Freizeitwohnsitze: Tirols Bürgermeister drängen auf Legalisierung
Dass Gäste zum Problem werden, das passt nicht in einen Wintersportort. In prominenten Tiroler Gemeinden wird um die Freizeitwohnsitze gestritten. Um die illegal genutzten und um neue, die nicht entstehen dürfen. Das Klima sei vergiftet, die Vernaderung groß, Zuzug gibt es keinen mehr, weil es ihn zu Freizeitzwecken nicht geben darf. Manche "Gäste" ziehen sogar weg. Vier Bürgermeister mahnen zur Einsicht und legen ein neues Konzept vor. Sie wollen den "Qualifizierten Nebenwohnsitz".
KURIER: Die Debatte um die Freizeitwohnsitze eskaliert: Es wird angezeigt, verfolgt. Was ist da los?
Klaus Winkler, Kitzbühel: Wir haben durch die derzeitige Regelung, die ich für untauglich halte, ein großes Problem. Es kommt zur Vernaderung, Bespitzelung, es werden massive Kontrollmaßnahmen verlangt. Die Stimmung in der Bevölkerung ist schlecht. Dadurch entsteht über die Grenzen hinaus ein riesiges Imageproblem für unser Land. Das alles schlägt sich negativ auf die Wirtschaft nieder. Ein Zustand, der nicht mehr tragbar ist.
Helmut Berger, Kirchberg: Es ist ein Problem quer durch die Gemeinden, quer durch alle Parteien. Es ist ein Hilferuf für unsere Region. Es gibt eine gesetzliche Lage, die Bürgermeister sind aufgefordert, bei Anzeigen Ermittlungen zu veranlassen. Das kostet viel Geld, aber der Nutzen ist gering. Es ist ein Trugschluss zu glauben, damit Wohnraum zu schaffen. Weil diesen Wohnraum können sich die Einheimischen ohnehin nie leisten.
Günter Resch, Jochberg: Der wirtschaftliche Schaden ist enorm. Wir haben aber auch ein gesellschaftliches Problem: Wir spalten die Gemeinschaft und machen einige wenige stark, die glauben, sie müssen Polizei spielen.
Stefan Seiwald, St. Johann: Die gesetzliche Regelung ist vielleicht gut gemeint, aber schlecht getroffen. Das geht vollkommen am Zweck vorbei. Für die Dorfgemeinschaft ist es furchtbar: Vernaderung, selbst ernannte Sheriffs, Leute, die mich, den Bürgermeister angezeigt haben, weil ich tagsüber nicht zu Hause bin. Wir Bürgermeister wollen nicht, dass ein illegaler Wohnsitz legal gemacht wird, aber es braucht eine Lösung.
Berger: Es gibt aktuell keine Gewinner, nur Verlierer – die Gemeinden, das Land, der soziale Frieden und die Wirtschaft leiden.
Bürgermeister aus Tirol: Stefan Seiwald, St. Johann; Klaus Winkler, Kitzbühel; Günter Resch, Jochberg; Helmut Berger, Kirchberg.
Von wie vielen Gunstgemeinden reden wir eigentlich?
Winkler: Es sind 20 Hotspot-Gemeinden von 274 Tiroler Gemeinden. Sie verdienen mehr als 100.000 Euro mit den Freizeitabgaben. Kitzbühel verdient 800.000 Euro.
Sie haben sehr unterschiedliche Zahlen bei den Freizeitwohnsitzen. Wie kommen die zustande?
Berger: Es gibt die 8-Prozent-Obergrenze für Freizeitwohnsitze, die in vielen Orten früh überschritten wurde. Es gab 1994 eine gesetzliche Sanierung, 2011 nochmals. Dann wurde eingefroren: Seither darf ein Freizeitwohnsitz nicht mehr genehmigt werden, nur in ganz wenigen Ausnahmefällen.
Wo liegt für Sie die Lösung des Problems?
Winkler: Wir haben seit 30 Jahren die gleiche Rechtslage. Aber die ist überholt, weil sich das gesellschaftliche Verhalten geändert hat. Wir haben Reformbedarf und ein Konzept erstellt: Wir wollen den „qualifizierten Nebenwohnsitz“. Jede Gemeinde soll das für sich festlegen. Kriterien können sein: Auto-Anmeldung, Mitglied in einem Verein, Beteiligung am Gemeindeleben – was der Gemeinde wichtig ist. In Anlehnung an das Steuerrecht mit einer Mindestaufenthaltsdauer von 70 Tagen, weil die Person dann unbeschränkt steuerpflichtig ist. Wir wollen die Tür einen Spalt öffnen, um Zuzug zu ermöglichen. Wichtig dabei ist die Steuerschöpfungsmöglichkeit, definiert am Verkehrswert der Liegenschaft. Die Abgabe soll für alle Freizeitwohnsitze gelten und das Geld für den sozialen Wohnbau verwendet werden. Kitzbühel hat hier die Chance, Geld zu verdienen, und wir sind auch bereit, das mit anderen Gemeinden zu teilen.
Seiwald: Der Punkt ist: Wir haben Vorschläge, wie man das lösen kann. Der erste Schritt muss sein, dass die Landesführung unser Problem überhaupt erkennt und uns hört. Diese Einsicht fehlt aber komplett.
