Nach Katastrophe: "Die Hilfe kommt garantiert an"

Rot-Kreuz-Generalsekretär Werner Kerschbaum und Caritas-Präsident Michael Landau im KURIER-Interview über die katastrophale Situation nach dem Hochwasser in Bosnien und Serbien und die Notwendigkeit lang anhaltender Hilfe.

KURIER: Rund 1,6 Millionen Menschen sind vom Hochwasser in Südosteuropa betroffen. Wie schafft man es, dass die Hilfe wirklich bei jenen Leuten ankommt, die sie brauchen?

Werner Kerschbaum: Erste Voraussetzung ist, das man sich vorab orientiert, wo die Schwerpunkte der Hilfe sein sollen. Wir müssen uns bewusst sein, dass wir als humanitäre Organisationen nur einen Teil der Hilfe leisten können. In Bosnien und Serbien lebt eine große Anzahl von Menschen, die auch ohne Hochwasser von Armut betroffen ist. In beiden Staaten war ein Gebiet so groß wie Oberösterreich überflutet.

Michael Landau: Die rasche Hilfe aus Österreich ist bei den Menschen sehr stark registriert worden. Es gibt eine große Dankbarkeit im Land. Ich sage das auch mit einem großen Danke an die Leserinnen und Leser des KURIER, weil es ein starkes Zeichen ist, dass wir unsere Nachbarn nicht im Stich lassen.

Nach Katastrophe: "Die Hilfe kommt garantiert an"

Zu Beginn setzte man auf Nothilfe-Maßnahmen.

Landau: In der ersten Phase ist es zunächst einfach um unmittelbare Nothilfe gegangen: Lebensmittel, Wasser, Hygieneartikel. Wir haben als Caritas 850.000 Euro eingesetzt, um in dieser Phase die Menschen zu unterstützen. Die Hilfe kommt an, das ist für die Menschen sehr wichtig.

Kerschbaum: Beim Hochwasser im Vorjahr, waren in Österreich 5000 Häuser betroffen. In Serbien und Bosnien wurden heuer 100.000 Häuser beschädigt oder zerstört. Das ist eine ganz andere Situation. Man sieht ja auch, wie verheerend das jetzt noch ausschaut.

Landau: Ein Thema ist, dass das Wasser relativ langsam zurückgeht und in einzelnen Dörfern nach wie vor steht. Es regnet seit geraumer Zeit wieder sehr stark. Das macht nicht nur im Hinblick auf den kommenden Winter große Sorgen. Das heißt: Wird es gelingen, die Häuser auch professionell zu trocknen, dass es im Winter zu keiner Schimmelbildung kommt?

Was sind die nächsten geplanten Schritte?

Kerschbaum: Die Akuthilfe klingt langsam aus. Jetzt geht es um den Wiederaufbau, das Trocknen der Häuser, das Wegräumen des Schlammes. Wer weiß, wie es in einem überfluteten Haus aussieht, aus dem man erst nach vier Wochen den Schlamm wegräumen kann, weiß auch, dass man dafür einen Presslufthammer braucht, weil der Schlamm hart wie Beton ist.

Landau: Allein in Bosnien sind 2000 Häuser völlig zerstört. Es kann sein, dass ein Haus von außen in Ordnung ausschaut, aber das Fundament so in Mitleidenschaft gezogen wurde, dass man es abreißen muss. Wo es geht, geht es um Hilfe zur Selbsthilfe. Die Leute sind gewohnt selbst Hand anzulegen. Aber gerade bei alten Menschen, die das nicht können, wird es notwendig sein, entsprechende Hilfsteams zu organisieren.

Kerschbaum: Wir haben zwei Schwerpunkte gesetzt. In Serbien unterstützen wir vier Gemeinden im Bereich des Flusses Morava, mit mehr als 4000 betroffenen Familien. Es geht vor allem um die Bereitstellung von Werkzeug und Material zur Reparatur der Häuser. Wir arbeiten auch mit Barbeträgen, Geld, das man den Menschen in die Hand gibt, damit sie einkaufen, was sie zur Sanierung der Häuser brauchen. Der zweite Bereich ist die Bosnien-Hilfe. Im Mündungsgebiet von der Bosna in die Save, das ist Flachland im Norden des Landes, das ausgesehen hat wie eine Badewanne. Saatgut ist uns auch ein Anliegen.

Landau: Vielfach handelt es sich um ganz kleine Landwirtschaften. Menschen, die im Wesentlichen für den eigenen Bedarf mit einigen Hühnern, Gemüse und vielleicht ein paar Schweinen gelebt haben. Manches Vieh konnte gerettet werden. Es wird darum gehen, zu schauen, dass die Landwirtschaft wieder in Betrieb kommt.

