Es gibt kein Patentrezept. Wer alleinerziehend ist, ist allein für das Leben eines oder mehrerer kleiner Menschen verantwortlich. Und hat je nach Privileg mehr oder weniger Möglichkeiten, das eigene zu gestalten, privat wie beruflich. „Es ist ein großer Unterschied, ob man allein- oder getrennt erziehend ist“, sagt Erika Heimhilcher. „Als getrennt Erziehende habe ich manchmal Pausen. Als Alleinstehende nie.“ Heimhilcher weiß, wovon sie spricht.
Sie selbst zog ihren heute neunjährigen Sohn allein auf, ist Hebamme und Personal Coach in Wien. Sie hat sich beruflich darauf fokussiert, Mütter zu ermutigen, sich nicht vom gesellschaftlichen Erwartungsdruck leiten zu lassen. Denn die Bedingungen für Mütter, insbesondere Alleinerzieherinnen, sind herausfordernd.
2024 zählte die Statistik Austria 2,5 Millionen Familien in Österreich. Knapp 300.000 davon sind Ein-Eltern-Haushalte (zwölf Prozent), wobei nicht erfasst wird, ob es sich um „klassische Alleinerziehende“ handelt oder um getrennte Personen, die sich die Kinderbetreuung aufteilen.
Was aber der Sozialbericht des Ministeriums erfasst: Alleinerzieherinnen (der Frauenanteil liegt bei 83 Prozent) sind zu 70 Prozent erwerbstätig, ein Drittel davon Vollzeit. Und wieder ein Drittel der erwerbstätigen Single-Mamas ist armutsgefährdet.
Da wundert es kaum, dass eine der wichtigsten Fragen, die sich Alleinstehende stellen, lautet: „Was brauche ich zum Leben“, sagt Erika Heimhilcher. Und wie lässt sich in die Erwerbsarbeit einsteigen, wenn die Care-Arbeit einen so großen Raum einnimmt?
Erika Heimhilcher von „EmpowHer“ ist Hebamme und Coachin
Der Fünf-Punkte-Plan
Schon in der Schwangerschaft einen Plan machen, bringt nichts, erklärt die Hebamme: „Du weißt nicht, welche Ansprüche dein Kind hat und wie es dir selbst damit geht, es in die Fremdbetreuung zu geben.“ Ungefragte Ratschläge sind also das Letzte, was (werdende) Mamas brauchen. Insiderwissen von anderen Müttern kann aber praktisch sein. Weshalb Erika Heimhilcher bereit ist, ihre fünf größten Erkenntnisse zu teilen. Und stimmt mit vier weiteren Mamas überein, die der KURIER getroffen hat.
Zuerst würde Heimhilcher allen Müttern raten, ihre Ansprüche neu zu definieren. Nicht runterzuschrauben, sondern neu zu bewerten. „Der Perfektionismus muss schwinden“, sagt sie. „Meine Frage, die ich Müttern immer stelle, ist: Hast du für dich hundert Prozent gegeben? Die Antwort ist fast immer ja. Dann braucht es auch kein schlechtes Gewissen.“
Punkt zwei: Wirklich lernen, nach Hilfe zu fragen. Denn ganz alleine geht es nicht, weiß die Hebamme. Ob Familie, Freunde oder Netzwerke. „Man muss sich zusammentun, sein eigenes Dorf schaffen“, rät die Expertin. Dann gelingt es, sich mit steigendem Alter des Kindes auch wieder selbst in den Fokus zu rücken.
Und realistische Ziele zu setzen (Punkt drei): „Weil man wenige Pausen hat, träumt man oft von Dingen, die unrealistisch sind. Etwa von einer Woche Urlaub ganz allein“, sagt Heimhilcher. Besser wäre es, mit kleinen Momenten der Selbstfürsorge zu starten. Und sich langsam zu steigern.
Punkt vier fordert eine offene Kommunikation mit dem Kind. „Das darf man ihnen zutrauen“, sagt sie. Sei es, dass der Job mehr Zeit einnimmt oder man einfach Zeit für sich selbst braucht. „Es muss wissen: Ich bin kein Roboter, der Tag und Nacht funktioniert.“
Der fünfte und wohl wichtigste Punkt für die Coachin: You do you. „Jede Mama soll bitte so handeln, wie es für sie und ihre Situation passt. Weil eines ist gewiss: Jede Mutter gibt ihr Bestes und das Beste definiert jeder anders. Und das ist auch gut so.“
Wie sich diese fünf Punkte in der Realität umsetzen lassen, berichten vier Mamas offen dem KURIER und zeigen auch die positiven Seiten des Alleinerziehens auf.
