Warum der Energiemasterplan Sprengstoff für Koalitionsverhandlungen birgt

Ökostrom
Noch vor dem Sommer habe der Energiemasterplan knapp 200 Seiten enthalten, nun wird gerätselt, warum 90 Prozent des Inhalts gestrichen wurden.

(Am Ende des Artikels folgen Stellungnahmen der WKO, von Global2000, Greenpeace und dem Ökobüro)

Einige wenige Mitglieder haben den brandneuen „Energiemasterplan“ der Wirtschaftskammer (WKO) aus dem Büro des WKO-Energiesonderbeauftragten Siegfried Nagl erhalten. Das 22-seitige Dokument, das dem KURIER vorliegt, ist aus mehreren Aspekten bemerkenswert, vor allem, weil es in Fachkreisen als Blaupause für die Volkspartei für die kommenden Regierungsverhandlungen für das enorm wichtige Energiekapitel gilt.

Noch vor dem Sommer habe der Energiemasterplan knapp 200 Seiten enthalten, nun wird gerätselt, warum 90 Prozent des Inhalts gestrichen wurde.

Was weiters verwundert ist, dass im Dokument mehrmals auf vorliegende, aber nicht mehr beschlossene Gesetze aus dem Energieministeriums Leonore Gewessler verwiesen wird, konkret das Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWG) und das Erneuerbaren Ausbau Beschleunigungsgesetz (EABG). In den letzten Monaten von Türkis-Grün war auch von der Wirtschaftsseite einfach kein Druck vorhanden, diese Gesetze noch zu beschließen, auch, weil man sich mit der SPÖ (wegen der nötigen Zweidrittelmehrheit) nicht einigen konnte – oder wollte.

Beschleunigungspaket für Genehmigungen

Energieexperten außerhalb der WKO sehen es als problematisch an, dass gleich im ersten Kapitel, wo es um ein „Beschleunigungspaket für Genehmigungen“ geht, den Bürgerinitiativen nur eingeschränkte und Umweltorganisationen „keine Parteienstellung im Genehmigungsverfahren“ mehr gegeben werden soll. 

Warum der Energiemasterplan Sprengstoff für Koalitionsverhandlungen birgt

Das mag verständlich sein, birgt aber eine energiepolitische Bombe: Denn die geltende Aarhus-Konvention regelt die Rechte auf Information, Beteiligung und Klagemöglichkeiten als Rechte einer jeden Person zum Schutz der Umwelt auch für zukünftige Generationen, das wurde im Völkerrecht verankert.

Würde ein neues Gesetz also Bürgerinitiativen und Umweltorganisationen bei Genehmigungsverfahren einschränken oder ausschließen, könnten und würden diese wohl den Rechtsweg bis zum Europäischen Gerichtshof beschreiten. Damit wäre jede Rechtssicherheit, wonach man sich auf eine erteilte Genehmigung verlassen kann, dahin, und müsste jahre-, wenn nicht jahrzehntelang bangen, ob eine Entscheidung auch durch alle Instanzen bis zum EuGH hält.

Was gänzlich fehlt, aber in jeder Diskussion und Arbeitsgruppe zur Frage der Genehmigungsbeschleunigung in den vergangenen Jahren bekräftigt wurde: Einerseits eine bessere personelle Ausstattung der Behörden der Bundesländer samt eigener Richter. 

Dort stapeln sich nämlich seit Jahren die Anträge für den Stromnetzausbau, Windkraftanlagen und Flächen-Photovoltaik, was die Verfahren enorm verzögert. Und andererseits die Forderung, dass die Bundesländer ihrer Aufgabe nachkommen, ausreichend Flächen auszuweisen.

Viel Energie für den Wasserstoff

Das Dokument beschäftigt sich dafür ausführlich mit der bleibenden Rolle fossiler Energie "im Übergang zur Klimaneutralität" als auch dem Thema Wasserstoff, obwohl der jüngste Bericht der Internationalen Energieagentur zum Wasserstoffsektor festhält, dass der anfängliche Hype vorbei ist und „die neuesten  Marktentwicklungen, Inflation und Kostensteigerungen die Länder dazu veranlassen, ihre Ziele zu überarbeiten“. Denn das Problem des grünen Wasserstoffs bleiben die enorm hohen Produktionskosten und die fehlende Nachfrage als auch der zur Produktion fehlende Grünstrom in riesigen Mengen.

Vor allem fehlt der Aspekt „Wärme“ in dem Dokument komplett, also etwa die Frage der Elektrifizierung oder der Wärmepumpen. Das irritiert insofern, als das Österreich mit Unternehmen wie Ochsner herausragende Wärmepumpenproduzenten beheimatet. Offenbar hat die Kammer mit diesen Unternehmen nicht geredet. Die Vermutung liegt nahe, dass die Erdgaslobby sich hier durchgesetzt hat.

Wirtschaftskammer: Wollen keine NGO-Rechte beschneiden

In einem Statement erklärte die Wirtschaftskammer zu diesem Artikel: "Die Wirtschaftskammer will in keiner Weise bestehende Rechte von Umweltorganisationen beschneiden; diese werden nicht angegriffen. Es geht lediglich darum, dass die WKÖ eine Umsetzung der Vorgaben der RED-III-Richtlinie der EU in nationales Recht ohne gold plating fordert. Dazu ist es nicht erforderlich, im diesbezüglichen nationalen Umsetzungsgesetz, dem Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungs-Gesetz (EABG) über die bisher den Umweltorganisationen eingeräumten Mitspracherechte und Parteistellungen hinaus gehend weitere einzuräumen. Die derzeit nach den nationalen Rechtsvorschriften bestehenden Parteistellungen von Umweltorganisationen werden durch diese Forderung der Wirtschaftskammer nicht eingeschränkt. Damit wird vollinhaltlich der Aarhuskonvention entsprochen."

