Die Genuss-Greißler sind zurück

Eine Frau steht in Lunzers Maß-Greißlerei vor Regalen mit Lebensmitteln in Gläsern und hält ein herzförmiges Gebäck.
Sie bieten Frisches vom Bauern, Grätzeltratsch und ein etwas anderes Kauferlebnis.

Das Biomüsli rasselt vom Zapfbehälter in die Plastikdose der Kundin. "Und wie funktioniert das jetzt, wenn ich noch Rosinen drauf haben will?", fragt sie. "Kein Problem", sagt Andrea Lunzer, sie wiegt die befüllte Dose ab, stellt die Waage auf Tara und reicht die Dose der Kundin: "Jetzt einfach die Rosinen dazugeben und ich wiege nochmal ab."

Die Kunden fragen viel nach in Lunzers Maß-Greißlerei in der Heinestraße 35 im zweiten Wiener Bezirk. Einkaufen kann man hier seit Ende Jänner wie zu Omas Zeiten – nur moderner.

Schon lange wollte Andrea Lunzer etwas gegen den Verpackungswahn im Lebensmittelhandel tun. "Bioprodukte in Plastik, das geht einfach nicht", sagt sie. Plastikhüllen sucht man in der Maß-Greißlerei vergebens, nur Papierbeutel und Einmachgläser gibt es. Noch lieber ist es Andrea Lunzer, man bringt sein eigenes Gefäß mit. Reis, Dinkelmehl, Oliven- und Distelöl, sogar Bio-Flüssigwaschmittel kann man abfüllen, Tees und Gewürze in Papierbriefchen löffeln. Obst, Gemüse, Milch in der Pfandflasche und Rohmilchbutter kommen von Biobauern, einiges von den Biohöfen der Eltern und des Cousins. Preislich liegen Lunzers Produkte "zwischen Ja Natürlich! und Denn’s", die Greißlerei selbst liegt zwischen Augarten und Prater – in einem Wohngebiet mit hohem Ausländeranteil, wenig zahlungskräftigen Kunden. Lunzer wollte bewusst in einer Gegend aufsperren, die "noch nicht so mit Bioläden erschlossen ist".

Omas und Singles

Wie eine kleine Greißlerei mit zwei Penny- und drei Billamärkten in fünf Minuten Gehweite mithalten kann? "Gar nicht", sagt Lunzer. Ihr Konzept spreche andere Kunden an, Singles, Junge mit Sinn für Nachhaltigkeit, ältere Damen, "die den Krieg miterlebt haben und froh sind, ein Stück Knoblauch kaufen zu können." Der wichtigste Unterschied zum Supermarkt sei das persönliche Gespräch, sagt Lunzer: "Der Konsument hat eine Wahnsinnssehnsucht danach." An Kunden mangle es nicht, es sei ständig was los.

Die Genuss-Greißler sind im Kommen. Und das, obwohl in den vergangenen Jahrzehnten Supermärkte die Nahversorger ersetzt haben, oft vom Greißlersterben berichtet wurde. Mittlerweile prophezeien Experten bis zum Jahr 2025 eine Renaissance der Greißler. So analysierte das Beratungsunternehmen KPMG im Vorjahr für Deutschland und die Schweiz den Lebensmitteleinzelhandel und kam zum Schluss: Die Gesellschaft altert, kleine Läden in Gehweite mit "authentischem" Lebensmittelangebot und "Genussorientierung" werden in Zukunft gefragt sein, der soziale Kontakt im Handel wird an Bedeutung gewinnen. Auch Bettina Lorentschitsch, Obfrau der Bundessparte Handel der Wirtschaftskammer Österreich, sieht großes Potenzial für die sogenannten Motto-Greißler: "Es gibt gute Chancen für Nahversorger mit innovativen Konzepten – in der Stadt, aber auch am Land. Aber es braucht eine Marktlücke, Produkte, die man nicht überall bekommt."

Wegwerfen überflüssig

Ein innovatives Konzept hat auch Margret Zimmermann mit ihrer Greißlerei "Essenswert" in der Schlösselgasse 20 im achten Bezirk seit Februar umgesetzt, als Kooperationspartnerin der regionalen Versorgungsplattform NETS.werk. Bis Dienstagfrüh können Kunden über den Onlineshop Essenswert.at Brot, Fleisch, Eier, Gemüse, Käse und Milch von Bio-Bauern aus dem Umland bestellen. Freitags kann die frisch gelieferte Ware abgeholt werden. Unter der Woche gibt es Haltbares in bio wie Obstsäfte, Sugo, Teigwaren und alte Getreidesorten. Auch Margret Zimmermanns Unternehmensidee entstand aus dem eigenen Bedarf heraus: Mit der Bioware in den Supermärkten sei sie unzufrieden gewesen, "das ist immer noch Massenware, nicht vergleichbar mit Produkten von kleinen Familienbetrieben." Zimmermann will mit "Essenswert" sich und ihren Kunden Gutes tun: "Der Kunde kauft bewusster, bekommt die Ware frisch und ich muss kaum etwas wegwerfen, weil gekauft wird, was ich bestellt habe." Für die Kunden sei das anfangs ungewohnt gewesen, "manche haben vergessen, die Bestellung abzuschicken, andere, sie abzuholen." Doch langsam pendle sich der Ablauf ein. Am Karfreitag gab es Osterlamm aus dem Burgenland.

Filialen

Die kleinen Nahversorger wurden in Österreich in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend von Supermarktfilialen verdrängt. Trotzdem sind noch etwa ein Drittel der 2354 Gemeinden ohne Lebensmittelfilialen und damit auf Nahversorger oder auf Nachbargemeinden angewiesen.

Förderungen

Die Bundesländer bieten Förderungen für Nahversorger an.
In Wien werden Kleinstbetriebe heuer mit bis zu 5000 Euro gefördert. Bis Ende Juni bietet ein Förderwettbewerb für Wiener Nahversorger insgesamt 550.000 Euro an Förderungen.
www.wirtschaftsagentur.at

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