Schätze im Schrott: Wie das Geschäft mit Rohstoffen funktioniert

Schätze im Schrott: Wie das Geschäft mit Rohstoffen funktioniert
Rohstoffe sind wertvoll, Ressourcen sollen wiederverwendet werden. Wie das funktioniert, hat sich der KURIER auf einem Schrottplatz angesehen.

Wie eine Hand gräbt sich die Greifzange in den aufgeschütteten Berg. In ihren Eisenfingern zerdrückt sie Teile von alten Autos und Haushaltsschrotten. Wenig später fährt sie wieder in die Luft und lässt die Gegenstände fast wie Spielzeug auf das Fließband zur weiteren Sortierung rieseln. Nur wenige Meter weiter verwandelt die 1.000 Tonnen starke Schrottschere bereits sortiertes Material in kompakte, 1,50 Meter lange Eisenschrott-Pakete, die anschließend auf einem Waggon landen und zum Wiedereinschmelzen an ein Stahlwerk geliefert werden. Und wieder einige Meter weiter stapeln meterhoch in die Jahre gekommene, kaputte Autos, die noch darauf warten, dieses Prozedere zu durchlaufen.

Dreht man eine Runde am Schrottplatz der Gebrüder Gratz im oberösterreichischen Edt bei Lambach  könnte man  ins Philosophieren kommen, über unsere Ressourcenverschwendung, Vergänglichkeit, die Wiederauferstehen von Altem zu Neuem. Doch Lärm reißt einen aus den Gedanken. Es kommt die nächste LKW-Ladung Schrott angeliefert,  bereit für Schredder und Presse. 

Abgenutzte Autoreifen, eingedellte Blechtüren, alte Elektrogeräte – früher oder später landet das alles bei Martina Gratz. Seit 1938 betreibt ihre Familie  Kreislaufwirtschaft  und erzeugt Sekundärrohstoffe. Sie ist vor elf Jahren in das Business eingestiegen, mittlerweile ist sie Prokuristin und wird das Unternehmen künftig in dritter Generation gemeinsam mit ihrem Großcousin übernehmen. Rund 180.000 Tonnen Schrott werden dort jährlich gesammelt, sortiert und aufbereitet. „Wir arbeiten mit Anlagen, die auf dem  neuesten Stand der Technik sind, um alle Metalle und Schrotte bestmöglich herauszutrennen und dem Kreislauf wieder zuzuführen“, erzählt sie beim KURIER-Besuch sichtlich stolz. 

Stolz, das ist Martina Gratz auch, wenn es darum geht, was ihre Branche und ihr Betrieb für die Bevölkerung leisten. „Durch unsere Arbeit und unseren Beitrag zur Kreislaufwirtschaft sparen wir jährlich 390.000 Tonnen  ein, etwa zwei Millionen Tonnen Rohstoffaufwand pro Jahr entfallen zur Gänze“, erzählt sie, während wir die firmeneigene Kläranlage zur Klärung des Oberflächenwassers passieren.  Weiter geht es zum meterhohen Stapel an Altautos. Etwa zehn Prozent des gesamten Schrottaufkommens machen diese bei ihr aus. „In Summe sind das jedes Jahr zwischen  10.000  und 14.000 Stück.“ Wenn es nach Gratz geht, könnten das aber noch mehr sein. Warum?

Schätze im Schrott: Wie das Geschäft mit Rohstoffen funktioniert

80.000 Quadratmeter groß ist der Schrottplatz der Gebrüder Gratz. 70 Mitarbeiter sind dort beschäftigt.

Illegaler Handel mit Altautos

In Österreich werden jedes Jahr Hunderttausende Autos aus dem Verkehr gezogen, auf einem heimischen Schrottplatz landet davon aber nur ein kleiner Teil. „Der Rest geht oft nach Osteuropa, und zwar illegal“, sagt Gratz. Denn bei den in die Jahre gekommenen Fahrzeugen gibt es die Unterscheidung zwischen Gebrauchtwagen und Altautos. Bei Ersteren zahlt sich eine Reparatur noch aus, bei Letzteren hingegen nicht. Während Gebrauchtwagen exportiert werden dürfen, müssen Altautos aus Österreich auch hier entsorgt werden, „weil es sich der Definition nach um gefährlichen Abfall handelt“, erklärt die Expertin.