Und weiter: "Die WKÖ hat sich für einen breiten partizipativen Prozess bei der Entwicklung eines Energiemasterplanes entschieden. Dieser ist derzeit noch nicht abgeschlossen. Die aktuelle laufende letzte Phase - eine bundesweite digitale Begutachtung als Element der Rückkopplung mit der österreichischen Wirtschaft - dient dem Ausgleich der unterschiedlichen Interessen zu dem die WKÖ gesetzlich verpflichtet ist. Die Beschreibung der regulatorischen Ausgangslage und des Partizipationsprozesses sind nicht Teil der Begutachtung."

Jasmin Duregger, Klima- und Energieexpertin bei Greenpeace kommentierte das WKO-Dokument: "Die WKO entlarvt sich mit ihrer Prioritätensetzung im Energiemasterplan einmal mehr als Klimaschutzblockierer. Anstatt klare Ansagen zum Ausstieg aus fossilen Energien und zur Wärmewende zu machen, untergräbt sie lieber Umweltschutzrechte. Dabei wird verschleiert, wer den erneuerbaren Ausbau wirklich blockiert: Die Vertreterinnen und Vertreter der fossilen Industrie." 
 
Johannes Wahlmüller, Klima- und Energieexperte von Global 2000, meinte: "Die Wirtschaftskammer zeigt mit diesem Retro-Dokument eine rückschrittliche Mentalität, wie wir sie seit Jahrzehnten in Österreich nicht mehr kennen. Bürger:innen und Umweltorganisationen aus Genehmigungsverfahren auszuschließen, zeigt das mangelnde Demokratieverständnis von Teilen der Wirtschaftskammer. Wir fordern Harald Mahrer als Präsident der WKO auf, diesen sogenannten 'Energiemasterplan' wieder zurück an den Start zu schicken und endlich einen zukunftsorientierten Zugang zu Energiewende, Umwelt- und Klimaschutz zu finden. Viele Unternehmen leisten längst ihren Beitrag zu Energiewende und Klimaschutz, hier agiert die Wirtschaftskammer auch an den vielen konstruktiven Kräften in Unternehmen vorbei.”
 
Viktoria Ritter, Umweltjuristin bei Ökobüro unterstreicht die Kritik: “Anerkannte Umweltschutzorganisationen sind am Genehmigungsverfahren von umweltrelevanten Projekten zu beteiligen, sie müssen auch Beschwerderechte haben - alles andere verstößt gegen das Völker- und Europarecht. Schon derzeit betreibt die Europäische Kommission wegen der mangelhaften Beteiligungsrechte von Umweltschutzorganisationen ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Republik, das bei Nicht-Umsetzung in einer Klage beim EuGH münden kann. Eine Einschränkung so wie die WKO sie vorschlägt, würde die Vertragsverletzung noch verstärken. Die Verfahrensbeteiligung von Umweltschutzorganisationen dient der Sicherstellung von Umweltschutzstandards und stützt die öffentliche Akzeptanz von Energieprojekten.”
 
Der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Beschwerden gegen Genehmigungsbescheide führe dazu, dass Projekte während eines Beschwerdeverfahrens vor dem Gericht bereits gebaut werden dürfen. Das widerspreche dem europarechtlichen Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes: Es würden Schäden an der Umwelt verursacht, die im Nachgang schwer rückgängig gemacht werden können. Die Streichung von Beschwerderechten an den Verwaltungsgerichtshof führe zu mehr Rechtsunsicherheit: Dadurch werde verhindert, dass grundsätzliche Rechtsfragen durch den Gerichtshof auch für zukünftige Fälle geklärt werden und diese müssten im nächsten Verfahren wieder aufgerollt werden.
 

WKO "bleibt im fossilen Zeitalter gefangen"

Auch sonst sehe Global 2000 viel Rückschrittliches im vorliegenden WKO-Dokument. So möchte die WKO erreichen, dass zahlreiche Steuerbegünstigungen eingeführt werden, darunter auch eine Steuersenkung auf fossiles Erdgas. Damit würde umweltschädliche Energie günstiger werden und die Energiewende damit behindern. "Gleichzeitig hält man an Scheinlösungen fest und will E-Fuels im Straßenverkehr einsetzen, obwohl diese Treibstoffe schlicht nicht vorhanden sind und als ineffizienteste Technologie sich mit einem Fahrzeug fortzubewegen auch in Zukunft keinen nennenswerten Beitrag zur Mobilität leisten können", so Wahlmüller.

“Die Wirtschaftskammer will sich jeden Beitrag zum Klimaschutz von den Steuerzahler:innen finanzieren lassen und schreckt nicht einmal davor zurück, den Ausbau von umweltschädlichen Subventionen vorzuschlagen, obwohl im kürzlich vorgestellten Nationalen Energie- und Klimaplan genau das Gegenteil vorgesehen ist. Sie stellt sich damit gegen die Erreichung der Klima- und Energieziele in Österreich und gegen die vielen Unternehmen, die schon jetzt einen wichtigen Beitrag zur Energiewende leisten, Innovationen voranbringen und ihre Verantwortung ernst nehmen." Deshalb werde die Wirtschaftskammer aufgefordert, "endlich in die Zukunft gerichtet zu denken und einen Energiemasterplan zu erarbeiten, der tatsächlich einen Beitrag zum Erreichen der österreichischen Klimaziele leisten kann”, so Johannes Wahlmüller abschließend. 

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