Arbeit in Österreich: "Fleiß und Faulheit sind kein Widerspruch"

Moderierte KURIER.LIVE: Herausgeberin Martina Salomon mit Wirtschaftsminister Hattmansdorfer und Philosophin Hirn (v. li.)
„Ich denke, wir wissen nicht, was Faulheit wirklich ist“, sagte Philosophin Lisz Hirn. „Aber ich glaube, wir können es lernen, und so dem Fleiß wieder näherkommen.“ Gemeinsam mit Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer diskutierte sie bei einer KURIER.LIVE-Veranstaltung, moderiert von Herausgeberin Martina Salomon, die provokante Frage: Wie faul sind wir wirklich?
Faul? Wir?
„Klassisch bedeutet Faulheit, dass nichts passiert – keine Aktivität, keine Zielsetzung“, erklärt Philosophin Hirn. „Diese Form von Faulheit ist aber heute kaum mehr möglich.“ Selbst die Freizeit sei heute oft rastlos, geprägt von Konsum und einer ständigen Reizüberflutung. Bedingungen, die den Fleiß eher hemmen als fördern. „Ich sehe Fleiß und Faulheit nicht als Widerspruch, sondern im Gegenteil: als notwendige Ergänzung. Wer sich wirklich erholen und abschalten kann, wird produktiv und leistungsfähig“, sagt Lisz Hirn.
Ein Publikumsgast schaltet sich ein und sieht das völlig anders. Zehn Jahre hatte er schon keinen Urlaub mehr – „und ich lebe gut, bin glücklich und leiste meinen Beitrag für die Gesellschaft. Was wir brauchen, sind Menschen, die sich wieder für die Arbeit begeistern können“, ist er überzeugt.


Im Teilzeitmodus
Auch Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer spricht sich für die Förderung eben dieser Leistungsgesellschaft aus. „Es ist eine Frage der Notwendigkeit. Österreich hat sich bisher besser entwickelt als andere Länder, weil wir fleißig waren, einen starken Erfindergeist hatten und international gut aufgestellt waren. Wenn wir diese wichtigen Tugenden in Zukunft nicht mehr beherzigen, nicht leistungsfreundlich und wettbewerbsfähig bleiben, dann werden wir unseren Wohlstand auf Dauer nicht halten können“, warnt der Wirtschaftsminister.
Konkret sieht Wolfgang Hattmansdorfer einen größeren Handlungsbedarf bei den derzeit in Österreich geltenden Zumutbarkeitsbestimmungen in der Arbeitslosenversicherung. Zur Debatte stehen dabei unter anderem auch die Anfahrtszeiten, der viermonatige Berufsschutz und auch der sogenannte Entgeltschutz.
Besonders kritisch sieht der Wirtschaftsminister zudem die hohe Teilzeitquote: „Österreich ist Spitzenreiter, wenn es um die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit geht“. In keinem anderen Land sei in den vergangenen zehn Jahren durchschnittlich so viel Arbeitszeit reduziert worden. „In einem generellen Teilzeitmodus gibt es aber kein funktionierendes Gesundheitssystem mehr, auch keine Gastronomie – das ganze Leben kann nicht mehr funktionieren, wenn alle nur noch Teilzeit arbeiten.“ Dabei äußert er Unverständnis dafür, wenn Personen ohne Betreuungspflichten oder gesundheitliche Einschränkungen in Teilzeit arbeiten.
Trotz Fleiß, kein Preis
Hier hat Lisz Hirn jedoch einen Einwand – nämlich die Frage, ob sich Fleiß heute überhaupt noch lohnt. „Warum sollte jemand, der weiß, dass er sich weder ein Eigenheim noch eine Familie leisten wird können, 40 Stunden pro Woche arbeiten? Da würden dann 20 Stunden und ein schönes Leben auch reichen“, sagt sie.
Politik und Gesellschaft seien in der Pflicht, wieder Zuversicht und Sicherheit zu vermitteln. Leistung müsse sich schließlich lohnen: „Ich leiste etwas, ich kann aufsteigen und mir etwas aufbauen.“ Ein Satz, der – wie Martina Salomon anmerkt – an Bruno Kreisky erinnert.
Dass sich Vollzeitarbeit langfristig auszahlt, davon ist Wolfgang Hattmannsdorfer aber überzeugt – vor allem mit Blick auf die Pension. „Verdient jemand 3.500 Euro brutto, arbeitet zehn Jahre Vollzeit, dann zehn Jahre nur 20 Stunden pro Woche und stockt bis zur Pension nicht mehr auf, bekommt er am Ende 700 Euro weniger netto heraus. Ich glaube, vielen jungen Menschen ist das gar nicht bewusst.“

Ein konzentriertes Publikum im Restaurant „Das Mezzanin“ am Schottentor.
Zurück zum Sinn
Gleichzeitig betont Hattmannsdorfer, dass Motivation nicht nur vom Geld abhängen dürfe. Arbeit müsse auch als sinnstiftend erlebt werden: „Arbeit und Verantwortung geben Sinn. Auch Selbstwertgefühl, das Gefühl, gebraucht zu werden, und die Möglichkeit, einen Beitrag zu leisten, gehören dazu.“
Lisz Hirn spricht eine derzeit herrschende Überbetonung von Freiheiten anstelle von Pflichten an. „Das bisherige Maß an Freiheit ist aber nur dann möglich, wenn man auch seine Pflichten wahrnimmt, sei es die Ausbildungspflicht oder die Verpflichtung, einen Beruf zu erlernen. Das einzufordern als Gesellschaft, Politik und Familie könnte sehr wesentlich für unsere Zukunft sein.“
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