EZB lässt Zinsen unverändert, Billigkredite für gefährdete Firmen

EZB lässt Zinsen unverändert, Billigkredite für gefährdete Firmen
Überraschend keine Zinssenkung. EZB will aber Geldengpässe verhindern. Zusätzliche Wertpapierkäufe. Märkte enttäuscht.

Das war noch nicht die ganz große geldpolitische "Bazooka", was die Europäische Zentralbank am Donnerstag vorgelegt hat. Sie schnürte zwar ein umfassendes Paket, um die Folgen der Coronavirus-Krise abzumildern.

Überraschend werden aber die Einlagezinsen, die Banken für geparktes Geld zahlen müssen, nicht weiter in den negativen Bereich gesenkt. Diese bleiben bei -0,50 Prozent. Die Devisen- und Aktienhändler reagierten enttäuscht.

120 Milliarden Euro zusätzlich

Dafür werden neue, große Billigkredit-Programme aufgelegt, mit denen die Banken kurzfristig pleitegefährdeten Unternehmen im Euroraum über Finanzengpässe hinweghelfen sollen.

Und: Eine zumindest kleine Überraschung ist, dass die Anleihenkäufe der EZB bis Jahresende um 120 Milliarden Euro ausgeweitet werden. Diese kommen zu den bestehenden Käufen von 20 Milliarden Euro pro Monat noch dazu, werden aber primär auf Unternehmensanleihen abzielen.

EZB lässt Zinsen unverändert, Billigkredite für gefährdete Firmen

Markt reagiert negativ

Reicht das aus? Die kurzfristige Reaktion war eher enttäuschend: Der Euro-Dollar-Kurs, der bei einem umfassenden EZB-Paket in die Tiefe rauschen hätte müssen, hat kurzfristig sogar angezogen.

Und auch an den Börsen war keine positive Reaktion bemerkbar. Bankenwerte wie Deutsche Bank lagen am Donnerstagnachmittag mit dramatischen Kursverlusten von mehr als acht Prozent im Minus. Der Wiener Leitindex ATX lag unmittelbar nach der EZB-Entscheidung sogar um 7,3 Prozent im Minus.

Und offenkundig hatten die Finanzmarkt-Teilnehmer auch speziell auf Italien abgestimmte Maßnahmen erwartet: Die Zinskosten für italienische Staatsschuldenpapiere sind kurz nach der EZB-Entscheidung nicht dramatisch, aber doch spürbar gestiegen.

EZB lässt Zinsen unverändert, Billigkredite für gefährdete Firmen

Der Euro-Kurs in US-Dollar reagierte auf die EZB-Entscheidung mit wilden Ausschlägen (siehe rechts im Chart)

Lockerung für Banken

Damit keine Kreditklemme droht - wie nach Lehman Brothers, als die Banken all ihre flüssigen Mittel zurückhielten -, wird die EZB als Aufsicht über die großen Systembanken des Euroraums einige Auflagen erleichtern. Die seit der Finanzkrise stark gestiegenen Kapitalerfordernisse werden ein wenig gelockert, damit zusätzliche Kreditmittel freigeschaufelt werden.

Andere große Zentralbanken ergreifen solche Maßnahmen häufiger. Das ist auch keine komplette Kehrtwende, die Krisenpuffer der Finanzinstitute bleiben weit über den Niveaus, die sie vor der Finanzkrise gehabt hatten.

Das sagen die Experten

Stefan Schneider, Chefökonom - Deutsche Bank

„Die Maßnahmen sollten Wirkung zeigen - besonders die langfristigen Refinanzierungsgeschäfte zu extrem günstigen Bedingungen. Auch die zusätzlichen 120 Milliarden Euro an Anleihekäufen sind ganz erheblich.

Zusätzlich werden die Banken regulatorisch etwas von der Leine gelassen. Das alles zusammen sollte etwas helfen. Mehr kann die EZB derzeit realistischerweise wohl auch nicht leisten.Viele dieser Maßnahmen gehen über das Bankensystem an die Unternehmen.

