Milchbauern schlagen Alarm: "Es geht um unsere Existenz"

Tausende Bauern versammelten sich in der belgischen Hauptstadt, um für einen höheren Milchpreis zu demonstrieren.
Produktionsdrosselung und Marktbeobachtung gefordert. Scharfe Kritik an EU-Kommissar Hogan und Agrarministern.

Mit drastischen Worten hat das European Milk Board (EMB), der Verband der europäischen Milchbauern, vor den Folgen der Milchmarktkrise gewarnt. Bereits jetzt drohten in Ostdeutschland "eine Vernichtung der bäuerlichen Kultur in den Dörfern" und "ausgeblutete ländliche Räume", sagte EMB-Präsident Romuald Schaber am Montag vor Protesten in Brüssel. Die Milchbauern fordern eine Produktionsdrosselung.

Milchbauern schlagen Alarm: "Es geht um unsere Existenz"
Tausende Bauern versammelten sich in der belgischen Hauptstadt, um für einen höheren Milchpreis zu demonstrieren.

Die von der EU-Kommission und von einigen Agrarministern vorgeschlagenen Maßnahmen zur Krise sind nach Ansicht des Verbandes nicht ausreichend. "Die Krise ist nicht vom Himmel gefallen, sondern durch bewusste politische Entscheidungen herbeigeführt worden", sagte Schaber. Dass die EU-Kommission Geld für eine Exportoffensive bereitstellen will, lehne das EMB kategorisch ab, weil bereits zu viel Milch auf dem Markt sei. Damit würden mit staatlichen Subventionen nur der eigene Milchpreise weiter kaputt gemacht, sagte Schaber.

Die Angst vor Milchseen

Auch eine Anhebung der Interventionspreise, unterhalb derer die EU-Kommission Milchprodukte aufkaufen kann, halten die Milchbauern nur dann für sinnvoll, wenn gleichzeitig die Produktion begrenzt wird. Eine bloße Einlagerungsstrategie verhindere eine Markterholung. Das Geld wäre "rausgeschmissen" und es drohe eine Situation wir vor 1984 mit Butterbergen und Milchseen, sagte Schaber.

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Andere Instrumente, wie eine Absicherung der Preise durch Waren-Terminmärkte nach dem Motto "Bauer an die Börse" könnten bei Marktschwankungen zwar funktionieren und würden auch nicht kategorisch abgelehnt, seien aber wegen des übersättigten Marktes "das falsche Mittel zur falschen Zeit". Auch Überbrückungskredite der EU würden das Problem nicht lösen. Schaber räumte aber ein, dass viele Bauern zur Rettung ihrer Höfe auf akute Finanzhilfen angewiesen seien.

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Protestaktion der IG Milch zum Ende der Milchquote

Viele Bauern vor Bankrott

Das EMB fordert ein dreistufiges Marktverantwortungsprogramm, mit dem regelmäßig die Milchpreise überwacht werden. Sinkt der Marktindex um 7,5 Prozent, dann sollte eine Frühwarnung ausgesprochen und die private Lagerhaltung geöffnet werden. Sinkt der Index um 15 Prozent soll ein freiwilliger Lieferverzicht ausgeschrieben. Eine verpflichtende Kürzung würde nach dem Modell des EMB bei einem Absinken des Index um 25 Prozent erfolgen.

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Milchpreis

Mit einem Milchpreis von 18 bis 20 Cent würden viele Bauern vor dem Bankrott stehen, sagte EMB-Vizepräsidentin Sieta van Keimpema. Wenn nicht rasch gegengesteuert werde, würden ganze Regionen in Europa bald keine Milchbauern mehr haben. Das vom EMB geforderte Marktverantwortungsprogramm ließe sich heuer leicht aus der 900 Millionen Euro schweren Superabgabe finanzieren, welche die Bauern bei Überfüllung der Quote im Vorjahr im September an die EU zahlen müssen. In Österreich liegt der Erzeuger-Milchpreis für einen Liter konventionelle Milch aktuell bei rund 30 Cent.

