in dem Haufen von Papier das richtige zu finden. Man benötigte eine gute Ablage. Umgekehrt erwarten jetzt alle viel schneller eine Antwort.

War es immer Ihr Ziel, in der Finanzbranche zu arbeiten?

Nein. Ich habe von 1986 bis 1989 in den USA Englisch studiert und bin dann zurückgekommen. Nach einer Woche Erholung habe ich den KURIER aufgeschlagen und da war eine Stellenanzeige einer internationalen Bank. „Ausgezeichnetes Englisch Bedingung. Vorkenntnisse bevorzugt.“ Da dachte ich mir, ich habe eine 50:50-Chance. Ich habe mich beworben und wurde genommen – zu meiner großen Überraschung (lacht). Und wurde der Wertpapierabteilung zugeteilt.

Und eine Bank war Ihre erste Wahl?

So viele Stellen internationaler Konzerne gab es damals nicht, wo ich mein Englischstudium umsetzen kann. Die Bank war dann eher zufällig, aber es hat mich von Anfang an interessiert. Sonst wäre ich ja auch nicht 30 Jahre in der Branche geblieben. Und die Wertpapiere haben mir von Anfang an gefallen. 1994 bin ich dann zur CA gewechselt. Dort war ich zunächst im Institutional Sales, dann war ich im Asset Management im Privatkundenbereich und wurde 1999 Head of Research und hatte eine internationale Ausrichtung. Und aufgrund meines Studiums hatte ich immer eine Affinität für US-Aktien.

Monika Rosen: "Hohe Aufmerksamkeit für Techkonzerne ist gerechtfertigt"
Was ist das Besondere am US-Markt?

Es ist der Markt mit der breitesten Sektorenabdeckung. Es gibt keinen Sektor, der in den USA nicht irgendeinen börsenotierten Vertreter hätte. Das ist in Europa in den einzelnen Märkten nicht der Fall, der DAX etwa hat keinen Ölwert. In der gesamten Eurozone gibt es kaum große Pharmakonzerne, die meisten sind in der Schweiz oder in Großbritannien. Der US-Markt hat auch die größte Tradition und die stärkste Entwicklung. Die Sonderrolle ergibt sich auch aus ihrer geografischen Isolierung. Die distanzierte Stellung gereicht ihnen zum Vorteil, etwa bei der hohen Innovationskraft oder der technologischen Führerschaft – das ist im Wertpapiergeschäft das Um und Auf. Der Markt hat somit eine Führungs- bzw. Vorbildfunktion. Und es zeigt sich, etwa anhand von China, dass das Modell so leicht nicht zu kopieren ist.

Sie scheinen vor allem die Techwerte zu faszinieren. Was macht deren Reiz aus?

Aktuelle Zahlen der Techwerte sind immer eine Geschichte. Das ist das, was die Medien interessiert. Weil es unsere moderne Welt beschäftigt. Stichwort Autos: Kommt GM mit Zahlen, interessiert das kaum jemand. Wenn schon, dann Tesla. Die Old Economy hat ja derzeit wegen der steigenden Zinsen zwar ein Comeback, aber Tech-Unternehmen sind schlagzeilenträchtiger.

Sind Techkonzerne in der allgemeinen Wahrnehmung überbewertet?

Wenn man den phänomenalen Siegeszug von sozialen Medien oder Google betrachtet, ist die hohe Aufmerksamkeit schon gerechtfertigt. Von den fünf größten Nasdaq-Werten zu Beginn des Jahrtausends sind noch vier da: Microsoft, Cisco, Intel und Oracle. Und Sun Microsystems ist von Oracle geschluckt worden. Das ist schon eine Beständigkeit, die für den Sektor und die Bedeutung in unserem Leben spricht. Und das trotz der schweren Krisen wie Dot.Com-Crash, Finanzkrise und Corona. In all diesen Verwerfungen hat sich die Technologie durchgesetzt. Das wird zurecht honoriert. Und ein Ende des Trends ist noch nicht absehbar.

