Boehringer-Chef überzeugt: Bald auch Krebstherapien aus China

Boehringer Ingelheim-Generaldirektor Pavol Dobrocky
Generaldirektor Pavol Dobrocky über wachsende Pharma-Konkurrenz aus Fernost, hohe Regulierungshürden in Europa und Stellenabbau in Wien.

China wird schon bald zum großen Pharma-Player am Weltmarkt, glaubt Pavol Dobrocky, Generaldirektor von Boehringer Ingelheim Regional Center Vienna (RCV). Im KURIER-Interview plädiert er für einen europäischen Einheitspreis bei Medikamenten und welche Perspektiven der Standort Wien hat.

KURIER: Wie läuft aktuell das Geschäft bei Boehringer?

Pavol Dobrocky: Wir wachsen sowohl im Humanpharma- als auch im Veterinärgeschäft. Wir haben heuer zwei neue Produkte in den USA auf den Markt gebracht und in China und Japan registriert. Eines davon, ein Medikament zur Behandlung des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC), wurde in Wien entwickelt. Hier erwarten wir die Zulassung in Europa für Mitte 2028, beim zweiten gegen Lungenfibrosen (IPF, PPF) Mitte nächsten Jahres.

Warum dauern die Zulassungen in Europa so lange?

Die Zulassung erfolgt in anderen Ländern bis zu drei Jahre früher als in der EU. Hier brauchen wir Phase III-Studiendaten für eine Zulassung, die auch Basis für eine Erstattung ist. In anderen Ländern geht das schneller, weil bei bestimmten Erkrankungen frühere Studienphasen akzeptiert werden.

Boehringer Ingelheim-Generaldirektor Pavol Dobrocky

Boehringer-Ingelheim-Generaldirektor Pavol Dobrocky 

Wie sieht die weitere Produktpipeline in Wien aus?

Wir sind hier in klinischer Phase II für einen Antikörper, der Tumorzellen mit Immunzellen (T-Zellen) verbindet, um Krebs zu bekämpfen. Sollte es die Zulassung erhalten, könnte die Produktion für den Weltmarkt hier in Wien erfolgen. Das wäre ein enormer Gewinn für den Standort, denn wir verfügen über die notwendige Infrastruktur, Expertise und ausreichend Kapazitäten.

Sie produzieren auch für Dritte hier in Wien. Die Stornierung eines Auftrages kostet rund 50 Jobs. Können Sie dazu Stellung nehmen?

Wir produzieren hier für einen Kunden Bestandteile für einen Krebsimpfstoff. Aufgrund geringerer Nachfrage wird die Produktion Ende März 2026 beendet. Betroffen sind davon rund 150 Beschäftigte, die wir versuchen in anderen Unternehmensbereichen unterzubringen. Für jene rund 50, die wir nicht übernehmen können, haben wir einen Sozialplan und umfassende Unterstützungsmaßnahmen vereinbart. Die Gesamtzahl der Mitarbeitenden am Standort Wien wird sich im Jahresvergleich nicht wesentlich verändern.

Boehringer Wien ist auch zuständig für den russischen Markt. Würden Sie nach Kriegsende das Geschäft dort wieder hochfahren?

Wir hoffen auf Frieden. Sollten die Sanktionen aufgehoben werden, würden wir natürlich auch unsere Position in Russland wieder überprüfen. Derzeit haben wir das Geschäft hier auf ein Minimum reduziert, liefern nur die Waren ohne kommerzielle Aktivitäten und führen keine neuen Produkte ein. Wir haben nur noch 15 Prozent der Mitarbeiter beschäftigt.

Die EU hat gerade ein Gesetz gegen Medikamenten-Engpässe verabschiedet. Was halten Sie davon?

Es ist entscheidend, dass lebenswichtige Arzneimittel verlässlich verfügbar sind. Vor allem Generika sind immer wieder von Engpässen betroffen. Es gibt einen starken Druck auf die Preise und daher hat sich die Produktion zunehmend nach Asien verlagert. Wer mehr Produktion in Europa will, muss auch den Preis dafür bezahlen. Nur dann wird auch hier produziert.

Es kann künftig bei Ausschreibungen eine lokale Produktion als Kriterium festgelegt werden. Hilft Ihnen das?

