Im besten Fall nur mit Abfall produziert
Die 100 in HVO100 steht dafür, dass es sich um einen hundertprozentig reinen Treibstoff handelt und nicht um eine Beimischung zu gewöhnlichem Diesel. Motoren sollten mit dem Ersatz problemlos zurechtkommen. Aus Garantiegründen sollte man ihn aber laut ÖAMTC nur verwenden, wenn man unter dem Tankdeckel die Beschriftung "XTL" vorfindet. Das steht für "X to Liquid".
Im besten Fall werden ausschließlich pflanzliche und tierische Abfallstoffe zu einer Flüssigkeit, die sich zur Fortbewegung verbrennen lässt. Das können Heu und Stroh, Schlachtabfälle, Deckfrüchte für Felder oder Zellulosereste aus der Papierindustrie sein, wie Michael Stuefer, Geschäftsführer von Biofuel Express Austria erklärt. Die Österreich-Tochter eines dänischen Unternehmens verkauft HVO100 von Neste an Treibstoffhändler in Österreich.
Eine Nische, die sich rasch erweitert
Das finnische Unternehmen Neste ist der aktuell größte Produzent von HVO100 weltweit. Er produziert 6,8 Millionen Tonnen des Treibstoffs pro Jahr. Mit dieser Menge könnte man den kompletten Dieselbedarf Österreichs decken. Hierzulande liegt der Jahresabsatz von HVO100 aber nur bei rund 180 Millionen Liter. "In Relation zum Treibstoffverbrauch ist das ein Tropfen auf den heißen Stein", sagt Stuefer. "HVO100 ist weniger als eine Nische, wir stehen da erst ganz am Anfang."
Der "Klimadiesel" soll in Österreich immerhin schon an ca. 65 Tankstellen erhältlich sein. Die italienische Kette Eni alleine will den Treibstoff bis Ende 2025 an 50 Standorten anbieten. Die Preise liegen 20 bis 30 Cent über jenen von Diesel. Im Großhandel seien die Preisunterschiede noch deutlicher, sagt Stuefer. Mineralölunternehmen können den Preis durch den Handel mit CO2-Zertifikaten jedoch geringer halten.
Nachhaltigkeitsberichte und Lieferketten
Die Anrechnung einer klimaschonenden Betankung ist einer der Hauptgründe, warum Flottenbetreiber HVO100 verwenden. Im Zuge der Nachhaltigkeitsberichterstattung trägt die Verwendung des Treibstoffs dazu bei, Flottenverbrauchsziele zu erreichen. Möglicherweise aus diesem Grund entscheiden sich Fahrzeughersteller wie BMW dazu, Dieselfahrzeuge ab Werk mit HVO100 im Tank auszuliefern. Porsche, Audi oder Stellantis überlegen das ebenfalls.
Wichtig in diesem Zusammenhang ist aber auch das EU-Lieferkettengesetz. Die Verwendung von klimaschonendem Treibstoff allein reicht für Flottenbetreiber künftig nicht. Sie müssen auch nachweisen können, wie, wo und woraus der Treibstoff hergestellt worden ist. Neben Abfallstoffen werden für die Produktion nämlich von manchen Produzenten auch Ölsaaten wie Raps herangezogen. Dadurch entsteht Flächenkonkurrenz, Felder werden für die Treibstoff- statt für die Lebensmittelproduktion verwendet. Die EU versucht das zu verhindern.
Grüner oder grauer Wasserstoff
Abfälle werden dadurch zum begehrten Gut. Auf der Suche nach neuen Quellen werden teilweise Importe von weit entfernten Ländern in Kauf genommen, was die Klimafreundlichkeit ad absurdum führt. Aber selbst bei kurzen Transportwegen entstehen Probleme, beschreibt der VCÖ. Wenn etwa weniger tierische Fette in der Kosmetikindustrie landen, könnte sich diese gezwungen sehen, auf Palmöl zurückzugreifen. Wegen dieser Lieferkettenproblematik sei HVO "zu schön, um wahr zu sein", kritisiert der Verkehrsclub. "HVO100 ist eine Scheinlösung, die den Verbrennungsmotor künstlich am Leben hält. Die verfügbaren Mengen sind minimal, der ökologische Nutzen fragwürdig", heißt es von Greenpeace.
Hersteller wie Neste versichern, lediglich zertifizierte Rohstoffe zu verwenden. Aber: Das "hydrotreated" in HVO steht für Wasserstoff - eine wichtige Komponente bei der Herstellung. Das Gas kann entweder auf "grüne" Art hergestellt werden, durch Elektrolyse von Wasser mittels erneuerbarer Energie. Es kann aber auch "grau" sein und aus der Umwandlung von fossilem Erdgas stammen. Auch das würde den Treibstoff weniger klimafreundlich als gedacht machen. Hier herrscht laut Stuefer noch mangelnde Transparenz.
Brückentechnologie oder langfristige Strategie
Für manche Verkehrsplaner gilt HVO100 als Brückentechnologie auf dem Weg zu einer völligen Umstellung auf Elektromobilität. Für Stuefer ist der Treibstoff mehr als das. Er sei eine sofort verfügbare Technologie, um CO2-Emissionen zu reduzieren - vor allem in Bereichen, die noch schwer elektrifizierbar seien. Schwerlast-Lkw oder Maschinen wie Pistenraupen würden noch lange auf flüssige Kraftstoffe angewiesen sein. Jedes Mittel sei da recht, egal ob Wasserstoff, E-Fuels oder HVO.
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