„Die Globalisierung bringt mehr Marktteilnehmer und die Vernetzung nimmt zu.  Und infolge der sozialen Medien auch die Geschwindigkeit.“

Bei der Börsenbewertung merkt man jetzt aber schon einen Plafond.

Sie hatten einen doppelten Rückenwind während Corona, weil die Technologie eine Fortsetzung des Geschäftslebens und privater Kontakte ermöglicht hat. Und die gelockerte Geldpolitik weltweit war gut für Wachstumswerte. Beide Faktoren entwickeln sich jetzt zum Gegenwind. Die Renditen steigen und man macht wieder Sachen in der wirklichen Welt, das spürt etwa aktuell Netflix.

Apropos Geldpolitik: Wie bewerten Sie die unterschiedlichen Geschwindigkeiten in den USA und in der Eurozone?

Der Markt geht davon aus, dass die US-Notenbank Fed im Mai die Leitzinsen um 0,5 Prozentpunkte anheben wird, auch 0,75 werden nicht ausgeschlossen. Die EZB könnte im dritten Quartal ihre Anleihenkäufe beenden und danach Zinsanhebungen setzen. Der Markt geht von 2 heuer aus. Dass die EZB moderater vorgeht, liegt daran, dass die Fed in einer komfortableren Position ist. Die US-Wirtschaft ist bei Weitem nicht so beeinträchtigt durch den Ukraine-Krieg. Die Nachfrage steht in Europa unter Druck. Auf der einen Seite müssen Europas Währungshüter gegen die Inflation etwas unternehmen. Wenn sie aber zu restriktiv vorgehen, bremsen sie die Nachfrage zusätzlich. Das wollen sie wahrscheinlich auch nicht. Das Dilemma ist ein größeres, als es die US-Notenbank vor sich sieht.

Kommt die Entscheidung der Europäischen Zentralbank nicht um ein gutes halbes Jahr zu spät?

Insgesamt kann man das aus jetziger Sicht sagen, aber das gilt für alle. Das kann man der Fed auch vorwerfen. Sie hat auch im ersten Quartal noch Anleihen gekauft, obwohl sie schon längst Zinsanhebungen angekündigt hat. Wiewohl der Krieg in der Ukraine sicher unerwartet beziehungsweise wollte es niemand glauben.

Was erwarten Sie ganz allgemein für die Börsen für die kommenden Wochen?

Kurzfristig könnte die Entscheidung der US Notenbank am 4. Mai richtungsweisend werden. Die Börsen müssen sich derzeit auf eine restriktivere Geldpolitik der Notenbanken insgesamt einstellen und reagiert mit hohen Schwankungen. Ich denke, das wird uns noch eine Weile begleiten, auch weil es ja genug andere Unsicherheitsfaktoren gibt; Inflation, Krieg in der Ukraine und nicht zuletzt Covid, vor allem in China.

Sie unterrichten ja bald wie erwähnt an der Wiener Börse zum Thema US-Aktien. Wie wollen Sie das Interesse der Anleger wecken, die ja sehr heimatorientiert sind.

Nicht nur in Österreich, sondern überall, auch in den USA. Dort ist allerdings die Auswahl viel größer. Ich glaube, man kann Interesse wecken, wenn man Information gibt. Gerade die Techwerte interessieren jeden.

Wieso sind eigentlich so wenige Frauen auf dem Kapitalmarkt aktiv?

Es muss einem zunächst das Thema interessieren, viele finden es zu sperrig. Ich habe genug junge Kolleginnen erlebt, die zu mir in die Abteilung kamen mit dem Satz „Ich will mir das nur anschauen, aber auf keinen Fall bleiben“. Vielleicht muss man das Spannende daran Frauen näherbringen. Und man muss sich in einer männlich dominierten Umgebung wohlfühlen. Das war für mich nie ein Problem. Ich habe genug Sitzungen geleitet, in denen ich die einzige Frau war. Und es war nur selten nötig, die Herren daran zu erinnern, dass sie Gentlemen sind.

Kommentare