Jedes Gespräch planen und Streitereien verlieren: Dazu rät ein US-Staranwalt

Unter einer Minute dauert das Video, das Jefferson Fisher am 7. April 2022 auf seinen Social-Media-Kanälen veröffentlicht. „How to argue like a lawyer pt1“ lautet der Titel, übersetzt „Argumentiere wie ein Anwalt Teil eins“. Fisher ist Prozessanwalt in Texas und spezialisiert auf Personenschäden. Anders als viele seiner Kollegen nutzt er Social Media nicht, um exzessiv für seine eigene Kanzlei zu werben oder juristische Empfehlungen abzugeben. Er teilt Tipps für besseres Kommunizieren und begeistert damit Millionen.
Konkret über sechs Millionen Menschen auf Instagram, 1,4 Millionen auf TikTok. Seit einem Jahr betreibt er einen Podcast und im März 2025 erschien sein erstes Buch. Ein Bestseller, den es seit Mai auch auf Deutsch unter dem Titel „Beim nächsten Gespräch läuft alles besser“ gibt.
Der KURIER hat Jefferson Fisher via Videotelefonat erreicht – mit sieben Stunden Zeitunterschied, aber ausgezeichneter Verbindung. Er verrät im Interview, wie sein Job ihn lehrt, Gesprächen mehr Aufmerksamkeit zu schenken und welche kleine Veränderung jedes Gespräch besser macht.
KURIER: Sie sind in einer Familie voller Anwälte und Richter aufgewachsen. Fluch oder Segen?
Jefferson Fisher: Für mich ist es ein Segen. Ich habe gelernt, wie man Konflikte löst, wie man öffentlich spricht und Geschichten erzählt. Natürlich gibt es wie in jeder Familie auch Schattenseiten, denn man kann niemandem etwas vormachen. Sie sind sehr schnell dabei, Fragen zu stellen, hinterfragen, was deine Motive sind. Es ist, als würde man immer mit wirklich guten Schachspielern Schach spielen.
Warum ist der Anwaltsberuf eine gute Basis, um Kommunikationsprofi zu werden?
Menschen sprechen meist mit einer Person. Es gibt niemanden, der zuhört, niemanden, der Fragen stellt, außer der Person, mit der man spricht. Wenn ich als Prozessanwalt Informationen von einem Zeugen erhalten muss, der meine Fragen vielleicht nicht beantworten will, habe ich einen Richter, einen Protokollführer, einen Gerichtsvollzieher, einen gegnerischen Anwalt, den eigenen Mandanten und zwölf Geschworene im Hintergrund. Das fügt dem Ganzen weitere Dimensionen hinzu, die helfen, distanzierter und objektiver zu sein. Es geht nicht nur darum, ein Gespräch zu führen, sondern sich selbst bei einem Gespräch zu beobachten.
Sie stellten fest, es geht selten darum, was wir sagen, sondern wie wir etwas sagen. Auch bei Gericht.
Zu 80 bis 90 Prozent geht es darum, wie wir etwas sagen. Ich kann ,okay’ sagen, in einem sehr angenehmen Ton. Ich kann ,oookay?’ sagen, in unhöflichem, abweisendem Ton. Die Worte sind dieselben, aber der Tonfall lässt uns denken: ,Weißt du was, ich glaube, das gefällt mir nicht!’ Das allein reicht aus, um uns in eine schlechte Stimmung zu versetzen, anderer Meinung zu sein oder in einen Streit zu geraten.
Kommen Ihnen die richtigen Worte schon automatisch oder müssen Sie lange darüber nachdenken?
Wir müssen alle unbedingt mehr über unsere Worte nachdenken und sie im Voraus planen. Es ist schon komisch: Die Menschen haben kein Problem damit, ihre Ernährung zu planen, manchmal für eine ganze Woche. Aber wir schenken dem, was wir viel mehr tun, nämlich zu kommunizieren, keine Aufmerksamkeit. Mit wem wir an einem Tag sprechen und wie wir sicherstellen, dass diese Gespräche gut verlaufen. Auch im Gerichtssaal planen wir alles im Vorhinein. Wir wissen, was wir sagen werden, wir wissen, worauf wir hinauswollen und welche Informationen wir den Zeugen entlocken müssen.
Dennoch plädieren Sie dafür, nicht alle Ziele in einer Unterhaltung erreichen zu müssen.
