Obamas Redenschreiber: "Er hat 20 Jahre geübt, um gut zu werden"

U.S. President Barack Obama delivers his speech at Rhenus sports arena in Strasbourg
Terry Szuplat schrieb Hunderte Reden für US-Präsident Barack Obama. Worauf es ankommt und warum wir alle gute Redner sein können.

Barack Obama gilt als einer der besten Redner unserer Zeit. Die Skripts für diese Reden kommen großteils aus dem Beraterstab des Präsidenten. Terry Szuplat war acht Jahre lang im Weißen Haus an der Seite von Obama. Als sein Sonderassistent schrieb Szuplat 500 Reden für den Präsidenten, die zum Teil Geschichte schrieben.

So eine Zusammenarbeit ist nah und intensiv, erzählt Szuplat im Interview mit dem KURIER. Zu jeder Tages- und Nachtzeit war man bei Bedarf im Einsatz – Besprechungen im Büro des Präsidenten, Diskussionen darüber, was und wie man die Dinge sagen will. Denn, erklärt Szuplat: Bevor man eine Rede schreiben kann, ist die Geschichte, die man erzählen will, relevant. Wie ist unser Standpunkt, was denkt der Präsident, was will er sagen und was soll von der Rede hängen bleiben?

Szuplat hat sich das Denken und Sprechen von Barack Obama angeeignet. Das größte Kompliment für den Redenschreiber? „Oh, das klingt genau wie ich.“

KURIER: In einer Welt, in der jeder hinaussagen kann, was er denkt: Was ist aus der gut durchdachten Rede geworden?

Terry Szuplat: Jeder kann heute alles in die Welt hinausschreien, das stimmt. Aber ich glaube und hoffe, dass es einen Platz für gute Sätze, gute Sprache und Kommunikation gibt.

Wenn wir uns den aktuellen US-Präsidenten ansehen, könnte man glauben, alles, was er sagt, ist spontan und wenig überlegt.

Vieles, was er sagt und macht, ist spontan. Das lieben seine Anhänger, das hassen seine Kritiker. In der Politik, wo jedes Wort den Unterschied zwischen Spannung, Krieg, Frieden und Verwirrung ausmachen kann, denke ich, dass es eine echte Gefahr gibt, wenn man zu viel improvisiert. Aber es ist wichtig, sich zu fragen, warum so viele Menschen Trump bewundern. Es herrscht viel Misstrauen in Politiker und Führungskräfte, die einfach nur eine umfragebasierte, klinisch sterile Rhetorik vortragen. Und dann kommt jemand, der authentisch zu sprechen scheint. Es überrascht mich also nicht, dass viele Menschen davon angezogen werden. Eine der Lehren, die man daraus ziehen sollte: Wir müssen in unserer eigenen Kommunikation authentischer sein.

Trumps Redenschreiber muss es ziemlich schwer haben.

Das wird wohl so sein. Man merkt klar den Unterschied, wenn Donald Trump authentisch spricht und improvisiert oder wenn er etwas abliest. Wenn er abliest, sieht er gelangweilt aus. So, als wäre er in einem Geiselvideo und würde zu etwas gezwungen, das er nicht tun will. Und am nächsten Tag sagt er dann das Gegenteil. Hinter allem steht aber: Es ist seine bewusste Entscheidung, so zu sein. Es geht ihm darum, seine Gegner in Atem zu halten. Sich immer alle Optionen offen zu halten. In der Diplomatie nennen wir das strategische Ambiguität – es gibt Handlungsspielraum. Was nach Chaos aussieht, ist in Wirklichkeit eine bewusste Strategie.

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Terry Szuplat schrieb 500 Reden für Ex-US-Präsident Barack Obama –  war von 2009 bis 2017 sein Sonderberater  im Weißen Haus. 

Umso mehr wirkt eine gute Rede wie etwas aus einer anderen Zeit.

