Budgetstreit: Italiens Zugeständnisse „großteils kosmetisch“

Finanzminister Tria, EU-Währungskommissar Moscovici im Oktober in Rom
Experte: Die Kommission habe zu rasch eingelenkt, sie wollte den Kritikern vor der EU-Wahl wohl keine Munition liefern.

Dass die EU-Kommission mit Italien über den Budgetplan verhandelt hat, sei gut gewesen. Sie habe aber „etwas zu früh eingelenkt“, sagt Grégory Claeys, Experte der Brüsseler Denkfabrik Bruegel, zum KURIER.

Der Kompromiss habe „großteils nur kosmetische Korrekturen“ gebracht. Statt 2,4 Prozent Defizit für 2019 sind, wie berichtet, nun 2,04 Prozent eingeplant.

Zweierlei Maß?

Dass Frankreich zwischenzeitig ein größeres Haushaltsloch ankündigte, um den Protesten der Gelbwesten Wind aus den Segeln zu nehmen, habe sicher eine Rolle gespielt, glaubt Claeys: „Die Kommission wollte sechs Monate vor der EU-Wahl den Vorwurf vermeiden, Italien und Frankreich unterschiedlich zu behandeln.“

Sachlich hätte sich das begründen lassen, weil Paris Reformen umgesetzt habe, die in Rom unterblieben seien. Nach KURIER-Berechnungen werden Italiens Populisten in den nächsten drei Jahren um rund 90 Mrd. Euro mehr ausgeben als die Vorgängerregierung in Rom eingeplant hatte.

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Italiens Premier und Vizepremiers: Salvini, Conte, DiMaio

Der angeknackste Pakt

Ist der Stabilitäts- und Wachstumspakt, der solide Budgets im Euroraum garantieren soll, damit obsolet? In Fällen wie Portugal, das sich angestrengt hatte, die Ziele zu erreichen, habe er die Flexibilität befürwortet, sagt Claeys. „Jetzt bin ich leicht frustriert. Italien ist das erste Land, das bewusst das Gegenteil praktiziert. Und die Abweichung ist in diesem Fall wirklich groß.“

Obendrein gehe es bei Italien nicht um eine Budgetüberschreitung zugunsten von zukunftsweisenden Investitionen, sondern es sind großteils Mehrausgaben für die Rücknahme sinnvoller Strukturreformen, die die sparsamere Vorgängerregierung beschlossen hatte.

Einfachere Regeln

Einig seien sich unterdessen alle Experten, dass die Budgetregeln für den Euroraum einfacher werden sollten. Nicht nur ließen sich die unterschiedlichen Vorgaben etwa für das nominelle Budgetdefizit, das strukturelle Defizit und den Schuldenabbau-Pfad in der Öffentlichkeit kaum kommunizieren. Auch viele Parlamentarier würden die Unterschiede nicht kennen, sagt Claeys.


So herrscht vielfach die Vorstellung, alles unterhalb eines "Maastricht-Defizits" von drei Prozent des BIP sei regelkonform. Ein Irrglaube, denn es gibt noch etliche weitere Kriterien. Und für Italien gelten wegen seines exzessiven Schuldenberges von mehr als 130 Prozent des BIP ohnehin spezielle Schuldenabbau-Vorschriften.

Theorie versus Praxis

Besonders problematisch ist das strukturelle Defizit, das die normalen Schwankungen des Wirtschaftszyklus aus dem Budget herauszurechnen versucht. Die EU-Kommission habe bei ihren Berechnungen bisweilen gewaltig daneben gelegen.

Die Abweichungen seien teilweise riesig gewesen, manchmal sogar größer als der Unterschied, den die Kommissions-Empfehlungen ausgemacht hatten. Damit werde die Kennzahl als Steuerungskriterium hinfällig.  "In der Theorie ist das überaus sinnvoll, in der Praxis aber kaum zu bewerkstelligen", sagt Claeys.

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