Es kommt selten vor, dass man nur ein einziges Gespräch mit einer Person führt. Es sei denn, es handelt sich um einen Fremden, der einem auf der Straße begegnet. Nehmen wir also an, ich möchte Ihre Meinung zu etwas ändern. Darf ich Sie fragen: Haben Sie schon einmal Ihre Meinung während eines Gesprächs geändert?
Wahrscheinlich nicht.
Selten, wenn überhaupt. Man ändert seine Meinung erst nach dem Gespräch, wenn man anfängt, darüber nachzudenken.
Bedeutet das, in Gesprächen zurückhaltender sein zu müssen?
Nein, ganz im Gegenteil. Es geht darum, selbstbewusst und direkt zu sein, aber nicht unhöflich.
Wo ziehen Sie die Grenze?
Sagen wir, Sie schreien mich an. Eine aggressive Stimme würde sagen: ,Du kannst mich nicht anschreien.’ Aber dann überlasse ich dem anderen die Kontrolle. Stattdessen empfehle ich zu sagen: ,Ich reagiere nicht auf diese Lautstärke.’
Dafür braucht es Selbstbewusstsein.
Die Leute denken oft, dass Selbstvertrauen etwas ist, das man in sich selbst aufbauen muss. Dass man sich aufputschen muss, bevor man in ein Gespräch geht. So funktioniert es aber nicht. Selbstvertrauen ist ein Gefühl, das durch etwas ausgelöst werden muss. Genauso wie Glück, Schmerz und Traurigkeit durch irgendetwas ausgelöst werden. Wenn Sie sich selbstbewusster fühlen wollen, müssen Sie eine selbstbewusste Stimme benutzen. Eine Stimme, die zwischen Aggression und Passivität liegt. Aggressiv bedeutet: Ich respektiere dich nicht. Passiv bedeutet: Ich respektiere mich nicht. Durchsetzungsfähig bedeutet, sich selbst und die andere Person zu respektieren.
Wenn wir selbstbewusst sprechen und jemand möchte dennoch nicht zuhören. Was dann?
Lassen Sie uns das in einen Kontext setzen: Jemand unterbricht Sie. Was tun Sie dann? Erstens, Sie benutzen den Namen, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Ich weiß, es klingt simpel, aber Namen sind sehr wirkungsvoll, es gibt nichts Schöneres für jemanden als den Klang seines eigenen Namens. Nummer zwei: Verwenden Sie einen Satz, der die Person darauf aufmerksam macht, was sie tut, ohne ihr böse zu sein. Zum Beispiel: ,Ich kann dich nicht hören, wenn du mich unterbrichst.’ Sie lassen dem anderen einen Moment Zeit und sind nicht abweisend. Das ist oft sehr hilfreich.
Haben Sie einen Tipp, der jedes Gespräch automatisch besser macht?
Da gibt es einige. Zum Beispiel: Wenn jemand etwas zu Ihnen sagt, das Ihnen nicht gefällt, sagen Sie trotzdem: ,Ich stimme zu.’ Sie stimmen vielleicht nicht mit dem überein, was derjenige gesagt hat, aber geben das Gefühl, die andere Meinung wertzuschätzen. Etwa mit den Worten: ,Ich stimme zu, das ist ein Gespräch wert.’ Oder: ,Ich stimme zu, das ist ein wichtiger Punkt.’ Die andere Person erkennt, sie muss nicht gegen Sie ankämpfen, wird weicher und offener für das, was Sie sagen.
Eine Diskussion gewinnen darf aber nie das Ziel sein, sagen Sie.
Was bedeutet es, einen Streit zu gewinnen? Normalerweise ist es die letzte Person, die noch steht. Es ist die Person, die das Gemeinste sagt, die am längsten streitet. Bedeutet das wirklich, dass Sie gewonnen haben? Was haben Sie gewonnen? Verachtung, peinliches Schweigen vielleicht. Ich plädiere dafür, Diskussionen nicht zu gewinnen, sondern zu entwirren. Man muss sie als kleine Knoten in der Kommunikationslinie sehen und diszipliniert und schnell darin werden, die Knoten zu lösen. Denn was passiert, wenn an zwei Enden gezogen wird? Der Knoten wird fester und es wird schwieriger, ihn zu lösen.

Jefferson Fisher: „Beim nächsten Gespräch läuft alles besser“| Goldmann Verlag | 288 Seiten | 19 Euro
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