Arbeitsmigration nach Deutschland: Was kann die neue "Chancenkarte"?

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Nach Vorbild der Rot-Weiß-Rot-Karte erhalten in Deutschland ab sofort qualifizierte Nicht-EU-Bürger leichter eine Arbeitsgenehmigung. Das soll jährlich 400.000 Arbeitsmigranten anlocken.

Migrantinnen und Migranten auf dem Weg zu einem Job in Deutschland können ab heute, 1. Juni, um eine so genannte "Chancenkarte"  ansuchen. Vorbild dafür ist die österreichische Rot-Weiß-Rot-Karte für die qualifizierte Zuwanderung aus Drittstaaten. Damit tritt der dritte Teil des reformierten Fachkräfteeinwanderungsgesetzes in Kraft, das die Ampel-Koalition in Deutschland 2023 beschlossen hatte. 

Die Chancenkarte soll den Zuzug von qualifizierten Arbeitskräften nach Deutschland erleichtern. Die wichtigsten Fragen & Antworten:

Was ist ab 1. Juni neu? 

Die mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz im vergangenen Jahr beschlossene Chancenkarte tritt in Kraft. Sie richtet sich an Menschen, die nicht aus der Europäischen Union stammen. Dieses neue Instrument im Aufenthaltsgesetz soll den Zuzug von qualifizierten Arbeitskräften nach Deutschland erleichtern. Ein Vertrag mit einem Arbeitgeber in Deutschland ist hier keine Voraussetzung. Ausgeweitet werden ab dem 1. Juni außerdem die Möglichkeiten für Arbeitskräfte aus den Westbalkanstaaten, für einen Job nach Deutschland zu kommen. Davon können auch Ungelernte profitieren. Allerdings müssen alle, die über die sogenannte Westbalkanregelung einreisen wollen, vorab einen Arbeitsvertrag nachweisen.
 

Wie funktioniert die Chancenkarte?

Grundvoraussetzungen sind aber eine im Erwerbsland staatlich anerkannte, mindestens zweijährige Berufsausbildung oder ein entsprechender Hochschulabschluss sowie Sprachkenntnisse in Deutsch oder Englisch. Je nach Sprachkenntnis, Berufserfahrung, Alter und Deutschlandbezug bekommen Interessierte Punkte, die sie zum Erhalt der Chancenkarte berechtigen. Auch für Qualifikationen in Engpassberufen gibt es Punkte. Mit der Karte können Nicht-EU-Ausländer dann nach Deutschland kommen und haben dann ein Jahr lang Zeit, sich einen festen Job zu suchen. Unter bestimmten Voraussetzungen ist eine einmalige Verlängerung um zwei Jahre möglich.

Und was ist neu bei der Westbalkanregelung?

Diese Regelung erleichtert den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt für Staatsangehörige aus Albanien, Bosnien und Herzegowina, dem Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien. Bisher werden für Arbeitskräfte aus diesen Staaten, die eine Jobzusage haben, von der Bundesagentur für Arbeit pro Jahr 25.000 Genehmigungen vergeben. Dieses Kontingent soll auf 50.000 Zustimmungen jährlich verdoppelt werden.

Gibt es das Fachkräfteeinwanderungsgesetz nicht schon länger?

Tatsächlich hat Deutschland schon seit März 2020 ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das die schwarz-rote Koalition beschlossen hatte, um den Zuzug von qualifizierten Arbeitskräften aus Nicht-EU-Staaten zu fördern. Nach Einschätzung von Experten blieb seine Wirkung einerseits wegen der Reisebeschränkungen durch die Corona-Pandemie, andererseits wegen des nach wie vor hohen bürokratischen Aufwands für die Erwerbsmigranten begrenzt. Im vergangenen November trat dann der erste Teil der von der Ampel-Koalition beschlossenen Reform des Gesetzes in Kraft. Die erste Stufe umfasste vor allem Erleichterungen bei der „Blauen Karte EU“ und bei anerkannten Fachkräften.

Und was gilt seit März?

Die Aufenthaltsmöglichkeit für Ausländer aufgrund berufspraktischer Erfahrung - ein Herzstück des Gesetzes zur Fachkräfteeinwanderung. Fachkräfte mit Abschluss und Berufserfahrung können ohne vorheriges Anerkennungsverfahren einreisen und in Deutschland arbeiten. Sie müssen also noch keine in Deutschland anerkannte Ausbildung vorweisen. Das soll Bürokratie einsparen und Verfahren verkürzen. Das Arbeitsplatzangebot in Deutschland muss ein Bruttojahresgehalt von mindestens 40.770 Euro zusichern - bei Tarifbindung des Arbeitgebers genügt eine Entlohnung entsprechend dem Tarifvertrag. Zur Deckung von zeitweilig besonders hohem Arbeitskräftebedarf wurde eine begrenzte kurzzeitige Beschäftigung ermöglicht. Die Bundesagentur für Arbeit hat hierfür für das Jahr 2024 ein Kontingent von 25.000 festgelegt.

Werden diese Reformen mehr Arbeitskräfte nach Deutschland locken?

Für eine Bewertung der Wirkung ist es noch zu früh, da die Neuerungen erst kurz gelten. Allerdings gibt es neben den teils hohen Anforderungen und bürokratischen Hindernissen noch andere Hemmnisse, die Erwerbsmigranten von einem Umzug nach Deutschland abhalten. „Angesichts des eklatanten Arbeitskräftemangels von über 400.000 Menschen pro Jahr ist die Chancenkarte in erster Linie eine Chance für Deutschland“, meint die Grünen-Innenpolitikerin Misbah Khan. Es liege nun an Deutschland als Gesellschaft und Wirtschaftsstandort, die neuen gesetzlichen Änderungen mit Leben zu füllen und als Einwanderungsland noch attraktiver zu werden.

Was schreckt Migranten außer der Sprache noch ab?

Im Vergleich zu anderen klassischen Einwanderungsländern ist die Steuern- und Abgabenlast in Deutschland relativ hoch. Das schreckt besonders Hochqualifizierte ab. Außerdem hat sich inzwischen herumgesprochen, dass es in einigen Ballungsgebieten schwierig ist, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Aus einigen Kommunen war zuletzt zu hören, Vermieter würden bei neu zuwandernden ausländischen Interessenten teilweise nach einer Bürgschaft des Arbeitgebers fragen.

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