IHS: Kurzarbeit nicht nur vorteilhaft
Die Kurzarbeit, mit der Arbeitslosigkeit verhindert werden soll und über deren Verlängerung zur Zeit gerade die Sozialpartner verhandeln, ist nach Ansicht von Wirtschaftsexperten nicht nur vorteilhaft, sondern kann auch Strukturprobleme zudecken und zu negativen Beschäftigungseffekten führen. Davor warnte etwa am Donnerstag der IHS-Prognoseverantwortliche und Arbeitsmarktspezialist Helmut Hofer.
Der Leiter des Instituts für Höhere Studien (IHS), Martin Kocher, sieht die Kurzarbeit ebenfalls auch kritisch. Die Corona-Kurzarbeit sei ganz spezifisch für den Lockdown entwickelt worden. Jetzt stelle sie womöglich zu hohe Anreize, meinte Kocher bei der Präsentation der neuen, bis 2024 reichenden Mittelfristprognose des IHS.
Zudem sollte zwischen Bereichen wie Industrie einerseits und Dienstleistungen wie Gastronomie, Tourismus oder Eventsektor andererseits differenziert werden, wünscht sich der IHS-Chef. Und sie sollte mit Ausbildungs-, Weiterbildungs- und Umschulungselementen verknüpft werden, "auch da wird man eher sektorspezifische Lösungen brauchen", argumentierte Kocher. Denn anders als etwa in der Wirtschaftskrise im Gefolge der Finanzkrise vor mehr als einem Jahrzehnt werde erst künftig der Industriesektor stärker betroffen sein, seinerzeitig habe die Industrie als erstes gelitten und erst später der Dienstleistungsbereich.
Kurzarbeit "wirkt strukturkonservierend"
Hofer verwies auf internationale Erfahrungen mit Kurzarbeit, etwa in Deutschland, und meinte: "Kurzarbeit funktioniert in Krisen. Wenn man sie zu lange macht, kann sie zu negativen Beschäftigungseffekten führen. Sie wirkt strukturkonservierend." Letztlich könnte die Arbeitslosigkeit dadurch sogar erhöht werden.
Die Wirtschaft wird sich erholen - aber langsam
Die Coronakrise hat auf den Arbeitsmarkt in Österreich "voll durchgeschlagen", erklärten die IHS-Experten in ihrer Mittelfristprognose für 2020 bis 2024. Mit dem Lockdown sei die Beschäftigung eingebrochen und die Zahl der registrierten Arbeitslosen enorm gestiegen. Die Lage am Arbeitsmarkt werde sich zwar "sukzessive verbessern, allerdings nur langsam". Die Vorkrisen-Situation gebe es bis 2024 noch nicht. Ausgehend von 10,25 Prozent Arbeitslosenrate im heurigen Jahr könnte diese bis 2024 auf 8 Prozent sinken. Im gesamten Prognosezeitraum (2020-24) sieht man die Arbeitslosigkeit im Schnitt bei 8,8 Prozent, nach 8,3 Prozent 2015-19.
Seit den 1950er-Jahren sei die Arbeitslosigkeit noch nie so stark angestiegen wie jetzt, sagte Hofer, diesmal sei die Krise aus dem Dienstleistungssektor gekommen. In vielen Bereichen, etwa Tourismus, werde man von der hohen Arbeitslosigkeit so schnell nicht herauskommen. Da gebe es durchaus die Gefahr des Hinausdriftens aus dem Sektor. Womöglich gebe es in zwei Jahren wieder eine hohe Nachfrage, die dann aber nicht bedient werden könne. In den vergangenen Jahren sei es gelungen, die Langzeitarbeitslosigkeit abzubauen - der müsse auch jetzt wieder gegengesteuert werden. Andererseits habe es vor noch gar nicht so langer Zeit bei uns auch Arbeitslosenraten von 9 Prozent gegeben.