Deutscher Minister "ruiniert" Bauern

"Wir wollen einen strukturellen Wandel der Milchproduktion", forderte Erwin Schöpges von der belgischen Milcherzeuger Interessengemeinschaft. Scharfe Kritik übten die EMB-Vertreter an den zuständigen Politikern in Deutschland und in der EU. EU-Agrarkommissar Phil Hogan sei "fehl am Platz", er wolle, dass Milchbauern keinen Lohn mehr für ihre Arbeit bekommen, sagte Schöpges. Der deutsche Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) blockiere, sei "sich seiner Verantwortung nicht bewusst" und "ist dabei, die europäischen Milchbauern zu ruinieren". Sollte von dem EU-Sonderagrarministerrat kein starkes Signal ausgehen, würden die Milchbauern ihre Proteste in verschärfter Form fortsetzen. "Es geht um unsere Existenz", so Schöpges.

Milchbauern schlagen Alarm: "Es geht um unsere Existenz"
A demonstrator throws eggs as farmers and dairy farmers from all over Europe take part in a demonstration outside an European Union farm ministers emergency meeting at the EU Council headquarters in Brussels, Belgium, September 7, 2015. Thousands of farmers gathered in the European capital calling for more help with low prices and high costs in the European Union's largest agricultural producer country. REUTERS/Yves Herman

Schmidt selbst hatte unmittelbar vor dem EU-Sondertreffen mit Nachdruck höhere Preise gefordert. "Milch ist gegenwärtig billiger als Wasser, das ist nicht in Ordnung. 55 Cent pro Liter ist deutlich zu wenig", sagte Schmidt am Montag im RBB-Inforadio. Ein Euro pro Liter sei dagegen ein Preis, mit dem auch die Landwirte leben könnten.

Schmidt verteidigt abgeschaffte Quote

Zugleich verteidigte Schmidt die Abschaffung der EU-weiten Milchquote. "Vor fünf Jahren war die größte Milchkrise bisher, die zu Zeiten, als es die Quote gegeben hat, trotzdem dazu geführt hat, dass der Milchpreis dramatisch nach unten gegangen ist", sagte Schmidt im ARD-"Morgenmagazin".

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epa01846133 Christian Schmidt, German defense secretary of state, and Hubert Falco (unseen), French defense secretary of state, take part in a commemorative ceremony at Maison Blanche German military cemetery in Neuville Saint-Vaast, near Arras, Pas-de-Calais, northern France, 03 September 2009. Schmidt and Falco attended the ceremony to mark the 70th anniversary of the outbreak of World War II. EPA/FARID ALOUACHE / ASA-PICTURES FRANCE OUT - NO SALES IN GERMANY

Vielmehr müsse man den Markt beobachten und Instrumente finden, um das eigentliche Problem zu klären. "Wir müssen einen Weg finden, um die Schwankungen abzufedern, die die Landwirte nicht bewältigen können." Das Risiko des Marktes trügen derzeit allein die Milchbauern. Die EU müsse ihnen dabei helfen. "Sie können eine Kuh nicht auf Teilzeit setzen, die produziert jeden Tag Milch."

Preiserhöhung bis 15 Cent gefordert

Die EU-Landwirtschaftsminister beraten am Montag in Brüssel über Hilfen für die Bauern. Angedacht sind laut EU-Diplomaten etwa Subventionen, um Magermilchpulver und Butter einzulagern. Direkte Einkommenshilfen der EU sollen zudem früher als üblich ausgezahlt werden.

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epa04918003 Tractors roll on the E411 motorway as they are on their way to the European institutions during a European farmers protest in Brussels, Belgium, 07 September 2015. Thousands of European farmers were descending Monday on Brussels to vent their anger over economic problems in the agriculture sector, snagging traffic in the Belgian capital and on the highways leading to the city. EPA/OLIVIER HOSLET

Das EMB vertritt laut Schaber Milchbauern aus 16 europäischen Ländern und zählt über 100.000 Mitglieder. Aus Österreich ist die IG Milch im Rahmen des EMB und bei den Protesten am Montag vertreten. Die Konsumenten und Bürger sieht der Verband im Gegensatz zum "Agro-Business" auf seiner Seite. Eine Preiserhöhung um 10 bis 15 Cent pro Liter würde die Verbraucher nur wenig mehr kosten. Dafür könnten öffentliche Subventionen eingespart werden, sagte Schöpges.

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