Wiens Kultschneider: Der Michael, der nicht Michael heißt

Wiens Kultschneider: Der Michael, der nicht Michael heißt
Kennen Sie diesen Mann? Schneider Michael ist eine Berühmtheit und das nicht nur aufgrund seiner Handwerkskünste. Ein Besuch bei ihm wird schnell zum Erlebnis.

Unerkannt in eine Therme fahren kann er nicht, erzählt er. Denn viele Österreicher wissen, wer Michael Gül ist und was er macht.

„Der Michael“ ist Wiens kultigste Schneiderei. Ihr Besitzer stattet Bundespräsidenten, Minister und ehemalige Politiker quer durch die Parteienlandschaft aus. Belegen kann er das mit Fotos auf seinem Handy. Sie alle waren bei ihm im Geschäft. Sogar den Anzug eines Nobelpreisträgers soll er für die Verleihung angefertigt haben. Dafür weist er einen Zeitungsartikel vor.

Wiens Kultschneider: Der Michael, der nicht Michael heißt

Stolz präsentiert der Inhaber von "Der Michael" seine Auszeichnung. Er wurde zu einem der beliebtesten Schneider des sechsten Bezirks gewählt

Ein Interview mit Hindernissen

Ein Interview mit Schneider Michael ist nicht einfach. Ständig kommt die Kundschaft in die verwinkelte Schneiderei in der Amerlingstraße im sechsten Wiener Bezirk. Er steht an der Theke. Selbst nähen tut er kaum. Reinigt aber den Klettverschluss am Mantel des KURIER Fotografen, während dieser Fotos machen will.

Was man am Michael schätzt? Die Preise, die Qualität und das Tempo. „Was holst du ab“, fragt er eine ältere Dame. „Ein Kleid.“ „Haben wir verloren.“ Kurzes Zögern, dann Lachen. Man kennt die Scherze, die der Michael macht. Dafür kommt man auch zu ihm, wobei nicht alle sie mögen, verrät er. Sich zu ändern, ist keine Option. Privat ist er schüchtern. Beruflich liebt er seine Bühne.

Wiens Kultschneider: Der Michael, der nicht Michael heißt

"Wir sind Mädchen für alles", erklärt Michael. Der größte Stolz sind aber die Maßanfertigungen seines Teams

Was zahlst du freiwillig?

„Es wird jetzt mehr verhandelt“, erzählt Michael als Reaktion der Kundschaft auf die gestiegenen Lebenserhaltungskosten. Wobei verhandeln mit ihm kaum nötig ist. „Was zahlst du freiwillig?“, fragt er einen Kunden, der seine gekürzte Hose abholt. Und lässt ihm wirklich die freie Wahl.

Prompt wird dem Mann auch noch das Sakko abgenommen. Die Ärmel sind zu lang. In zwei Stunden soll er wiederkommen. Vertröstet wird er mit mehreren Tafeln Schokolade und wenn er will, einem Stamperl Tequila. Im Sommer sind es Melonen. Ohne Aufmerksamkeiten geht niemand hier raus.

Wiens Kultschneider: Der Michael, der nicht Michael heißt

In der Schneiderei herrscht dezentes Chaos - und doch geht die Kundschaft und Prominenz ein und aus hier

Michaels Welt der Kleider - nicht alle kennen sich darin aus

Wann Kleidungsstücke abgegeben und wieder abgeholt werden dürfen, ist ein ungeschriebenes Gesetz, das keiner wirklich kennt. „Ich glaube, am Wochenende soll man nichts vorbeibringen“, rätselt ein Kunde. Und liegt falsch. Der Abend ist die verbotene Zone. Da soll nur abgeholt werden. Ausnahmen macht der Michael aber sowieso für jeden.

„Wir sind Mädchen für alles“, sagt er. „Nähen von Vorhängen über Maßanzüge bis hin zu Ledertaschen – einfach alles.“ Nur, dass die „Mädchen für alles" durchgängig Herren mittleren Alters sind.

Wiens Kultschneider: Der Michael, der nicht Michael heißt

Etwas verwinkelt ist das Geschäft in der Amerlingstraße. Die Mitarbeiter arbeiten auf Hochtouren. Ist es doch das Tempo, das man am Michael neben der Qualität schätzt

Man spricht arabisch. Die Konkurrenz versucht, das Team oft abzuwerben. Aber die bleiben, selbst wenn man ihnen das Doppelte zahlen würde, sagen sie. Auf Arabisch zumindest. Michael hat übersetzt.

Der Michael, der nicht Michael heißt

Es herrscht dezentes Chaos. Kleidungsstücke wieder zu finden, grenzt an ein Wunder. Wie er es trotzdem schafft? „Weil ich immer da bin. Ohne mich geht gar nichts.“ Seit wann es die Schneiderei gibt? Seit den 90er-Jahren. Ursprünglich kommt er aus der Türkei.

„Ich bin eine doppelte Minderheit“, sagt er. Christlicher Glaube und Muttersprache Arabisch. Mit 18 kam er nach Österreich. Von seinem Bruder Michael habe er den Laden vor zehn Jahren komplett übernommen. Nach dieser Information braucht es eine kurze Pause. Dass der Michael gar nicht Michael heißt, obwohl absolut jeder davon ausgeht, bringt ihn höchstens zum Schmunzeln. Ilyas ist sein Name, aber mit Kleinigkeiten will er sich nicht aufhalten.

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