Geteilte Mobilität am Boden der Realität: Warum der Carsharing-Hype vorbei ist

Carsharing-Auto von WienMobil an einer Verleihstation
Das goldene Zeitalter des Carsharing in Wien liegt ungefähr 10 Jahre zurück. Car2Go und DriveNow fluteten damals die Straßen mit immer mehr Mietautos. Die Geschäftsgebiete, in denen man ihre "Free-Floating"-Autos überall abstellen konnte, wuchsen. Daneben sprossen Verleihstationen weiterer Dienste wie Zipcar oder Flinkster aus dem Asphalt. Mit praktischen, kleinen Smarts fand man selbst innerhalb des Gürtels immer einen Parkplatz.

Ein Bild aus leichteren Carsharing-Zeiten in Wien: Car2Go-Smart am Ring
Chance auf weniger Autos in der Stadt
Wenn man wollte, konnte man auch schnell einmal im Mini-Cabrio für ein paar Minuten Frischluft tanken oder mit dem BMW X1 einen Kühlschrank vom Händler abholen. Die Anmietung von Autos dauerte wenige Sekunden. Von 2010 bis 2015 hat sich die Nutzerschaft von Carsharing-Diensten in Wien verzwanzigfacht. Die Stadtregierung sah den aufstrebenden Sektor als Chance, um privaten Pkw-Besitz zurückzudrängen und mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer im öffentlichen Raum zu schaffen.

Mit viel Trara und Larissa Marolt startete DriveNow 2014 seinen Carsharing-Betrieb in Wien
Später kamen Elektroautos hinzu. DriveNow und dessen Nachfolger ShareNow (nach Zusammenschluss mit Car2Go) boten BMW i3 an. Bei Eloop (ab 2019) konnte man mit dem Tesla Model 3 fahren. Der Carsharing-Hype zog Moped-Sharing und E-Scooter-Sharing nach sich.
Mühsame Knipserei
Heute sieht die Sache anders aus: Im Free-Floating-Betrieb gibt es nur noch Free2Move, nachdem Stellantis 2022 ShareNow von Mercedes und BMW übernommen hat. Man fährt Stellantis-Autos (Fiat, Opel, Citroen, Peugeot), muss bei jedem Fahrtantritt den Zustand des Autos fotografisch genau dokumentieren und sich dafür auch schon mal auf die befahrene Straße wagen. E-Autos gibt es nur noch stationär und Cabrios gar nicht mehr. Viele Anbieter sind pleite gegangen und haben sich verabschiedet. Mietmopeds erhält man nur noch an wenigen Orten und bei E-Scootern hat man jetzt die Auswahl zwischen Voi und Lime.

Free2Move ist im Free-Floating-Segment übrig geblieben. Der Mietprozess per App ist zeitaufwendiger als früher
Bereinigung am Platzhirschmarkt
"Der Eindruck täuscht nicht, hier hat eindeutig eine Marktbereinigung stattgefunden", sagt Sebastian Kummer, Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik an der WU Wien. "Auch die Benutzung ist komplizierter geworden. Für viele ist das zur Barriere geworden." Der Hype rund um die Sharing-Mobilität sei abgeklungen, das Angebot habe sich auf einem Niveau eingependelt, das die Nachfrage gut bedient. "Mehr Anbieter verträgt der Markt auf keinen Fall."
"Carsharing ist ein Platzhirschmarkt. Man buttert viel Geld rein, nimmt in Kauf, am Anfang keinen Gewinn zu machen und hofft am Ende der Größte zu sein und am Markt zu bleiben", sagt Michael Heiling von der Arbeiterkammer. Er hat 2017 und 2021 Bestandsaufnahmen zur Sharing-Wirtschaft mitverfasst. Dass viele Anbieter auf der Strecke bleiben, sei "modellimmanent".
Größte Anbieter in Wien
Free2move (800 Autos), WienMobil/sharetoo (100 Autos), MO.Point, Getaround (Vermietung von Privatfahrzeugen)
0,17 Euro pro Minute
zahlt man bei Free2Move mindestens für einen Citroen C3. Der reale Preis wechselt dynamisch
Österreichweit
ÖBB Rail & Drive: 400 Fahrzeuge an 48 Bahnhöfen in allen Bundesländern. Guter Überblick über weitere Anbieter auf Carsharing.at
Öffis haben ihre Palette erweitert
Dass das Carsharing-Angebot geschrumpft sei, habe auch seine guten Seiten, sagt Kummer. "Wien hat ein extrem gut ausgebautes Öffi-Netz, das noch dazu extrem günstig ist." Dass es viele Menschen praktischer finden, in ein öffentliches Verkehrsmittel zu steigen, als ein Carsharing-Auto zu mieten, sei positiv. Carsharing-Angebote kommen auch vermehrt von öffentlicher Seite, etwa mit WienMobil oder ÖBB Rail & Drive, die standortbasiert Mietautos zu relativ günstigen Preisen anbieten.

Mit Rail & Drive bieten die ÖBB ein österreichweites stationäres Carsharing an
Während Automarken früher mit Carsharing-Angeboten neue Käufer anlocken oder sich als Mobilitätsdienstleister versuchen wollten, konzentrieren sie sich nun vermehrt auf ihr kriselndes Kerngeschäft. Die verbliebenen Player haben es verstanden, strenger mit Mietern umzugehen, auch aus versicherungstechnischen Gründen.
Kosten sparen beim Personal
Ihre Kosten versuchen Carsharing-Dienste auch durch Einsparungen beim Personal gering zu halten. Eigene Angestellte besäßen die Anbieter üblicherweise nur in geringer Anzahl. "Wenn man sich Mobilitäts-Sharing-Betriebe anschaut, gibt es aber viel Arbeit, die geleistet werden muss. Es gibt Menschen, die Autos abholen, richtig parken, oder E-Scooter aufladen. Das weist mitunter auf beträchtliche Scheinselbstständigkeit hin", sagt Heiling.
Fahrtendienste knabbern am Geschäft
Enorme Konkurrenz ist durch Fahrtendienste wie Uber oder Bolt entstanden. Sie bieten viel Komfort für etwas höhere Preise, dafür erspart man sich Dinge wie Parkplatzsuche und Fahrtüchtigkeit. In Zukunft werden in dem Bereich auch Robotertaxis interessant, sagt Kummer. Gerade das Free-Floating-Carsharing gerät durch Fahrtendienste jedenfalls unter Druck.
Uber berichtete fast 15 Jahre nach seiner Gründung erstmals über Gewinne, sagt Heiling. Im Mobiitäts-Sharing-Geschäft müssten Anbieter lange Durststrecken überstehen, bis eventuell Renditen abgeschöpft werden. "Es dürfte viele geben, die das nicht durchstehen." Dem Wiener Platzhirsch Free2Move scheint es unterdessen nicht schlecht zu gehen. Die Nutzungsfrequenz sei im vergangenen Jahr um 15 Prozent gestiegen, teilt das Unternehmen mit. Das Geschäft laufe gut. In Zukunft will man noch mehr Automodelle anbieten.
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