Ob die Banken ihre Kreditvergabe erhöhen, nur weil ihre Kosten bei der Refinanzierung sinken, muss man abwarten. Denn gleichzeitig sind die Kreditrisiken in den stark betroffenen Sektoren wie der Reisebranche  gestiegen. Hier könnte der Staat mit Kreditgarantien wirkungsvoller helfen.“

Alexander Krüger, Chefvolkswirt - Bankhaus Lampe

„Auch die EZB beugt sich dem Corona-Virus. Mit ihren Liquiditätshilfen und Wertpapierkäufen setzt sie insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen an der richtigen Stelle an. Gleichzeitig wird dem massiven Verfall der  Inflationserwartungen begegnet.

Für eine klassische Geldpolitik bestand angesichts des weitgehend leeren Munitionsdepots kaum Spielraum. Hier rächt sich nun, dass die EZB für den Krisenfall wenig gerüstet ist. Je nach  Pandemieverlauf wird die EZB weitere Maßnahmen beschließen.“

Ralf Umlauf, Helaba (Hessische Landesbank)

„In den letzten Tagen hat die Spekulation auf ein umfassendes Maßnahmenpaket der EZB zugenommen. Die unveränderten Zinsen sind eine Überraschung, denn die Geldmarkt-Futures (Vorlaufindikatoren, Anm.) hatten sogar mehr als eine Reduzierung um 10 Basispunkte in den Kursen vorweggenommen.

Die EZB ermöglicht aber durch die TLTRO III-Anpassungen eine günstigere  Refinanzierung, sogar unterhalb des Einlagenzinses. Die EZB nimmt dadurch Verluste aufgrund von Refinanzierungs-Operationen in Kauf. Dies ist unseres  Erachtens ein Novum in der EZB-Geschichte und stellt die entscheidende, stimulierende Maßnahme in diesem Paket dar.“

Marija Kolak, BVR-Präsidentin

„Die EZB erhöht die Liquidität zielgerichtet und unterstützt so die Kreditvergabe an Unternehmen. Das ist eine gute Nachricht, insbesondere für Unternehmen, die von der Corona-Pandemie besonders betroffen sind. Von der befristeten
Ausweitung des Anleihekaufprogramms geht ebenfalls ein positiver Impuls auf die Märkte aus. Dass die EZB auf eine weitere  Zinssenkung verzichtet hat, war eine weise Entscheidung. Ein Zinsschritt hätte kaum zusätzliche  Investitionen in Gang gesetzt, aber das Zinsumfeld für Privatanleger und die Kreditwirtschaft nochmals verschlechtert.“

Friedrich Zimmermann, ZEW-Institut

„Das Maßnahmenpaket ist ausgewogen und nutzt die sehr begrenzten verbleibenden Möglichkeiten der EZB, um die unausweichliche Corona-Rezession abzumildern. Die Ausweitung der Anleihekäufe und der langfristigen Finanzierungsinstrumente für die Banken (TLTROs) zielen in ihrer Ausgestaltung vor allem darauf ab, die Kreditvergabe an Unternehmen zu sichern, die von der Corona-Krise besonders betroffen sind. Dies ist eine sinnvolle Schwerpunktsetzung.

Es ist ein kluger Schachzug, dass Christine Lagarde heute keine weitere Zinssenkung verkündet hat. Eine weitere Verschärfung der Negativzinsen hätte den bedrängten Banken nicht geholfen, sondern deren Lage eher noch verschärft.Wer sich von Christine Lagarde einen 'whatever it takes'-Moment erhofft hatte, hatte ohnehin unrealistische Erwartungen. Die vom Virus ausgelöste Wirtschaftskrise lässt sich mit den Mitteln der Geldpolitik nicht wirksam eindämmen.

Der Ball liegt jetzt im Feld der Fiskalpolitiker. Die fiskalisch gesunden EU-Mitgliedstaaten sollten ihren Spielraum nutzen, um das Abgleiten Europas in eine kombinierte Krise von Real- und Finanzwirtschaft zu verhindern. Nach Lagarde muss jetzt Ursula von der Leyen liefern und mit den EU-Regierungen ein europäisches Stabilisierungsprogramm aushandeln.“

Klaus Wiener, Chefökonom des Versichererverbandes GDV

„Der Erwartungsdruck der Märkte war hoch. Insofern überrascht nicht, dass die EZB ihre Anleihekäufe erhöht. Der konjunkturelle Effekt dürfte aber gering sein. Sehr sinnvoll ist die zusätzliche Bereitstellung von Liquidität für den
Interbankenmarkt. Erfreulich ist auch, dass der Einlagenzins nicht weiter abgesenkt wurde. Eine weitere Absenkung würde sich als kontraproduktiv erweisen. Insgesamt zeigen die Maßnahmen, dass die Möglichkeiten der Geldpolitik begrenzt sind. Dies liegt zum einen an der extrem lockeren Positionierung, die nach der Finanzkrise sehr lange durchgehalten wurde.