Ich glaube nicht. Alle paar Wochen oder Monate geht eine Rede oder ein Kommentar viral. Dann klicken Millionen Menschen und liken, weil das, was gesagt wurde, sie bewegt und sie das Bedürfnis verspüren, es mit Freunden, Familie und ihren sozialen Netzwerken zu teilen. Zum ersten Mal in der Geschichte haben wir tatsächlich Messwerte dafür, was Anklang findet. Das ist faszinierend, weil es für uns ein Zeichen dafür ist, dass diese Person eine tiefe emotionale Verbindung zu uns allen hergestellt hat. Und so sind soziale Medien auf eine seltsame, sogar ironische Weise ein Turboeffekt: Die meisten Reden sind sofort vergessen. Aber es gibt ein paar, von denen wir alle hören und über die wir alle sprechen, weil sie viral gegangen sind und Millionen von Menschen erreichen.

Was haben die guten Reden, was andere nicht haben?

Es ist Originalität, Authentizität, Intensität und Leidenschaft. Jedes Mal, wenn eine Rede viral geht, liegt das daran, dass sie etwas Wahres angesprochen hat, das die Menschen bewegt. Eine gute Rede gibt den Menschen eine Stimme für das, was sie fühlen. Mein Tipp ist immer: Sagen Sie etwas, trauen Sie sich, beziehen Sie Stellung, nehmen Sie eine Position ein. Rezitieren Sie nicht einfach, sondern bringen Sie die Sache auf den Punkt.

Sie haben 500 Reden für Präsident Barack Obama geschrieben. Was war für ihn wichtig – und was war für Sie wichtig?

Ich denke, das Wichtigste war, dass er immer versucht hat, auf den Moment einzugehen. Was musste in diesem Moment gesagt werden, um das Gespräch in eine bestimmte Richtung zu lenken? Das ist etwas, was wir uns alle fragen sollten: Was muss gerade jetzt für mein Unternehmen, meine Gemeinschaft, meine Familie gesagt werden? Was muss das Publikum hören? Was braucht es?

Wie funktioniert das eigentlich, für einen Präsidenten zu schreiben? Bei den wirklich wichtigen Reden, von denen einige ja auch in Europa gehalten wurden, suchten wir ihn ein paar Tage oder Wochen vor der Veranstaltung auf, setzten uns alle zusammen, um zu erfahren, was ihn beschäftigte. Natürlich brachten wir auch unsere eigenen Gedanken ein, weil er auch immer fragte: Was denken Sie darüber? Aber eigentlich war es für uns die wichtige Gelegenheit, zu erfahren, was er dachte und was er sagen wollte. Und das war dann die Basis für mich als Redenschreiber.

Sie sagen: 50 Prozent einer guten Rede ist die Vorbereitung.

Das stimmt. Dieses Zusammensetzen und darüber Reden war Teil dieser 50 Prozent Vorbereitung. Wir Redenschreiber sind keine Gedankenleser. Großartige Führungskräfte und Kommunikatoren nehmen sich Zeit zum Nachdenken, sie setzen sich hin und überlegen, was die Botschaft sein soll. Das spiegelt sich dann in einer guten Rede wider.

Wurde die fertige Rede dann vom Präsidenten einfach übernommen oder hat er sie abgeändert?

Wir schickten ihm diese Reden vorab zu. Manchmal nahm er nur ein paar kleine Änderungen vor, aber manchmal schrieb er sie über Nacht komplett um. Er nahm seinen Stift zur Hand und überschrieb einfach alles. Als Redenschreiber hatte ich dann immer ein wenig das Gefühl, dass wir ihn im Stich gelassen hatten. Aber als Bürger finde ich das großartig: dass sich der Präsident so sehr darum kümmert, alles richtig machen zu wollen. Er war bereit, Zeit zu investieren, um sicherzustellen, dass er das sagte, was er sagen wollte. Und selbst, wenn die Rede dann auf dem Papier war, konnte es sein, dass er während der Rede immer noch improvisierte. Weil spontan ein Gedanke hinzukam oder weil er spürte, dass es das Publikum in dem Moment anders brauchte.

