Hype um "dumme" Handys: Die neue Lust zum Minimalismus
Einfach nur telefonieren und vielleicht noch schnell eine SMS tippen – und aus. Als der niederländische Premier Mark Rutte in einem Interview verriet, in erster Linie mit einem altmodischen Nokia 301 Tastenhandy zu kommunizieren, blieb der Shitstorm im Netz völlig aus. Stattdessen erntete er viel Sympathie und Zustimmung seiner Landsleute. Vor allem mit seiner Begründung. „Ein großer Vorteil: Ich kann keiner App-Gruppe beitreten.
In meinem Umfeld sehe ich Menschen, die gestresst sind, weil sie mit all diesen Gruppen mithalten müssen, während ich ziemlich entspannt durchs Leben gehe“, erläuterte der 56-Jährige Politiker im Interview mit einer Studentenzeitschrift. Rutte traf damit den Nerv einer zunehmend erschöpften Smartphone-Generation, die sich nach einem einfacheren Leben (zurück)sehnt.
NL-Premier Mark Rutte, bekennt sich zum Nur-Handy
Chat-Foren, Feeds, Apps und Status-Updates erfordern ständige Aufmerksamkeit am Smartphone, viele wünschen sich daher die handlichen, einfach zu bedienenden Nur-Handys aus den Anfängen der Mobilfunkära zurück. In den USA berichten Medien von einem regelrechter Hype um so genannte „Dumbphones“ (zu Deutsch: Dumme Handys).
Befeuert wird die Nachfrage von Influencern wie dem Tiktok-Star Alex Purdy und Social-Media-Bewegungen, die für mehr Lebensqualität durch bewusste Reduktion der Bildschirmzeit werben. So empfahl etwa der Luddite Club seine Anhänger zum Tausch des Smartphones gegen Klapphandys.
➤ Lesen Sie hier mehr zum Thema: Warum uns das Smartphone krank macht
Nokia reloaded
Einer der Hauptprofiteure des propagierten digitalen Entgiftens ist die Retro-Marke Nokia, die von der finnischen Firma HMD Global aufgekauft wurde. Laut CNBC verkaufte HMD Global im Vorjahr Zehntausende Retro-Klapp- und Schiebehandys pro Monat. Die Finnen reiten die Retro-Welle höchst erfolgreich und landeten zuletzt mit dem neu aufgelegten Nokia 3310 einen Verkaufshit. Auch das Nokia 6310 versucht am Erfolg anzuknüpfen.
Neben der einfachen Bedienung sind die Nur-Handys auch billig, weshalb sie gerne als Zweitgerät für Urlaub und Freizeit gekauft werden. Das Nokia 105 ist für weniger als 20 Euro zu haben, man kann dafür nur Telefonieren und SMS schreiben, sonst nichts.
Im März kündigte HMD Global an, künftig nicht nur in Asien, sondern auch in Europa fertigen zu wollen. Dabei denkt das Unternehmen vor allem an 5G-Smartphones.
Schweizer Design
Mit dem Slogan „Das Handy für Leute, die sich leisten können, nicht erreichbar zu sein“, wirbt die junge Schweizer Designerschmiede Punkt. Das edle Dumbphone MP 02 ist eher ein Lifestyle-Accessoir als ein Handy und mit 329 Euro nicht gerade billig. In den USA hat sich das Start-up Light auf minimalistische „Light Phones“ spezialisiert. Die Handys sind erst der Auftakt zu einer ganzen Reihe neu entwickelter digitaler Entschleunigungsgeräte.
Das MP02 der Schweizer Firma Punkt
Nicht nur Senioren
Schon lange auf digitalen Minimalismus setzt der Linzer Seniorenhandy-Hersteller emporia. „Den Begriff Dumbphones lehnen wir aber ab. Die meisten unserer Phonephones haben 4G-Technik, sind also im Kern intelligente Smartphones“, sagt emporia-Chefin Eveline Pupeter zum KURIER. Fast alle Handys sind mit Kamera, Notrufknopf und Taschenlampe ausgestattet. Die Preise liegen zwischen 25 und 99 Euro. In Europa ist der Markt mit Tasten- und Klapphandys eine heiß umkämpfte Nische, in der emporia mit 400.000 verkauften Endgeräten im Jahr gut mitspielt.
Das Tastenhandy emporiaPRIME LTE
Am stärksten sei die Nachfrage nach Tastenhandys derzeit in Deutschland, dank einer immer jüngeren Zielgruppe, wie Pupeter betont. „Es gibt immer mehr digitale Detoxer, die zumindest am Wochenende nicht ständig von eMail, Whatsapp oder anderen digitalen Aktivitäten abgelenkt werden wollen. Dieser Trend, also die Konzentration auf das Wesentliche, sich im Gespräch mit dem Gegenüber nicht permanent ablenken zu lassen, wird immer stärker spürbar.“
Gleichzeitig würden auch Unternehmen umdenken und ihr Personal mit billigen Tastenhandys ausstatten, anstatt teure Telefonanlagen zu investieren. Als Beispiel nennt die emporia-Chefin ein Einkaufszentrum in Ingolstadt. Geht es um Erreichbarkeit, ist also auch im Geschäftsleben weniger oft mehr.
Kommentare