Adele Klimczak (Angestellte) baut sich Netzwerke
„Es gab keine Auszeit für mich. Also habe ich mir Hilfe geholt“
„Es ist das, was ich immer mache, auch schon in der Schwangerschaft. Ich schaffe mir Netzwerke“, sagt Adele Klimczak, als sie der KURIER am Franziskanerplatz in Wien trifft. Klimczak ist Business Development Managerin, arbeitet bei Brizo IT Consulting. Sie stockte von geringfügig auf Teilzeit und seit über einem Jahr auf Vollzeit mit All-in-Vertrag auf. „Es hat sich so ergeben“, sagt sie. Der Arbeitgeber ist familienfreundlich, sieht viel Potenzial in ihr. Mittlerweile steht sogar eine Firmenbeteiligung im Raum.
Damit gerechnet, so im Berufsleben anzukommen, hat die Alleinerzieherin vor ein paar Jahren noch nicht. Denn die Bedingungen waren nicht einfach.
Klimczak ist gebürtige Polin, kam vor zwanzig Jahren nach Wien, studierte Politikwissenschaft und Wirtschaftsrecht. Noch vor ihrem 30. Geburtstag hatte sie zwei Töchter und war im Grunde ab der Geburt des zweiten Kindes völlig auf sich allein gestellt. Die Familie in Polen, der Vater der Kinder manchmal über Jahre nicht präsent. Einer Erwerbsarbeit nachgehen? Die ersten Jahre fast unmöglich.
Adele Klimczak stockte Schritt für Schritt beruflich auf
„Ich war abhängig von sozialen Hilfen. Aber ich war voller Power. Es war wie ein Adrenalin-Kick, das zu schaffen.“ Das wichtigste Learning aus dieser Zeit: Sich Hilfe zu holen, sagt sie. „Ich habe gemerkt, dass ich nicht unendlich viel Kraft habe. Das muss man erst lernen.“ Also baute sie ein Netzwerk auf. Stellte sich in der Nachbarschaft vor, eröffnete eine Gruppe auf Facebook und kam mit anderen Eltern ins Gespräch.
„Sobald ich mitbekommen habe, dass meine Kinder mit anderen Kindern gut befreundet sind, habe ich die Eltern zu uns eingeladen. Damit sie sich ein Bild machen und Vertrauen aufbauen können. Das hat geklappt.“
Reden. Einfach miteinander reden. Ich finde das so wichtig.
von Adele Klimczak
Adele Klimczak fand viele Menschen, denen sie etwas anbieten konnte, wo sie auch etwas zurückbekam. Und diese Menschen wurden zu engen Freunden. Sogar Geschäftsreisen, die sie in ihrem Job ein- bis zweimal im Monat hat, sind so möglich. Aber auch persönliche Auszeiten. Die heute zehn- bzw. elfjährigen Töchter übernachten dann bei Freunden, im Gegenzug ist auch bei Adele Klimczak häufig volles Haus. „Je mehr, desto angenehmer“, sieht sie es gelassen.
„Ich bin ein Team mit meinen Kindern, sie sind super selbstständig“, sagt Adele Klimczak stolz. „Meine Freundinnen sagen manchmal: Sie sind neidisch auf die polnische, strenge Erziehung“, schmunzelt sie. Die Kinder stehen schon seit dem Volksschulalter alleine auf, gehen in die Schule. „Die Große ruft nach der Schule an und fragt: Mama, was ist zu tun?“ Und tatsächlich ruft die Tochter auch während des Gesprächs mit dem KURIER an, fragt, ob Einkäufe zu erledigen sind. Die Kleinere ist in der Ganztagsschule gut betreut. „Da bin ich schon erleichtert, weil da weiß ich: An diesen Tagen kann ich länger arbeiten“, erzählt Klimczak.
„Selbstständigkeit bringt Flexibilität, verlangt aber eine wichtige Entscheidung ab“
Seit 2003 führt Katharina Rauschmeier die Gebäude-Reinigungsfirma dvb im 18. Wiener Bezirk. Es war „ihr erstes Baby“, erzählt sie, doch vor elf Jahren kamen zwei dazu, ihre Zwillingsburschen. Seit diese zwei Jahre alt sind, kümmert sich Rauschmeier allein um ihre Kinder, sagt sie. Ihre Mutter, die 2020 plötzlich verstarb, war eine wichtige Stütze. Und trotzdem wusste Katharina Rauschmeier schnell, dass sie eine Entscheidung treffen muss: Ihre Zwillinge früh fremd betreuen lassen oder im Business Unterstützung einholen und Verantwortung abgeben.
Die Unternehmerin hat elfjährige Zwillinge und den Welpen Buddy
Den Kostenfaktor musste sie in beiden Fällen berücksichtigen. „Den habe ich bei einer Nanny, aber auch, wenn ich im Unternehmen jemanden zusätzlich brauche.“ Für Rauschmeier war die Sache klar.