Wir sind voll lieferfähig, weil wir in Europa produzieren. Trotzdem kann es vorkommen, dass Medikamente nicht überall verfügbar sind, wo sie gebraucht werden. Das liegt daran, dass Medikamente aus EU-Ländern mit niedrigen Preisniveaus in jene mit höheren exportiert werden. Obwohl Parallelexporte legal sind, führen sie immer wieder zu Versorgungsengpässen, obwohl genug Ware vorhanden ist.

Wäre ein europäischer Einheitspreis für ein Medikament eine Lösung?

Ein europäischer Einheitspreis mit Zu- und Abschlägen je nach Kaufkraft der Länder könnte viele Probleme lösen und es könnte alles schneller gehen. Die unterschiedliche Regulierung in jedem Land steht im Widerspruch zum freien Warenverkehr. Und es gibt auch noch ein Währungs- und Inflationsthema in jedem Land.

Sollte schon bei der EU-weiten Zulassung eine Preisfestsetzung erfolgen?

Ja, das würde sicherlich zu schnelleren Produkteinführungen in Europa führen. Jetzt müssen wir in 27 Ländern extra den Preis verhandeln, was oft lange dauert, weil die Regeln nicht einheitlich sind. Ein Einheitspreis könnte einen Binnenmarkt öffnen, den es bisher nicht gibt.

China wird im Pharmageschäft immer stärker. Erwarten Sie hier Konkurrenz in den nächsten Jahren?

Da gibt es derzeit sehr viel Bewegung. Wir erwarten, dass China bald mit innovativen Medikamenten auf den Weltmarkt kommen wird.

Wird es bald auch Krebsmedikamente made in China geben?

Ja, das kann ich mir vorstellen. In den USA sind schon erste chinesische Präparate zugelassen. China forscht sehr intensiv im Bereich Onkologie.

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Forschung bei Boehringer Ingelheim in Wien

Könnte es eine Entwicklung wie in der E-Auto-Industrie geben, wo China inzwischen führend ist?

Kann durchaus sein, dass wir in den nächsten 20 Jahren chinesische Unternehmen unter den Top-20 der globalen Pharmafirmen haben werden. LifeScience ist für China eine Schlüsselindustrie wie die Halbleiterindustrie. Heuer gab es auch viele Übernahmen.

Da wächst Boehringer zunehmende Konkurrenz aus Fernost?

Ja definitiv, da kommt sehr viel Mitbewerb. Wir müssen China nicht fürchten, aber sehr ernst nehmen. Es ist wichtig, dass wir in Europa konkurrenzfähig bleiben und uns nicht in vielen Regeln verlieren. Daher braucht es Unterstützung für die Exportindustrie. Keine Industrie ist so exportintensiv wie die Pharmaindustrie.

Wie wichtig ist der chinesische Markt für Boehringer?

Es gibt viele Patienten, der Markt ist sehr interessant und für uns ein Fokusmarkt für die Zukunft.

Boehringer Ingelheim Regional Center Vienna

Apropos Unterstützung: In Österreich wird gerade eine LifeScience-Strategie ausgearbeitet. Was muss drinnen stehen?

Wir hoffen, dass die LifeScience-Industrie als eine Schlüsselindustrie angesehen wird wie auch in anderen EU-Ländern. Wir stehen auch im EU-weiten Wettbewerb. Wichtige Themen wären neben dem Dauerthema Produktionskosten vor allem eine Verbesserung der klinischen Forschung, damit Medikamente rascher auf den Markt kommen. Und wir brauchen einen besseren Zugang zu innovativen Medikamenten, das Prozedere der Zulassung ist nicht mehr zeitgemäß.

Können Sie das erläutern?

Die Patientengruppen werden immer kleiner, die Medikamente durch verschiedene neue Indikationen immer spezifischer. Es geht in Richtung personalisierte Medizin. Das Erstattungsprozedere mit dem jetzigen Preissystem ist da einfach nicht mehr zeitgemäß.

Zur personalisierten Medizin: Wann wird jeder Krebspatient sein individuelles Präparat bekommen?

Es geht in diese Richtung, ist aber noch Zukunftsmusik und wird im Einzelfall wirklich teuer. Es geht daher nicht um Einzelfälle, sondern eher um gut definierte Sub-Gruppen, was wir jetzt schon tun. Aber mit dem jetzigen Erstattungssystem ist das nicht mehr kompatibel.

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