Sommerfrische 2.0: Wie historische Villen in den Alpen neu aufleben

Die alte Sommerfrische, einst der saisonale Rückzug der städtischen Elite, war mehr als Ferien und Sommer. Es war ein Lebensgefühl. Ein Wechselspiel aus Kühle und Konversation, aus stiller Bergluft und großen Gedanken. Die beliebte Tradition verband das Private mit dem Gesellschaftlichen, das Land mit Kultur.
Doch dann war sie verschwunden. Verdrängt vom Massentourismus, vom Ferienflieger, vom trügerischen Gefühl, dass Erholung mehr sein müsse als der See oder Berg vor der Haustür. Heute kehrt sie allmählich zurück. Nicht als Kopie des Vergangenen, sondern als neue Haltung, gespeist aus Überdruss und Sehnsucht zugleich.
Die Hitze der Städte, das Diktat der Algorithmen in unserer digitalen Welt, die Taktung des Alltags – all das verlangt nach Gegenentwürfen. Und plötzlich sind „Veranda“, „Salon“ oder „Seebrise“ wieder en vogue. Was die Sommerfrische im 19. Jahrhundert als kulturelles Modell war, wird im 21. zur neuen Ästhetik vom bewussten Wohnen und Entspannen. Nicht zufällig ist es der Alpenraum – Semmering, Salzkammergut, Wechselgebiet –, wo dieser Sinneswandel zunehmend sichtbar wird.

Villa Alma, Wolfgangsee: Die Jahrhundertwendevilla (einst Pension Seebär) wurde behutsam und innovativ zugleich renoviert.
Zurück in die Zukunft
Wo einst Gustav Mahler komponierte und Arthur Schnitzler dinierte, offenbart sich ein neues Verständnis von Heimat und Auszeit. Alte Villen, mit Sorgfalt zu exklusiven Hotels, Eventlocations oder Zweitwohnsitzen restauriert, schreiben Österreichs Sommerfrische-Geschichte weiter. Sie sind keine musealen Kulissen, sondern Wohnräume mit Patina, die bewusst das Heute mit dem Damals verweben.
„Hier, am Ufer des Wolfgangsees, lassen wir die Tradition der Sommerfrische neu aufleben“, sagt Martina Toifl, Eigentümerin und Betreiberin der Villa Alma in St. Gilgen, die gemeinsam mit Designerin Pia Clodi vom Salzburger Studio Eliste einer Jahrhundertwende-Villa neues Leben eingehaucht hat. „Das bedeutet, eine schöne Zeit mit Familie und Freunden zu erbringen. Eine Partie Mensch-ärgere-dich-nicht, ein gutes Buch aus Almas Bibliothek, ein Picknick, Spazieren am See. Unkompliziert und entspannt.“

Martina Toifl, Gründerin von Heym Collections.
Doch es ist nicht nur die relaxte Atmosphäre, die den Orten ihre neue Kraft gibt, sondern die kluge Übersetzung ins Jetzt. Viel Feingefühl und neue MagieIn der Villa Alma trifft Wiener Geflecht auf Stoffe der niederländischen Designerin Ottoline de Vries in Pink, Safran und Türkis, Muschel-Kopfteile der Betten auf das Blau des Sees. „Wir wollten auch innen etwas bieten, das mit dem Seeblick mithalten kann“, sagt Pia Clodi. Selbst das Dach wurde um 90 Grad gedreht, um die Silhouette des Hauses der Jahrhundertwende anzunähern. Mit viel Liebe, und einer Prise Hartnäckigkeit: „Natürlich ist ein rundes Fenster komplizierter als ein eckiges – aber es verleiht dem Ganzen eben auch das gewisse Etwas.“

Villa Schönthaler, Semmering: Benannt nach dem Hofbildhauer Franz Schönthaler, war sie 1882 die erste Villa des europaweit einzigartigen Villen-Ensembles am Semmering.
Die Rückkehr der Sommerfrische ist deshalb mehr als ein ästhetisches Phänomen. Sie ist ein Kommentar zur Wohnkultur, zur Frage, wie wir leben wollen, wenn der Lärm draußen lauter wird. Wer heute eine Villa revitalisiert – ob als private Residenz, als Gästehaus oder als Freizeitlocation – gestaltet nicht nur Räume, sondern Lifestyle.
Villa als Eventlocation
Im Fall der Villa Schönthaler am Semmering wurde ein ikonisches Haus der Gründerzeit mit neuer Technik und viel Feingefühl ausgestattet. Zehn Gästezimmer, ein großzügiger Salon, Bibliothek, Lounge – alles durchkomponiert für Konzerte, Retreats oder kleine Galadinner. „Die Mischung macht den besonderen Charme aus und die Villa zur perfekten Veranstaltungslocation mitten in der Naturkulisse des Semmerings“, sagt Birgit Hackenauer von den Event-Residenzen.

Villa Weiss, Attersee: Die ehemalige Villa Orleans, 1923 vom Architekten Heinz Feichtlbauer für einen brasilianischen Prinzen entworfen, wurde 2016 sorgsam zu einer Fest-Location und einem Boutique-Hotel verwandelt.
Naturkulisse – ein gutes Stichwort. Denn so sehr diese Orte mit Geschichte auftrumpfen, so klar ist ihre neue Magie im Kontext der Landschaft, offen zum See, zur Wiese, zum Sternenhimmel. Wer hier Zeit verbringt, will nicht fliehen, sondern ankommen. Zwischen Originalholztreppen, Lärchenbalkonen, Terrassen mit Blick auf den Schneeberg oder das türkisfarbene Wasser des Attersees wächst eine neue Form von Repräsentation.
Auf der Suche nach Stille
Das zeigt sich auch darin, wer diese neue Sommerfrische heute sucht. Es sind nicht mehr nur Alt-Wiener-Familien mit Erinnerungen an Kindheitssommer in Strohhütten. Es sind Städter auf der Suche nach Stille, Kreative, die bei Workation Arbeit und Erholung verbinden wollen, junge Familien, die sich nach dem Ursprünglichen sehnen. Und es sind auch Unternehmerinnen wie Martina Toifl, die sagen: „Das Gefühl der Sommerfrische ist die Sehnsucht nach Bergen, Seen und Authentizität. Genau das vermitteln wir – mit einem modernen Twist.“
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