Mit Stuck verziert: Wenn Gips zu Fassadenkunst wird

Das Rathaus in Gleisdorf wurde  saniert und mit Stuck vervollständigt.
Stuck ist der Schmuck der Architektur. Er verleiht Fassaden Charakter und Innenräumen Ausdruck. In der Werkstatt von Christian Brezina entsteht jene Kunst, die Häuser veredelt.

Ein schmaler Holzspachtel gleitet über den Rand der Form. Noch ist der Gips feucht, zäh und widerspenstig, aber unter den Händen des erfahrenen Stuckateurs fügt er sich Millimeter für Millimeter zu klaren Linien und feinen Profilen. Kein Lärm, keine Hektik, nur das leise Schaben des Werkzeugs und die Ruhe eines Mannes, der sein Handwerk perfekt beherrscht. „Es braucht Geduld und ein gutes Gefühl für Proportionen“, sagt Christian Brezina und legt das frisch gegossene Stück vorsichtig beiseite.

In seiner Werkstatt in Niederösterreich entstehen Gesimse, Rosetten und Fassadenprofile, die Blicke auf sich ziehen und Gebäuden Ausdruck verleihen. Schmuck und Struktur zugleich. „Das Faszinierende an meinem Beruf ist, dass man wirklich jedes Teil anfertigen kann“, erzählt der 58-Jährige. „Die Grenze ist nur das eigene handwerkliche Geschick.“ Es klingt einfach, doch hinter jedem Relief steckt ein Prozess, der Erfahrung verlangt und Verständnis für Material, Maß und Wirkung.

46-219825611

Stuckateur Christian Brezina, 
 https://stuck.at
 

So wird Stuck gefertigt

Am Anfang steht die Zeichnung. Früher am Brett, heute auch am Bildschirm. „Wir arbeiten mit CAD, zeichnen Ansicht und Querschnitt, bevor der Kunde sein Okay gibt.“ Erst dann beginnt die eigentliche Handarbeit. In Ton oder Gips wird ein Urmodell gebaut, aus dem später die Gussform entsteht. „Das ist die Grundlage“, sagt der Meister, „ohne Gespür für Form und Detail geht gar nichts.“ Jede Linie, jeder Schwung ist bewusst gesetzt.

Sobald die Form steht, beginnt die Produktion. Der Gips wird angerührt, zähflüssig wie Honig, und in die Negativform gegossen. „Zur Armierung geben wir Sisalfasern, Jute oder Glasfasergewebe dazu. Das macht die Teile stabiler.“ Mit ruhiger Hand zieht Brezina den überstehenden Rand ab. Dann folgt der Moment der Wahrheit, das Entformen. Der erste Abguss wird vorsichtig gelöst, begutachtet, beiseitegestellt. „Je nach Größe trocknet er ein bis mehrere Tage. Erst dann sieht man, wie er sich verhält.“

46-219826835

Haus Salzachstraße, Wien: In  oberen Etagen fehlten solche Elemente,  die mit 25 Gussformen  und 730 Abgüssen vervollständigt wurden.

Nicht jedes Stück entsteht für stuckverzierte Palais oder Altbauten. „Stuck hat auch in der modernen Architektur seinen Platz, nur eben anders“, sagt er. Anstelle von Gips verwendet er für Fassadenteile Betonmörtel oder beschichteten Styroporkern. „Das ist Stuck, der sich an die neuen Gegebenheiten anpasst. Heute hat fast jede Fassade ein Wärmedämmverbundsystem, da braucht es leichtere Materialien.“ Viele seiner Profile werden inzwischen auf der CNC-Maschine zugeschnitten, bevor sie manuell beschichtet werden. Technik und Tradition gehen hier Hand in Hand.

Trotzdem bleibt das, was zählt, unverändert: das gute Auge. „Die Kunst ist die Planung“, sagt Brezina. „Die Teile müssen so wirken, als wären sie schon immer da gewesen.“ Zu viel Dekor, zu viele Schnörkel, und der Zauber ist dahin. „Sobald man versucht, Eindruck zu schinden, wird’s kitschig. Ein Haus soll Charakter haben, keine Maske.“

46-219826855

Kunstvolle Rosetten aus Gips sind ein dekoratives Element für Luster.

Seit 27 Jahren führt Brezina sein Unternehmen, unterstützt von einem vierköpfigen Team. Rund 13.000 Laufmeter Stuck entstehen hier pro Jahr, vom einzelnen Profil bis zu kompletten Fassadenornamenten. Ergänzungsarbeiten führt er nur dort durch, wo keine Denkmalauflagen bestehen. „Bei historischen Gebäuden arbeiten Restauratoren, aber wenn etwa Teile fehlen, gießen wir sie nach, sodass man am Ende keinen Unterschied sieht.“ Manchmal existieren nur alte Fotos als Vorlage. Dann kommt die Erfahrung ins Spiel und das Fingerspitzengefühl für das rechte Maß zwischen Nachbildung und Neuinterpretation.

Was bleibt, ist die Freude am Detail. „Ich mag, wenn sich ein Gebäude in seine Umgebung fügt, wenn alles zusammenpasst“, sagt Brezina. „Dann stimmt das Gesamtbild.“ Es ist dieser Satz, der sein Tun am besten beschreibt: Stuck als Rahmen, nicht als Hauptdarsteller. Als Handwerk, das sichtbar wird, indem es sich zurücknimmt.

Wenn am Abend das Licht durch die hohen Fenster fällt, glitzert feiner Gipsstaub in der Luft. Auf dem Werktisch liegen halb fertige Formen, sauber beschriftet, daneben Schablonen aus Blech. Brezina wischt mit der Handfläche über ein fertiges Profil.

46-219825577

Aus restaurierten Altteilen werden Gussformen für die Nachproduktion.

 „Ich sehe mich nicht als Künstler“, sagt er. „Eher als jemand, der etwas ergänzt, das schon da war, nur eben unvollständig.“ Vielleicht liegt genau darin die Schönheit seines Berufs: im unaufgeregten Fortführen einer Tradition, die Häusern Strahlkraft und Einzigartigkeit verleiht. In einer Zeit, in der vieles nur Oberfläche ist, bleibt hier etwas von jener stillen Präzision, die nicht altert. Stuck ist vergänglich und doch überdauert er Jahrhunderte. - Susanna Sklenar

Kommentare