Warnung vor massiver Fachkräftelücke in systemkritischen Berufen

Team of two workers on a house's roof installing solar panels.
Wifo-Studie: Bis 2029 könnten 51.000 Stellen unbesetzt bleiben. Industrie will Lehre reformieren.

Wird nicht rasch gegengesteuert, droht Österreich angesichts des demografischen Wandels ein massiver Mangel an Fachkräften in systemkritischen Branchen. Insbesondere im Bereich der Technik, im Handwerk, in Kindergärten oder in der Pflege würden aktuell mehr Personen pensioniert als nachkommen. Die Folgen: Arbeitsverdichtung, Überlastung sowie volkswirtschaftlich betrachtet auch ein geringeres Wachstum. 

Die Lücken ließen sich mit Nachqualifizierung aber gut schließen, zeigt eine Wifo-Studie. Laut dieser Studie könnten bis 2029 insgesamt 51.000 Personen mit Lehrabschluss, die in Pension gehen, nicht nachbesetzt werden. Das würde in einem berechneten Szenario auch Wachstum kosten. Das Wifo geht von einem BIP-Verlust von 2,5 Mrd. Euro oder 0,5 Prozent aus.   

In diesem Szenario könnten Unternehmen offene Stellen häufig nicht nachbesetzen, es würden Kosten für die Suche nach passenden Fachkräften anfallen und Investitionen müssten aufgeschoben werden. Und, aus Sicht der Arbeiterkammer besonders gravierend: In kritischen Sektoren wie Gesundheit, Sicherheit und Grundversorgung müssten Services eingeschränkt werden.

Qualifizierung schließt Fachkräftelücke und erhöht Wachstum

Werde allerdings in Qualifizierung investiert, würde dies nicht nur die Kluft bei Fachkräften verkleinern, was sich auch auf das Wachstum auswirkt. Würden rund 40.000 Personen auf einen Lehrabschluss hochqualifiziert, so liege das BIP im Jahr 2029 um 0,1 Prozent über der Basisannahme. Hinzu komme noch, dass diese höher qualifizierten Personen eher einen Job finden und daher weniger Sozialleistungen beziehen müssten.

Aus- und Weiterbildungsfonds gefordert

Die Arbeiterkammer plädiert angesichts der Studie einmal mehr für eine "zeitnahe Umsetzung" der Fachkräftestrategie seitens der Regierung, die unter anderem eine "Gleichrangigkeit von Qualifizierung und Vermittlung" im Arbeitsmarktservice (AMS) sowie ein "Recht auf Qualifizierung" nach einer entsprechenden Beratung vorsehen müsse. 

Außerdem fordert die Arbeiterkammer eine Stärkung der Lehre, etwa durch den Ausbau überbetrieblicher Ausbildungseinrichtungen und die Einrichtung eines eigenen Aus- und Weiterbildungsfonds, der von Betriebe gespeist werden sollte. 

Industrievertreter fordern "Bildungspflicht"

Auch Industrievertreter machten am Mittwoch auf die drohende Fachkräftelücke aufmerksam und forderten Reformen in der Lehrausbildung. Industriellenvereinigung (IV) und die Lehrlingsinitiative zukunft.lehre.österreich (z.l.ö.) fordern unter anderem eine durchgängige Berufsorientierung an allen Schulen sowie eine "Bildungspflicht" bis zum Alter von 14 Jahren. 

"Bildungs- und Berufsorientierung ist eine Kernaufgabe des Bildungssystems", so IV-Präsident Georg Knill, "sie kann nicht nur vom individuellen Engagement von Lehrkräften und Schulleitungen abhängig sein." Rund 20 Prozent der Pflichtschulabsolventen hätten nur rudimentäre Grundkompetenzen im Lesen, Schreiben und Rechnen, merkte Knill zum Thema Bildungspflicht an.

Präsident der Industriellenvereinigung Georg Knill im Bild

Modernisierung der Berufsschulen

Die Berufsschulen sollten zudem modernisiert werden. Auch die Vernetzung mit den Unternehmen sollte forciert werden. Quereinsteiger aus der Industrie und Wirtschaft müssten leichter an Berufsschulen unterrichten können, so ein weiterer Vorschlag der beiden Interessensvertretungen. Derzeit seien 54 Prozent der Berufsschul-Lehrerinnen und -Lehrer über 50 Jahre alt. In den AHS ist der Anteil der Lehrer über 50 derzeit bei 35 Prozent.

Eigene Lehrlings-Stabsstelle im Ministerium

Zudem bedürfe es einer zentralen politischen Anlaufstelle. Daher fordern z.l.ö. und IV im Rahmen einer Fachkräftestrategie eine eigene Stabsstelle im zuständigen Ministerium. Derzeit seien vier Ministerien für die Lehrausbildung verantwortlich: Neben dem Wirtschaftsministerium auch jenes für Bildung, für Arbeit und für Wissenschaft.

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