Viele aber erhoffen sich, mit ihrem alten Gefährt noch Geld herausschlagen zu können, anstatt es sachgemäß abzugeben. Nicht selten kommt es vor, dass diese im Ausland händisch zerlegt werden und giftige Flüssigkeiten im Erdreich versickern. „Kommt ein Auto dagegen zu uns auf den Schrottplatz, wird es zuerst trockengelegt, das heißt Öle und Flüssigkeiten abgelassen. Danach trennt der Schredder den Fe-Schrott (Stahl- und Eisenschrott) vom Rest. Und unsere Tochterfirma G&S sortiert aus Letzterem dann die Buntmetalle heraus, sodass keinerlei Rohstoffe verloren gehen.“ 

Schätze im Schrott: Wie das Geschäft mit Rohstoffen funktioniert

Die  aufbereiteten Eisenschrotte stehen in den Waggons zum Abtransport ins Stahlwerk bereit.

Durch den illegalen Handel von Schrottautos entgehen Österreich jedes Jahr wertvolle Rohstoffe. Immerhin rund 97 Prozent an verwertbaren Metallen steckt in einem  – von Eisen, Aluminium über Kupfer ist alles dabei. Und alles sind Materialien, die am Rohstoffmarkt boomen.

Recycling liegt im Trend

Eine Entwicklung, die auch Brigitte Reich nicht verborgen blieb.  Sie ist Geschäftsführerin von Secontrade, einer Online-Handelsplattform für Sekundärrohstoffe, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Kreislaufwirtschaft zu beleben.  2018 gegründet, wurden auf dieser bis heute rund 37.000 Tonnen Sekundärrohstoffe  von über 200 Händlern in 24 Ländern gehandelt. Und die Tendenz steigt. „Die weitere Verknappung der Primärrohstoffe durch die Pandemie und den Ukraine-Krieg, aber auch das steigende Umweltbewusstsein der Bevölkerung haben die Debatte um Rohstoffe und vor allem das Thema Recycling weiter angeheizt. Ein Trend, der aus unserer Sicht wirklich sehr erfreulich ist“, sagt Brigitte Reich.

Ein Trend, auf den seit einiger Zeit auch die Europäische Kommission aufgesprungen ist. Mit Beschlüssen, wie dem Green Deal oder der Kreislaufwirtschaftsstrategie drängt sie  langsam weg von der Wegwerf-Gesellschaft. Um jedoch das Ziel einer Kreislaufwirtschaft zu erreichen, müssen in Zukunft nicht nur mehr Abfälle recycelt, die Rezyklate müssen auch wieder eingesetzt werden. Derzeit liegt der Anteil dieser in der heimischen Produktion bei etwa zwölf Prozent. Um die Zahl zu erhöhen – zum Erreichen der Pariser Klimaziele ist eine Verdoppelung notwendig – denkt man in Österreich über eine verpflichtende Einsatzquote von Sekundärrohstoffen  nach. „Grundsätzlich begrüße ich diese Beschleunigung des Handels mit Sekundärrohstoffen sehr, bei einigen Stoffen könnte die Quotenerfüllung aber schwierig werden, da nicht genug Material in Umlauf ist“, gibt Reich zu bedenken.

So würden Stahl und Aluminium  so gut recycelt werden, dass drei Viertel der bis jetzt hergestellten Menge nach wie vor im Kreislauf geblieben ist. Auch bei Papier und Glas funktioniere es grundsätzlich schon. Bei Seltenen Erden (eine Gruppe von 17 Metallen, die  etwa zur Herstellung von Magneten benötigt wird) und auch manchen Kunststoffen könne jedoch die Frage aufkommen, wer die enormen Mengen an Sekundärrohstoffen liefern soll, die dann von der  Industrie eingesetzt werden müssen. 