Die EZB hat im zurückliegenden, langgestreckten Aufschwung die Zinsen nicht ein einziges Mal gestrafft, und selbst in den USA ist im Vergleich zu früheren Krisen nur wenig Pulver trocken.Erschwerend kommt in der aktuellen Situation aber hinzu, dass die Geldpolitik die Folgen einer Epidemie kaum wirkungsvoll bekämpfen kann. Das Corona-Virus unterbricht globale Lieferketten und veranlasst viele Menschen, zu Hause zu bleiben. Hieran kann eine Lockerung der Geldpolitik nichts ändern. Sie soll es im Grunde auch gar nicht, denn die Ausbreitung des Virus kann nur verlangsamt werden, wenn Unternehmen und Haushalte ihre Aktivitäten für eine gewisse Zeit einschränken.“

Thomas Gitzel, Chefökonom VP Bank

„EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat sich ihre ersten Monate im Amt sicherlich anders vorgestellt. Das Coronavirus stellt die Französin vor ihre erste Feuertaufe. Das Arsenal der EZB ist aber nicht mehr allzu voll. So sehr sich die Notenbank derzeit bemühen ihr Scherflein zur Krisenbewältigung beizusteuern, noch niedrigere Zinsen und noch mehr Staatsanleihekäufe werden nur bedingt ökonomischen Nutzen haben. Es müssen jetzt die richtigen Instrumente  benutzt werden. Lagarde hat dies erkannt. Es ist richtig, dass die EZB mehr Unternehmensanleihen kaufen wird.

Das hat tatsächlich einen direkten positiven Einfluss auf die Unternehmensfinanzierung. Die EZB setzt mit höheren Käufen von Unternehmensanleihen also an der richtigen Stelle an.Es bedarf jetzt vor allem aber auch der tatkräftigen Unterstützung der Regierungen. Gerade kleinere und mittlere Betriebe brauchen jetzt Zugang zu Liquidität. Der Bankensektor kann aufgrund von strengen Regularien nicht in allen Fällen helfend zur Seite stehen. Richtig ist deshalb die Entscheidung der EZB, Regelungen für Kapitalquoten der Banken zu lockern. Darüber hinaus gilt aber: Es braucht jetzt flankierende staatliche Sonderkreditprogramme.“

Uwe Burkert, LBBW-Chefökonom

„Das Paket war kleiner als gedacht. Der Markt hat enttäuscht reagiert. Aber wenn die EZB in dieser Situation die Leitzinsen nicht senkt, dann haben die Leitzinsen wirklich ihren Boden erreicht. Sinnvoll und von uns im Kern erwartet war die Ausweitung des TLTRO-III. Die EZB unternimmt jetzt alles, damit der Bankenkreditmarkt nicht schrumpft. Die zusätzlichen Assetkäufe fallen demgegenüber nicht stark ins Gewicht. Aber das Wertpapierankaufprogramm APP bleibt ein Spielbein der EZB, und wenn es hart auf hart kommt, dann kann die EZB hier immer noch mehr machen.

Davon gehen wir zum jetzigen Zeitpunkt auch aus, denn die Meldungen rund um das Thema Corona werden täglich
besorgniserregender. Die EZB wird möglicherweise noch vor dem nächsten Ratstreffen am 30. April nachbessern müssen. Wohlwissend, dass die Geldpolitik in dieser Situation eigentlich nichts ausrichtet – weder gegen das Virus noch gegen den Angebotsschock für die Unternehmen. Aber das letzte, was wir jetzt brauchen können, ist zu all dem auch noch eine Panik an den Finanzmärkten.“

Großer Handlungsdruck

Der Druck, der am Donnerstag auf Christine Lagarde, Chefin der Europäischen Zentralbank, lastete, war enorm. Sie hatte jüngst mit einem aufrüttelnden Appell Europas Regierungschefs aufgefordert, mit entschlossenem Handeln eine noch tiefere Krise a la Lehman-Brothers zu verhindern. Was würde sie selbst tun? Das war die große Frage vor der Zinssitzung am Donnerstag.

Kommentare