Sie baute eine rechte Hand im Unternehmen auf, „die einspringt, wenn etwas ist.“ Außerdem reduzierte sie Aufträge, stellte die Firma vorerst personell kleiner auf. „Ich trage ja nicht nur für meine Familie die Verantwortung, sondern auch für die Familien meiner Mitarbeiter“, sagt sie. „Das Business muss rennen, damit ich die Gehälter zahlen kann.“ Leicht fiel ihr der Schritt zur Reduktion nicht, sagt Rauschmeier. Aber er ist auch nicht endgültig. „In drei Jahren, wenn die Kinder älter sind, kann ich wieder entscheiden: Lasse ich es so oder baue ich auf?“
Je älter die Kinder werden, desto mehr wechselt die Single Mum in den „Stand-by-Modus“ scherzt sie. Nur für die Fußballtrainings, die einmal die Woche stattfinden, hat sich die Unternehmerin jetzt eine Nanny zugelegt. Die Kosten: 60 Euro pro Woche. Das lohnt sich, weil Rauschmeiers eigene Arbeitsstunden, die sie verpassen würde, ihr teurer kämen.
Du hast einen Zeitplan, aber die Flexibilität musst du akzeptieren im Leben.
von Katharina Rauschmeier
Was ihr bislang geholfen hat, Kinder und Beruf zu meistern? Ein gutes Zeitmanagement. „Ohne dem geht gar nichts.“ Zeitpläne erstellt die Unternehmerin wie Businesspläne – detailliert und akribisch. Ist aber jederzeit bereit, diese wieder zu kippen.
In der Selbstständigkeit wäre das einfacher, ist ihr bewusst. Sie könne von überall aus arbeiten und macht das auch. Nach der Geburt spazierte sie mit dem Kinderwagen durch den Türkenschanzpark, führte nebenbei Business-Telefonate. „Meine Kinder sind das immer schon gewohnt“, sagt sie. Sie sind damit aufgewachsen, kennen den Betrieb, alle Mitarbeiter. Nur manchmal weisen sie ihre Mutter darauf hin, das Handy wegzulegen.
Was Rauschmeier rückblickend betrachtet anders machen würde? Sich weniger Gedanken machen. „Kinder sind viel selbstständiger, als wir glauben und sie verstehen viel mehr, als wir ihnen zutrauen. Ich glaube, ich habe sie in eine sehr gute Selbstständigkeit entlassen.“
Kristina Husajina (Angestellte) entscheidet selbst
„Der Arbeitsmarkt gibt momentan für uns engagierte Mütter viel her“
„Alles, was ich gemacht habe, habe ich immer um die Kinder herumgebaut“, sagt Kristina Husajina. Sie ist Bildungsberaterin, 32 Stunden angestellt, hat nebenbei noch das Gewerbe zur Familienberaterin angemeldet. In Karenz war sie immer nur kurz. Ein Jahr nach der Geburt ihrer heute 25-jährigen Tochter arbeitete sie Teilzeit bei einem Internet-Provider, stockte ein Jahr später auf Vollzeit auf. Ihren Pflegesohn nahm sie im Alter von fünf Monaten in die Familie auf. „Punktgenau mit dem ersten Geburtstag war er im Kindergarten und ich habe wieder mit 30 Stunden begonnen“, erzählt die Zweifach-Mama.
Job und Familie müssen vereinbar und organisierbar sein, sagt Kristina Husajina
Geld war immer ein wichtiger Aspekt, schnell wieder in den Job einzusteigen, sagt sie. Denn ihre Tochter zog sie größtenteils allein groß, ihren Sohn, dessen Alltagsbetreuung durch Therapien, Arzt- und Amtsbesuche noch einmal intensiver ist, auch.
Es gab Zeiten, wo das Geld knapp wurde. Das hat sich eingebrannt, erinnert sie sich. „Weil ich zu viel Geld hatte für Förderungen und zu wenig zum Leben.“ Dennoch ging Husajina, wenn es zeitlich möglich war, einer großen Leidenschaft nach: sich weiterzubilden. Das machte sich bezahlt.