"Design for Recycling" entscheidend

Zwar erzeugt die Menschheit genug Müll, aber die weggeworfenen Produkte sind oft so gebaut, dass Entsorger nicht gut an die einzelnen Fraktionen herankommen.  Das weiß auch Martina Gratz. „Ein Elektroauto etwa beinhaltet viele wertvolle Rohstoffe. Die Trennung ist aber sehr schwierig, da Produzenten und Konsumenten mehr wert auf das Design legen, anstatt darüber nachzudenken, wie der Abfallentsorger am Ende die verbauten Verbundstoffe wieder auseinanderbringen soll“, sagt sie. Hightech-Produkte und auch  immer komplexere Verpackungen stellen die Kreislaufwirtschaft derzeit noch vor so manche Herausforderungen. „Weil die dafür verwendeten Kunststoffe etwa für ihre Sauerstoffbarriere unterschiedliche Zusatzstoffe enthalten, die die Trennung und  das Recycling schwierig machen“, erklärt Altstoff Recycling Austria (ARA)-Vorstand Christoph Scharff. Das erkläre   auch, warum die Recyclingquote bei Kunststoffen im Vergleich zu anderen Materialien derzeit noch relativ gering sei. „Die Branche arbeitet aber mit Hochdruck daran, die Quote von den aktuellen 25 Prozent auf die für 2025 vorgesehenen 50 Prozent zu erhöhen.“ 

Gelingen kann dies allerdings nur unter zwei Bedingungen: Zum Einen plädiert auch Scharff für das von Gratz angesprochene sogenannte „Design for Recycling“, also Produkte so herzustellen, dass ihre Rohstoffe später wieder möglichst gut getrennt und dem Kreislauf  zugeführt werden können. „Zum Anderen muss aber auch die Bevölkerung ihren Beitrag leisten, und den Müll in die richtige Tonne werfen.“ 

Eine Umfrage im Auftrag des Verbands österreichischer Entsorgungsbetriebe zeigt hier einen Generationenkonflikt: Während 91 Prozent der Älteren angeben, ihren Abfall zu trennen, war das nur bei 72 Prozent der 14- bis 18-Jährigen der Fall. Und auch das Bewusstsein, dass im Abfall wichtige Rohstoffe stecken, ist bei der Generation 60 plus stärker ausgeprägt als bei Jüngeren. „Das muss sich schleunigst ändern. Denn, um die Klima- und Recyclingziele zu erreichen, müssen wir alle an einem Strang ziehen.“

"Plastiksteuer ist vertane Chance"

Apropos Recyclingziele: Europa habe aktuell eine große Chance vertan, führt ARA-Chef Christoph Scharff aus und spricht damit die Plastiksteuer der Europäischen Union an. 80 Cent pro nicht recyceltem Kilogramm Kunststoff schreibt diese vor. In Summe ist das gar nicht wenig. „Allerdings wird sie ökologisch kaum etwas bewirken, wenn sich die Staaten entscheiden, die Abgaben aus dem Steuertopf zu bezahlen. Dann geht der Anreiz für Kunststoffhersteller und Verbraucher, künftig mehr   wieder zu verwenden, verloren.“ 

Unser Abfall in Zahlen

71,26 Millionen Tonnen Abfall sind 2019 in Österreich insgesamt angefallen. 

300.000 Tonnen des gesamten Müllaufkommens in Österreich machen  Plastikverpackungen aus. Laut Greenpeace liegt der Plastikverbrauch pro Kopf und Jahr damit bei 34 Kilogramm. 

30 Prozent aller in Österreich erzeugten Abfälle wurden laut Umweltbundesamt 2019 recycelt. Sieben Prozent wurden verbrannt, elf Prozent verfüllt und 46 Prozent deponiert.  

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