Eine gehörlose Pflegerin erzählt, wie sie über Umwege ihren Traumjob fand
Eigentlich wäre Jennifer Schuber gerne Feuerwehrfrau geworden, aufgrund ihrer Gehörlosigkeit war es für sie aber nicht möglich, gebärdet die 24-Jährige. Mithilfe einer Gebärdensprachdolmetscherin erzählt Schuber dem KURIER von ihren Bewerbungen, die sie an Feuerwehr-Vereine verschickte. Sie höre doch die Feuerwehralarme nicht, kam als Antwort zurück. Oder: Wie solle sie im Einsatz den Anweisungen Folge leisten?
Der Arbeitsmarkt bietet Gehörlosen wie ihr nicht viele berufliche Perspektiven. Was dazu führt, dass gehörlose Menschen kaum sichtbar sind. Das Arbeitsleben ist eine Welt für Hörende. Berührungspunkte gibt es kaum. Nur im Alltag kreuzen sich manchmal zufällig die Wege.
Keine Berührungsängste
Bei solchen Begegnungen würden Hörende oft verkrampft reagieren, erzählt Schuber. „Werde ich nach dem Weg gefragt und ich gebe zu verstehen, dass ich gehörlos bin, drehen sich die meisten schon weg – oder sprechen plötzlich Englisch mit mir.“
Schuber hat keine Berührungsängste. Im Gegenteil – sie sucht den Kontakt zu Hörenden aktiv. „Ich gehe einkaufen, ich treffe mich mit hörenden Freunden, ich gehe aus – soweit es Covid-Maßnahmen zulassen, ich habe eine Freundin“, gebärdet Schuber. „Ich bin gehörlos, führe aber ein ganz normales Leben.“
Dreijährige Lehre dann Arbeitslosigkeit
Schuber hat gelernt, mit Widerständen umzugehen. Nachdem sie die Schule beendet hatte, begann sie die Lehre bei Siemens als Elektronikerin. Nach ihrer Ausbildung arbeitete sie etwa ein halbes Jahr im Betrieb, dann wurde ihre Stelle im Zuge einer Umstrukturierung abgebaut.
Die Arbeitslosigkeit führte sie zu equalizent, einem Schulungs- und Beratungszentrum im zweiten Bezirk in Wien. Seit der Gründung 2004 setzt sich das Zentrum für die Öffnung des Arbeitsmarkts für Gehörlose ein.
Rund 450.000 Menschen in Österreich sind schwerhörig, spätertaubt oder gehörlos geboren. Jedoch: Die Zahlen stammen aus dem Jahr 1995, und werden aus Datenschutzgründen nicht mehr erhoben, Bedürfnisse von Gehörlosen damit ebenso nicht.
Seit 2004 schafft das Zentrum equalizent ein Spektrum an Angeboten, u. a. neun Berufsfelder mit den jeweiligen Vorbereitungskursen. Der Fokus liegt in Bereichen mit Fachkräftemangel, wie im Pflege- und Sozialbereich.
Noch vor zwanzig Jahren hätten Schubers Berufsperspektiven mager ausgeschaut. Gehörlose konnten zwischen einfachen handwerklichen Jobs, Hilfsarbeiten oder Arbeitslosigkeit wählen. Mittlerweile bietet das Zentrum neun Fortbildungen für gehörlose Menschen in Österreichischer Gebärdensprache an.
Über equalizent absolvierte Schuber zunächst einen Computeranimationskurs, aber das ständige Sitzen vor dem Computer gefiel ihr nicht. Daraufhin nahm sie an dem neunmonatigen Vorbereitungslehrgang zur „Pflegeassistenz und Diplomsozialbetreuung Familienarbeit“ teil, der überging in eine zweijährige Ausbildung bei der Caritas und ein Diplomjahr.
Durch die Ausbildung mit Stützlehrerin
Unterstützt wird der Kurs durch das Sozialministerium und das Arbeitsmarktservice Wien. Die Ausbildung sei nicht leicht gewesen, sie habe die Hilfe einer Stützlehrerin gebraucht, erzählt Schuber. Im Juni machte sie ihren Abschluss und gehört damit zu den ersten gehörlosen AbsolventInnen.
In der Berufsschule bemühte man sich, Brücken zwischen Hörenden und Gehörlosen zu schlagen. „Es wurden uns auch DolmetscherInnen zur Verfügung gestellt, aber die Unterrichtsmethoden sind für Hörende konzipiert. Gehörlose brauchen mehr bildhaft aufgebaute Stunden.“
Begrenzte Budgets für Hilfeleistungen
Auch dieses Erlebnis teilen viele Gehörlose: Hilfeleistungen, die zur Hürde werden. So könne man zwar für Vorstellungsgespräche DolmetscherInnen buchen, die Kosten werden vom Sozialministerium übernommen, so Schuber.
„Allerdings ist das Budget begrenzt, und Antragstellung und Bewilligung haben lange Vorlaufzeiten.“ Auch dies führe zu einer eingeschränkten Teilnahme am gesellschaftlichen Leben.
Bewerbungsgespräche ohne Hilfe
Insgesamt zehn Praktika absolvierte Schuber während ihrer Ausbildung, ihre Gehörlosigkeit empfand die Mehrheit der Arbeitgeber nicht als Nachteil, so Schuber. Bei Pflegebehandlungen achte sie vor allem auf die Mimik der PatientInnen. Auch ihr Umfeld lerne, durch Winken oder Schulterklopfen auf sich aufmerksam zu machen.
Nach ihrem Abschluss begann die Jobsuche, Bewerbungsgespräche führte Schuber ohne Unterstützung, schriftlich und über Pantomime.
Mit Erfolg: Seit einer Woche ist Schuber im Pflegebereich tätig. In einer eMail schreibt sie: „Ich muss mich noch zurechtfinden, aber es wird schon.“ Auch die Arbeit mit den PatientInnen laufe gut: „Alle sind nett und freundlich.“
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