Der KURIER-Bürgermeister-Gipfel: Günter Resch (Jochberg, parteifrei), Stefan Seiwald (St. Johann, ÖVP), Klaus Winkler (Kitzbühel, ÖVP), Helmut Berger (Kirchberg, SPÖ).
Die Freizeitwohnsitzler
Vier Bürgermeister aus vier Orten in Tirol, sie alle plagt die Freizeitwohnsitz-Thematik – also jene Bewohner, die nur selten ihre Immobilie nützen und dann ausschließlich zu Freizeitzwecken. Kitzbühel hat aktuell 8.300 Einwohner mit Hauptwohnsitz und 1.274 offizielle Freizeitwohnsitzler.
Vorbehaltsregionen
Zum Hintergrund: Weil Tirol eine Vorbehaltsregion ist, wird Wohnraum jenen vorbehalten, die ganzjährig hier wohnen. Freizeitwohnsitz-Widmungen (Unterkategorie des Zweitwohnsitzes) sind deshalb nicht mehr möglich. Es ist immer die Widmung einer Immobilie, die deren Nutzung bestimmt – ein Eigentümer darf nicht nutzen wie er will. Kaufen darf man eine Immobilie hingegen immer, weil der Grundverkehr für EU-Bürger nicht eingeschränkt werden darf. Auch ein Leerstand (mit Leerstandsabgabe) ist immer möglich.
Eine Lösung?
Das führt dazu, dass ein Zuzug zu Freizeitzwecken in den Gemeinden legal de facto nicht mehr möglich ist. Mehr noch: Wer illegal einen Hauptwohnsitz zu Freizeitzwecken nützt, wird angezeigt, im Ernstfall die Freizeit-Nutzung untersagt.
Die Bürgermeister wollen raus aus dieser Misere. Sie fordern die Schaffung einer neuen Wohnsitz-Kategorie: den „qualifizierten Nebenwohnsitz“. Wichtig ist ihnen dabei die Integration der Freizeitwohnsitzler in die Gemeinde und die Steuerschöpfung. Der Mindestaufenthalt muss 70 Tage betragen, um Steuern einzuheben.
Was will die Bevölkerung? Die Freizeitwohnsitzler bringen das Geld. Gleichzeitig sind sie unbeliebt.
Seiwald: Die Bevölkerung merkt zunehmend, dass die Freizeitwohnsitzler nichts mit leistbarem Wohnen zu tun hat. Die Bürger leiden unter der Spaltung in der Gesellschaft. Wir brauchen die Einsicht von der Landespolitik, dass der derzeitige Weg falsch ist. Und wir eine gemeinsame Arbeit an einer Lösung wollen.
Resch: Teile der Bevölkerung erkennen auch, dass ihr Arbeitsplatz wackelt. Wenn die „Gäste“ ausbleiben, leiden Gastronomie, Handwerker, Baugewerbe, Friseure – das merken alle massiv.
Winkler: Es gibt jene, die erkennen, dass der Wohlstand auch auf den Freizeitwohnsitzlern aufgebaut ist. Dass ihr Arbeitsplatz davon abhängt. Und die anderen, die sowieso alles ablehnen.
Berger: Niemand aus der Wirtschaft sagt, „Hurra, ihr seid so streng, wir hauen sie raus“. Wenn ich im Wirtshaus höre, man lasse den Ausverkauf der Gemeinde zu, sage ich: Die Gemeinde hat noch nie einen Quadratmeter Grund verkauft. Ihr seid das schon selbst, die die Gründe verkauft habt. Und Gott sei Dank gibt es ja den freien Grundverkehr.
Resch: Es wird noch weitergehen: Wenn wir die Leute so vergrämen, mit ihnen so umspringen, verlieren wir sie auch als Touristen. Man wird nicht nach Kitzbühel fahren, wenn man ein paar Monate zuvor vom Bürgermeister rausgeworfen wurde.
Winkler: Es gibt zwei Irrmeinungen: die rausgeworfenen Zweitwohnsitzler kommen als Gäste wieder – völliger Blödsinn. Und leistbarer Wohnraum wird geschaffen – stimmt auch nicht. Die Hochpreisimmobilien werden nie für die Einheimischen leistbar. Wir merken eine Rückwärtsbewegung am Markt, die Preise fallen, die Transaktionen gehen zurück. Aber das hilft den Einheimischen nicht.
Der Immobilienmarkt soll weitgehend zum Erliegen gekommen sein. Stimmt das?
Berger: Es steht bei uns sicher einiges leer.
Winkler: Auch in Kitzbühel haben wir Leerstand. Und der ist ja auch völlig legal. Natürlich kann eine zypriotische Russin oder eine russische Zypriotin – vorausgesetzt der grundverkehrsrechtlichen Genehmigung – bei uns kaufen. Der Handel mit Immobilien ist frei. Aber das kann ja nicht im Sinne des Erfinders sein – eine qualifizierte Nutzung muss unser Ziel sein.
Berger: Wenn man darauf erpicht ist, dass nur noch die Einheimischen da sein dürfen, was ich für einen fatalen Fehler halte, dann muss der Gesetzgeber hergehen und auch den Kauf von Grund und Boden verbieten.
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