Strom von nebenan, billig und nachhaltig. Immer mehr Bürger schließen sich zusammen. Ein Besuch in Pionierregionen.
24.05.25, 05:00
Im Sportstadion von Neudorf im Weinviertel geht es hoch her. Nicht nur auf dem Rasen, sondern auf dem Dach, wo beim energievollen Spiel Spannung pur herrscht. Die riesige Photovoltaikanlage tankt unermüdlich Sonne und schickt den hier produzierten Strom direkt in die Haushalte, Betriebe und Institutionen der Region. Ein Match auf allen Ebenen.
Auf Initiative der Gemeinde haben sich die Anrainer zur Energiegemeinschaft (EG) Neudorf zusammengeschlossen. „Unser Ziel ist es, Strom dort zu verbrauchen, wo er erzeugt wird und auch jenen Menschen, die selbst keine PV-Anlage errichten können, die Möglichkeit zu geben, vom Sonnenstrom zu profitieren“, sagt Lorenz Pelzer.
Auf dem Dach des Sportstadions in Neudorf im Weinviertel wurde eine PV-Anlage errichtet. Über den erzeugten Strom verfügt die Energiegemeinschaft.
Der studierte Physiker ist Amtsleiter in der Gemeinde und dort auch als Projektleiter für die Energiegemeinschaft zuständig. Als Genossenschaft gegründet und seit Jänner 2024 im operativen Betrieb, zählt die EG Neudorf schon 230 Mitglieder und 500 Zählpunkte. Tendenz steigend.
Was in Neudorf passiert, ist kein Einzelfall. In ganz Österreich wachsen immer mehr Gemeinschaften, in denen Menschen ihren eigenen Strom erzeugen, miteinander teilen und so unabhängiger von internationalen Energiemärkten werden. „Einer der Schlüsselerfolge ist eine gute Balance zwischen Energieabnehmern und Energieeinspeisern, wobei es auch sogenannte Prosumer gibt, die sowohl Energie produzieren als auch konsumieren“, erklärt Barbara Hofleitner von Collective Energy (collective-energy.at).
Die Experten im Bereich nachhaltige Energie, Mobilität, Innovation & Finanzierung beraten und begleiten Interessierte bei der Gründung einer Energiegemeinschaft. „Um die Ausgewogenheit zu wahren braucht jede EG eine Art ,Kümmerer‘“, so die Projektleiterin.
In Österreich sind bereits mehr als 3.700 Energiegemeinschaften in Betrieb – und das, obwohl solche Zusammenschlüsse erst seit knapp drei Jahren gegründet werden dürfen. Der neue energiepolitische Rahmen dazu wurde 2021 durch das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) und eine Novellierung des Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetzes (ElWOG) geschaffen.
Die emmicom betreibt mehrere regionale Energiegemeinschaften. Mit der PV-Anlage auf dem Reitstall in Waidhofen fing alles an.
„An einer Energiegemeinschaft können Privat- oder Rechtspersonen, Gemeinden, lokale Behörden oder Betriebe teilnehmen“, erklärt Stephan Heidler, Leiter der Österreichischen Koordinationsstelle für Energiegemeinschaften im Klima- und Energiefonds.
In Österreich gibt es drei verschiedene Modelle, um die gemeinsame Nutzung einer oder mehrerer Energieerzeugungsanlagen umzusetzen: Gemeinschaftliche Erzeugungsanlage (GEA), Erneuerbare-Energie-Gemeinschaft (EEG) und Bürgerenergiegemeinschaft (BEG). Jede EG kann selbstständig die Höhe des Energiepreises, der derzeit meist zwischen 10 und 14 Cent/kWh (netto) liegt, vereinbaren. Detailinfos: energiegemeinschaften.gv.at
„Von den ersten Überlegungen bis hin zum laufenden Betrieb einer EG ist vieles zu entscheiden und in die Wege zu leiten“, weiß Heidler. „Neben der passenden Organisationswahl – meist Verein oder Genossenschaft – ist der kooperative Austausch mit dem Netzbetreiber ein wesentliches Kriterium. „Wichtig ist, dass niemand seinen bestehenden Vertrag mit einem Stromanbieter kündigen muss“, betont Hofleitner.
„Eine Energiegemeinschaft bildet einen zusätzlichen regionalen Strommarkt. Seinen Reststromlieferanten kann man sich weiterhin frei aussuchen – er versorgt die Kunden weiterhin mit Strom, wenn in der Energiegemeinschaft nicht genug Strom zum Verteilen vorhanden ist.“
Energiewende gestalten: Die Herausforderungen der Zukunft sind gewaltig. Der Klimawandel zwingt uns, auch in der Energieversorgung neue Wege zu gehen. Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften könnten hier ein Schlüssel zur Lösung sein – nicht als Ersatz, aber als ergänzende, bürgernahe Alternative. Sie bieten Unabhängigkeit, Wirtschaftlichkeit, Sicherheit und Nachhaltigkeit. Und sie zeigen, dass die Energiewende nicht nur von Regierungen und Konzernen gestaltet wird, sondern von Menschen, die sich zusammenschließen und gemeinsam handeln. -Susanna Pikhart
Ökologischer, sozialer und ökonomischer Mehrwert für die Bürger. Die Energiegemeinschaft Neudorf zeigt, wie lokale Energieerzeugung und -nutzung effizient gestaltet werden kann. Neben ökonomischen Vorteilen geht es der von der Gemeinde initiierten Gemeinschaft darum, das Bewusstsein für nachhaltige Energieproduktion zu stärken. „Wir möchten möglichst viele Unternehmen, Vereine und Privathaushalte in der Region mit lokalem Strom versorgen und das Bewusstsein für dezentrale und nachhaltige Energieproduktion stärken“, sagt Lorenz Pelzer. Die Mitglieder profitieren von stabilen Tarifen und der Möglichkeit, eigene PV-Module in das System einzuspeisen. eg-neudorf.at
Das emmicom-Projektteam (v. l.: Hans Gold, Klara Reichartzeder, Katrin Fuchslueger) startete mit einem Reitstall in Waidhofen/Ybbs und agiert heute österreichweit.
„emmicom“ überregional: Für KMU und Privathaushalte: Stromkosten sparen, Vorteile nutzen. „Mit der Installation einer 200 kWp PV-Anlage auf einem Reitstall in Waidhofen/Ybbs fiel 2022 der Startschuss für die emmicom Energiegemeinschaften“, erklärt Klara Reichartzeder. Mittlerweile zählt die emmicom in Waidhofen/Ybbs über 100 Teilnehmer. Nach und nach wurden über die Landesgrenzen hinaus weitere Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften erfolgreich gegründet und großteils in Betrieb genommen – u. a. in Ybbsitz/Gresten, Ybbstal/Hollenstein, Mistelbach, Wien, Weyer und im inneren Salzkammergut – sowie die österreichweite BEG emmicom austria für Unternehmen. emmicom.at
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