Deutscher Bahnstreik kostet bis zu halbe Milliarde Euro

Wie angekündigt startete am Montag pünktlich um 15 Uhr der achte und voraussichtlich größte Streik in der Geschichte der Deutschen Bahn. Die Lokführer werden vorerst nur den Güterverkehr lahmlegen, ab Dienstag 02.00 Uhr früh wird auch der Personenverkehr bestreikt. Die Bahn rechnet damit, dass in den sechs Tagen nur etwa die Hälfte der sonst verkehrenden Güterzüge unterwegs sein wird.
Der Streik wird also nicht nur Auswirkungen auf den Personenverkehr haben. Auch die Wirtschaft sorgt sich und rechnet mit einem hohen Schaden. "Alles in allem drohen Streikkosten von einer halben Milliarde Euro", sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer, am Montag in Berlin. Wenn der Streik wie angekündigt sechs Tage dauere, komme die Lieferkette ins Stocken.
"Der Bahnstreik kostet die Wirtschaft nicht nur Nerven"
"Lager laufen leer, die Produktion stottert, es kann sogar zu Produktionsausfällen kommen", warnte Schweitzer. "Der Bahnstreik kostet die Wirtschaft nicht nur Nerven, sondern richtig Geld." Auch der Arbeitgeberverband und der Bundesverband der Deutschen Industrie kritisierten den Streik und warnten vor den Auswirkungen für die Wirtschaft.
Ökonomen zufolge kann der Ausstand das Bruttoinlandsprodukt drücken. "Das könnte die Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal um 0,1 Prozentpunkte senken", sagte der Deutschland-Chefvolkswirt von UniCredit, Andreas Rees. Er rechnet für April bis Juni bisher mit einem Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent. "Je länger der Streik dauert, umso größer die Gefahr, dass auch mal Aufträge storniert werden", sagte Rees.
Lokführer bleiben hart
Trotz der Kritik aus der deutschen Regierung und der Empfehlung zur Schlichtung des eigenen Dachverbandes blieb die Lokführergewerkschaft GDL hart. "Wir werden in keine Schlichtung gehen, weil wir grundgesetzlich geschützte Rechte in keine Schlichtung bringen", sagte GDL-Chef Claus Weselsky (Porträt siehe unten) am Montag in Berlin.
Auswirkungen auf den Bahnverkehr in Österreich sind minimal (mehr dazu lesen Sie hier).
Den Führerstand im Zug hat er schon lange verlassen. Und doch kann Claus Weselsky quer durch die Republik die Züge zum Stehen bringen. Das tut der 56-Jährige auch in dieser Woche wieder. Der Chef der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer ( GDL) bläst im turbulenten Tarifkonflikt mit der Deutschen Bahn erneut zum Streik, diesmal zum bisher größten in der Geschichte des Unternehmens.
Wechsel ins Büro
Weselsky ist durch und durch Gewerkschafter. Der Sachse war bei der Geburtsstunde der GDL in Ostdeutschland dabei und wurde dort 1990 Vorsitzender der Ortsgruppe Pirna. Zwei Jahre später verließ der gelernte Lokführer die Schienen: Vom Büro aus arbeitete er für die GDL als Personal- und Betriebsrat, seit 2002 ist er für seine Gewerkschaftstätigkeit ganz freigestellt. Im Mai 2006 stieg Weselsky zum Vizevorsitzenden der GDL auf und wurde "Kronprinz" des damaligen Chefs Manfred Schell.
Bekannt wurde Weselsky 2007, als sich Schell mitten in der heißen Phase des Arbeitskampfes in die Kur am Bodensee verabschiedete. Damals zeigte Weselsky, dass er als Verhandlungsführer die Position der Lokführer kompromisslos vertritt. Das nach monatelangem Streit Anfang 2008 erkämpfte Ergebnis konnte sich sehen lassen: Ein saftiges Lohnplus von elf Prozent. Wenige Monate später wählten die GDL-Mitglieder Weselsky zum Nachfolger von Schell, mit 90 Prozent der Stimmen.
Harte Worte
Mit harten Bandagen kämpft Weselsky auch im laufenden Tarifstreit. Er wirft der Deutschen Bahn vor, "ein böses Spiel" zu spielen, seine Gewerkschaft mit dem Ruf nach einem Gesetz zur Tarifeinheit in den "Selbstmord" treiben zu wollen. Weselsky bescheinigt der Bahn, eine "Schmierenkomödie" zu veranstalten und zu verhandeln, ohne ein Ergebnis erzielen zu wollen. Eine vom Konzern geforderte Schlichtung lehnt er ab.
Die Forderungen der GDL sind klar: mehr Lohn, weniger Überstunden, bessere Arbeitszeiten. Vor allem will sie aber erstmals einen Abschluss erzielen, der die Belange aller ihrer Mitglieder widerspiegelt - also nicht nur der Lokführer, sondern beispielsweise auch der Zugbegleiter und Bordgastronomen.
Auch die konkurrierende und ungleich größere Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) führt parallel Tarifgespräche mit der Deutschen Bahn. Und Weselsky wird den Eindruck nicht los, dass sich seine GDL einem Abschluss mit der EVG unterordnen soll. In der EVG sieht er ohnehin eine "handzahme Hausgewerkschaft", der er auch schon mal "Totalversagen" attestiert.
Wegen seiner Wortgewalt wurde der Mann mit dem Schnauzer von mehreren Zeitungen schon als "Einheizer" bezeichnet. Seine kräftigen Poltereien brachten Weselsky in der Vergangenheit aber auch Rücktrittsforderungen ein. Und selbst in Gewerkschaftskreisen ist sein Verhandlungsstil im Tarifstreit mit der Deutschen Bahn umstritten. "Der stellt sich hin, als würde er zum Heiligen Krieg aufrufen. Nur um sein Ego zu stärken", schimpfte sogar sein Vorgänger Manfred Schell.
Gefolgschaft ungewiss
Doch die Gefolgschaft der GDL-Mitglieder ist Weselsky bisher gewiss. Die Mitglieder seien "seit längerem unzufrieden", bekräftigt der Gewerkschaftschef am Montag noch einmal. Sie seien nicht mehr bereit, die Taktik der Deutschen Bahn nach dem Motto "ein Schritt vor, zwei zurück" zu dulden. Beim vorangegangenen Streik vor noch nicht einmal zwei Wochen sorgte die Gewerkschaftsbasis dafür, dass nur etwa jeder dritte Fernzug fahren konnte. So gut wie alle GDL-Mitglieder bei der Deutschen Bahn hätten "Flagge gezeigt", freute sich anschließend der Chef.
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