Deshalb müsse auf den Arbeitsmarkt "großes Augenmerk" gelegt werden, betonte IHS-Chef Kocher. Neben einer aktiven Arbeitsmarktpolitik sollte nun jene Altersgruppe im Fokus stehen, die heuer auf den Arbeitsmarkt kommt, nämlich Jugendliche. Sie und junge Erwachsene, die keine Arbeit finden, sollten zumindest ein weiteres Jahr in Ausbildung bleiben können. Zudem werde man Umschulungen benötigen. Kocher: "Die Entwicklung des Arbeitsmarktes ist entscheidend für die Gesundung der Wirtschaft."
Heuer dürfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stark um 7,3 Prozent einbrechen und 2021 von niedrigerem Niveau aus um 5,8 Prozent zulegen, glauben die Experten in ihrem "Basisszenario". "Aber schon heuer im zweiten Halbjahr sollte eine wirtschaftliche Erholung einsetzen", sagte Kocher. Für die Jahre 2022 bis 2024 werden dann Zuwächse von 2,3, 1,8 und 1,6 Prozent erwartet. Damit sollte die heimische Wirtschaft ungefähr im selben Tempo wie jene im Euroraum zulegen, erklärten die IHS-Experten am Donnerstag.
Steuern gegen zweite Corona-Welle ist "Balanceakt"
Bei einer schnellen Erholung könnte Österreichs Wirtschaft heuer vielleicht "nur" um 6,4 Prozent schrumpfen, bei einer langsamen Erholung um 8,3 Prozent, bei einer zweiten Corona-Welle aber sogar um 9,1 Prozent. Bei einer 2. Welle würde 2021 das BIP-Plus auf 1,4 Prozent abgebremst, könnte bei einer langsamen Erholung 4,8 und bei einer schnellen Erholung 6,6 Prozent ausmachen, lauten die Szenarien. Erst ab 2022 würde sich das Tempo der Erholung dann je nach Variante kaum noch unterschiedlich niederschlagen.
Wie einer möglichen 2. Corona-Ansteckungswelle gegengesteuert werden könnte, sei "ein Balanceakt", meinte Kocher in dem Online-Pressegespräch. Denn ein Geringhalten der Infektionszahlen erfordere wohl auch eine Einschränkung der wirtschaftlichen Aktivitäten. Ein umfassendes Testen könnte hier sehr hilfreich sein, um möglichst rasch Infektionsketten zu erkennen, so der IHS-Chef.
Das von der Regierung vorgelegte "sehr umfangreiche Paket" sei beachtlich - dieses und die jüngst fixierten EU-Maßnahmen seien "einzigartig", sagte Kocher. Ehe das heimische Paket wirke, sollte man nicht schon über allfällige weitere Schritte sprechen, also "das Pulver noch nicht vor einer allfälligen zweiten Welle verschießen", sondern noch etwas für 2021 aufheben. Die staatlichen Corona-Unterstützungen seien "unzweifelhaft notwendig", auch wenn ohne absehbare Maßnahmen das Budgetdefizit bis zum Ende des Prognosezeitraums (2024) erst auf 2 Prozent des BIP gesenkt werden könne. "Aber die Politik wird da gegensteuern", so Kocher.
Der diese Woche fixierte EU-Deal sei "auf jeden Fall historisch", auch wenn man über die Verteilung zwischen Krediten und Zuschüssen "geteilter Meinung" sein könne, so Kocher: "Man hat aber glaube ich einen guten Kompromiss gefunden", diskutiert werde dieser eher politisch. Der Deal stelle "auch den Einstieg in eine andere Natur der Europäischen Union" dar. Da stelle sich die Frage, wie künftig mit dem Europäischen Semester umgegangen werde, also mit dem Monitoring durch die EU-Kommission. Und die Frage, ob mit den Mitteln auch wirklich die strukturellen Probleme angegangen würden. Wichtig sei die Hoffnung, dass die 750 Mrd. Euro aus eigenen Mitteln der EU aufgebracht werden könnten, etwa aus Steuern (z.B. einer Digitalsteuer) oder auch einer an CO2-Emissionen orientierten Abschöpfung auf Importprodukte an der Grenze. IHS-Experte Klaus Weyerstraß zeigte sich freilich zu einer solchen CO2-Abgabe skeptisch, "ob man das technisch hinbekommt".
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