Haben Sie einen eigenen Schreibstil für ihn entwickelt?

Das ist eines der Missverständnisse über Redenschreiber. Wenn man ein guter Redenschreiber ist, ist das Erste und Wichtigste, zuzuhören. Zu wissen, wie er spricht, wie er denkt und wie er die Welt sieht. Ich habe ja erst angefangen, für ihn zu schreiben, als er bereits Präsident war. Wir hatten also jahrelange Reden, Bücher und Artikel von ihm zur Verfügung. Meine Aufgabe war es nicht, Obama neu zu erfinden oder ihn dazu zu bringen, so zu denken und zu sprechen wie ich es mir vorstellte. Es war genau umgekehrt: Ich musste seine Stimme und seinen Stil lernen. Also habe ich mir seine Reden angehört. Ich las alles, was er jemals geschrieben oder gesagt hatte. Es war meine Aufgabe, ihm Entwürfe zu liefern, die wie seine eigenen klangen. Eines der besten Komplimente, die man als Redenschreiber bekommt, ist: „Oh, das ist großartig, das klingt genau wie ich.“

Was war für Obama das Wichtigste an den Texten?

Der Kontext und das Storytelling. Wir gingen ins Oval Office, setzten uns zu ihm und sprachen über die Veranstaltung. Er fragte uns oft: „Was ist die Geschichte, die wir erzählen wollen? Was ist die Botschaft, die wir diesem Publikum vermitteln wollen?“ Er wusste, dass das die wichtige Basis war. Er wollte immer sicherstellen, dass wir eine kohärente, überzeugende und klare Geschichte erzählten. Wir haben das doch alle schon erlebt: Eine Präsentation oder Rede, wo man sich danach gefragt hat: Was war das denn? Was soll die Botschaft sein? Es ist also eine wichtige Lektion: Überlege zuerst die Botschaft, die großartigen Zeilen kommen später dazu.

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Terry Szuplat |„Say it well“ | Piper Verlag | 430 Seiten | 26,50 Euro 

Die perfekte Rede braucht aber auch jemanden, der sie vortragen kann. Obama konnte das, aber nicht jeder ist ein guter Redner.

Ich habe dieses Buch geschrieben, weil ich fest davon überzeugt bin, dass gutes Sprechen eine Fähigkeit ist, die jeder lernen kann. Wirklich jeder kann darin großartig sein. Als Beispiel erzähle ich gerne die Geschichte von Obama, als er 2004 auf dem Parteitag der Demokraten diese berühmte Rede hielt. Alle sagten: Was für ein begnadeter Redner! Was sie vergessen: Er war damals 42 und hatte jahrelang an dieser Rede gearbeitet. Sie war authentisch und entsprach seinem Wesen. Sie kam von Herzen. Er hat daran gearbeitet, jahrzehntelang. Wenn Sie Barack Obama für einen großartigen Redner halten, dann müssen Sie auch sehen, dass er 20 Jahre lang geübt hat, wirklich gut zu werden. Es gab nämlich durchaus eine Zeit, in der auch er mit öffentlichen Reden zu kämpfen hatte. Aber er wollte besser werden.

Eine Rede kann die Welt verändern. Das haben wir in der Geschichte gesehen – bei Martin Luther King oder John F. Kennedy oder eben auch Barack Obama. Glauben Sie, dass diese Kraft immer noch existiert?

Auf jeden Fall. Vielleicht sogar noch mehr als früher. Ich komme immer wieder auf die Tatsache zurück, dass alle paar Wochen, alle paar Monate eine Rede viral geht, weil sie die Herzen und Köpfe von Millionen von Menschen auf der ganzen Welt berührt. Dank des Internets und der sozialen Medien muss man heute nicht mehr berühmt sein, um Millionen von Menschen zu erreichen. Das ist manchmal ein Fluch, aber es ist auch ein großes Geschenk.

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