Kommunikationspraxis der EZB in der Kritik

Europäische Zentralbank in Frankfurt
Anlass ist, dass der Chefvolkswirt Interna offengelegt haben soll, die die EZB noch nicht öffentlich gemacht hat.

Die EZB gerät nach einem kolportierten Privatgespräch ihres Chefökonomen mit Volkswirten unter Druck, die Praxis von Treffen mit Vertretern der Finanzwirtschaft zu überdenken. Anlass ist ein Bericht der "Financial Times", wonach Chefvolkswirt Philip Lane gegenüber deutschen Ökonomen Interna zur mittelfristigen Inflationserwartung der Notenbank offengelegt haben soll. Dies gilt als brisant, da die Europäische Zentralbank (EZB) diese nicht öffentlich macht.

Strategie ändern

Ein EZB-Sprecher bezeichnete den "FT"-Bericht als "nicht genau". Der deutsche Europa-Abgeordnete Sven Giegold (Grüne) sagte Reuters am Freitag, er werde EZB-Chefin Christine Lagarde aus Gründen der Transparenz schriftlich auffordern, exklusive Treffen dieser Art künftig zu untersagen.

Die EZB müsse ihre Kommunikationsstrategie ändern, was an diesem Fallbeispiel offensichtlich werde: "Man weiß nicht, ob man der Zeitung oder öffentlichen Mitteilungen der EZB glauben soll." Die EZB ließ die Äußerungen des Grünen unkommentiert. Die "FT" hatte in dem Artikel zudem über eine Zinserhöhung im Jahr 2023 spekuliert. Das spanische EZB-Ratsmitglied Pablo Hernandez de Cos sagte dazu, dies sei grundsätzlich nicht mit dem geldpolitischen Ausblick der EZB vereinbar.

Die EZB hat die rekordtiefen Zinsen in dem im Sommer aktualisierten Ausblick praktisch auf lange Zeit festgeschrieben und den Investoren damit eine Orientierungslinie gegeben. Sie will unter anderem ihre Leitzinsen solange auf dem aktuellen oder einem noch tieferen Niveau halten, bis zu sehen ist, dass die Inflation zwei Prozent erreicht und sich in diesem Bereich festsetzt. Das könnte auch eine Übergangszeit von Teuerungsraten moderat über zwei Prozent bedeuten.

Lane hatte den Volkswirten laut "FT" in einer privaten Zusammenkunft gesagt, das mittelfristige Referenz-Szenario der EZB zeige, dass die Inflation kurz nach dem Ende der derzeitigen Prognoseperiode zwei Prozent erreichten sollte - dem erklärten Ziel der Notenbank. Ein EZB-Sprecher sagte dazu, Lane habe bei keiner Gelegenheit bei Treffen mit Analysten entsprechendes geäußert. Zu der in dem Bericht erwähnten Jahreszahl 2025 schwieg sich der Sprecher aber aus.

Hohe Rate

Die EZB-Volkswirte hatten vorige Woche ihre nur bis 2023 reichenden Prognosen aktualisiert. Die Ökonomen sagen für dieses Jahr eine Teuerungsrate von 2,2 Prozent voraus. Die Inflationsrate war im August auf 3,0 Prozent hochgeschnellt, den höchsten Wert seit rund zehn Jahren. Für 2022 hoben sie ihre Vorhersage von 1,5 auf 1,7 Prozent an, für 2023 von 1,4 auf 1,5 Prozent.

Derzeit ist die Inflation im Euro-Raum so hoch wie seit rund zehn Jahren nicht mehr. Die Verbraucherpreise kletterten im August binnen Jahresfrist um 3,0 Prozent. In Deutschland ist die Teuerung nach europäischer Berechnung zuletzt sogar auf 3,4 Prozent geklettert. Die absehbar noch länger anhaltende Nullzinspolitik der EZB ist vor dem Hintergrund der hohen Inflation zuletzt auch im deutschen Bundestagswahlkampf zum Thema geworden. Und Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hatte vor kurzem gemahnt, das Risiko einer zu hohen Inflation nicht aus den Augen zu verlieren.

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