„Ich rate wirklich, über den Tellerrand zu schauen“, sagt Kristina Husajina. „Wir Frauen haben oft viele Ausbildungen, Berufserfahrung und organisatorische Fähigkeiten, die auf den ersten Blick nicht verwertbar erscheinen.“ Doch das sind sie, weiß Husajina, die deshalb den Mut hatte, über das gesamte Berufsleben hinweg, ihren Job zu evaluieren. Zu schauen, ob die Arbeitsbedingungen mit ihrem Leben vereinbar sind. „Wenn man das Gefühl hat, dass es einen Arbeitgeber gibt, der besser passt, würde ich raten: Probieren.“
Ich war von Anfang an ehrlich beim Bewerbungsgespräch. Ich weiß, das ist schwierig. Aber es ist die Basis.
von Kristina Husajina
Nicht jeder Wechsel muss gelingen – es gab auch zwei Jahre, in denen die Beraterin ungeplant arbeitslos war. Doch die Bedingungen haben sich verändert, beobachtet sie. „Ich glaube, dass der Arbeitsmarkt für uns engagierte Mütter, mit viel Erfahrung und Ausbildung, momentan viel hergibt.“
Vor Kurzem fasste sie deshalb den Entschluss, ihren Arbeitgeber nach über 16 Jahren zu wechseln. Und legte in fünf Bewerbungsgesprächen die Karten offen auf den Tisch: Job und Familie müssen besser organisierbar sein. Ablehnung erfuhr sie keine, stattdessen gab es fünf Zusagen.
„Ich bin jemand, der die Dinge gerne selbst in die Hand nimmt“, erzählt Husajina. „Für mich und für die Kinder. Aber nicht gerne für andere Erwachsene.“ Durch diese Erkenntnis lernte sie, eine bestimmte Sache am Alleinerziehen zu schätzen: „Dass die Verantwortung, die man alleine trägt, keine Last ist.“
Natürlich wäre der Alltag als Alleinstehende auch belastend, ordnet sie ein. „Aber es hat auch ganz viele Pluspunkte und Vorteile. Ich habe immer die Möglichkeit, aus meiner Sicht das Beste für die Kinder zu entscheiden.“
Katharina Hangel (Selbstständig) definiert Ansprüche neu
„Habe meinem Sohn offen erklärt, dass sich nicht alles ausgeht“
Katharina Hangel war ein eingespieltes Team mit ihrem Mann. Gemeinsam zogen sie den ersten Sohn auf, der zweite folgte elf Jahre später. „Mama und Job unter einen Hut zu bringen, war schon in der Partnerschaft eine Herausforderung“, erinnert sie sich. Heute kennt sie auch die andere Perspektive – allein für ein Kind zuständig zu sein. Und das plötzlich.
Vor drei Jahren, da kam der Kleine gerade in die erste Klasse Volksschule, der Ältere stand direkt vor der Matura, verstarb ihr Mann. Kurz bevor seine Erkrankung diagnostiziert wurde, hatte sich Katharina Hangel ein neues Business als psychologische Beraterin aufgebaut. Doch das legte sie in der Sekunde auf Eis. „Ich wusste, dass ich beruflich zurückstecken muss und dass ich Zuhause gebraucht werde.“
Beruflich erfindet sich Katharina Hangel gerne neu – auch als Alleinerzieherin gelang es ihr
Die Zeit nach dem Verlust war ein Albtraum, erzählt sie. „Anfangs hat mir die Luft zum Atmen gefehlt.“ Solange man zu zweit ist, hat der andere immer einen kleinen Freiraum, weiß Hangel. Auch wenn die Kinder nicht mehr im Kleinkindalter sind, brauchen sie doch einiges an Betreuung – nicht zuletzt durch die Trauerverarbeitung. Wie Katharina Hangel lernte, zurecht zukommen?
„Ich habe meine Ansprüche neu definiert“, sagt sie. Alles weiterlaufen lassen, wie bisher – mehrmals die Woche den Jüngeren ins Fußballtraining bringen, immer gebügelte Wäsche und frisch gekochtes Essen – das geht sich nicht aus. „Ich habe meinem kleinen Sohn das auch ganz offen erklärt, ihn ins Boot geholt.“ Dieser zeigte Verständnis, hielt sich an die Routinen, die sie als neues kleines Team vereinbarten.
Ich habe alles runtergeschraubt und den Fokus auf die Dinge gelegt, die gut gelaufen sind.
von Katharina Hangel
Das setzte Energie frei, die Katharina Hangel jetzt auch ins Berufsleben steckt. Kurz überlegte sie, ein Angestellten-Verhältnis anzupeilen. Um für ihre Kinder flexibel zu bleiben, entschied sie sich dagegen. Nicht zuletzt, weil ihr das Unternehmer-Gen auch immer schon im Blut lag.
Also machte sie eine einjährige Ausbildung zur Ghostwriterin und startete ein neues Business. Mit ihrem Unternehmen „Heilsames Schreiben“ textet sie Bücher, hält Reden bei Verabschiedungen oder bei Trauungen. „Jetzt hole ich meinen Sohn nachmittags von der Schule ab, arbeite am Abend, nachts oder am Wochenende weiter.“ Ihrem Mann hat sie versprochen: "Wir werden unseren Weg gehen. Ich schaffe das gemeinsam mit den Kindern." Diesen Plan setzt sie um.
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