Kerschbaum: Was man jedenfalls berücksichtigen muss, ist, dass in sechs Monaten dort Winter ist. Und es viele alleinstehende, ältere Menschen gibt, die es nicht schaffen werden, in einem strengen Winter allein die Situation zu bewältigen. Darum denken wir schon daran, finanzielle Notzuschüsse einzuplanen für den Winter 2014/15. Auch die Aussaat 2015 wird eine Rolle spielen müssen. Man hat einen Jahreshorizont vor sich und dann sieht man, was noch alles zu tun ist.

Landau: Die Erfahrung vieler Katastrophen lehrt uns, dass man wahrscheinlich mehrere Jahre wird präsent sein müssen – bei den am meisten Betroffenen und den verletzlichsten Gruppen. Ich glaube der kommende Winter ist ein Schlüsselthema. Da wird es möglicherweise weitere Unterstützung mit Lebensmitteln brauchen, mit all den Dingen des täglichen Bedarfs. Wie in der Katastrophenphase, als wir Hygienepakete für Familien geschnürt haben, mit Seife mit Zahnpasta und so weiter; Nahrungspakete mit Zucker, Reis, Bohnen, aber auch Babypakete, weil auch für Babys Windeln, Nahrung, Hygieneprodukte notwendig waren. Ich glaube das Thema Aussaat – was geht jetzt noch – es wird im Oktober kalt werden, in einzelnen Regionen wird es empfindlich kalt. Es ist auch ein Wettlauf gegen die Zeit, was die Anpflanzung betrifft. Es wird auch notwendig sein, im kommenden Frühjahr die Menschen mit Saatgut zu unterstützen - mit all den Dingen, die sie dann brauchen werden. Die Schwerpunkte : Unterstützung im Bau, Renovierung, Trocknung, Ausstattung wird notwendig sein, aber auch in der Landwirtschaft und darüber hinaus. Da ist die Hilfe von KURIER AID AUSTRIA sehr gut angelegt. Aber auch um Unterstützung der Familien, in der Hauskrankenpflege in der Möglichkeit, unter Umständen auch die Solidarität, die bei jungen Menschen da ist, zu stärken.

Es geht Ihnen auch um die Vorsorge vor künftigen Katastrophen.

Kerschbaum: Womit wir in Bosnien auch angefangen haben: Freiwillige zu trainieren, um kleine Katastrophenlager für einen Ernstfall anzulegen, um Hilfsmaterialien lagern zu können, damit sie schnell verfügbar sind.

Landau: Es ist ein ganz wichtiger Punkt, Vorsorge zu betreiben, Katastrophenpläne zu entwickeln. Es ist auch eine Gelegenheit, wo die Menschen miteinander ins Gespräch kommen und einen Teil der psychischen Belastung aufarbeiten können. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von spannenden Ideen, wie Menschen wieder auf eigenen Beinen stehen können. Es geht zum Beispiel um die Ausbildung von Heimhilfen.

Abgesehen von sanierten Häusern: Was bleibt von der Hilfe?

Landau: Was sehr stark aufgefallen ist, ist, wie rasch die Hilfe aus Österreich da gewesen ist. Wie hoch die Verbundenheit aus Österreich in die Region ist. Eine Frau aus dem Krisengebiet meinte, dass es ist ihr so unangenehm ist, dass die Österreicher schon da waren, aber die eigene Regierung noch nicht. Es ist Verdienst der Aktion, deutlich zu machen, dass in Europa nicht nur der Güterverkehr grenzenlos ist, sondern auch die Solidarität und Nächstenliebe grenzenlos sind. Und dass es eine gute Tradition in unserem Land ist, die Menschen nicht im Stich zu lassen. Es ist ein freundschaftlicher, nachbarschaftlicher Umgang von beiden Seiten.

Kerschbaum: Wir sind in Österreich schon verwöhnt mit Schadenskommissionen, die sehr rasch agieren. Durch die öffentliche Hand und aus Spenden werden bei Katastrophen fast 80 Prozent der Schäden abgedeckt. Da agieren wir in Österreich auf sehr professionellem Niveau. Aber wir sind auch eines der reichsten Länder. Das verpflichtet uns auch, in Südosteuropa zu helfen. Ich war vor Kurzem auf einer Rot-Kreuz-Konferenz in Florenz. Dort bin ich fast bestürmt worden von Kroaten, Serben, Bosniern, die sich bedanken wollten, wie toll die Hilfe funktioniert hat. Die Marke Österreich hat vor Ort einen Glanz, der uns gar nicht bewusst ist.

Landau: Von meiner Seite auch noch ein großes Danke an die Unternehmen, die so großzügig mithelfen und deutlich machen, dass sie bereit sind, soziale Verantwortung zu übernehmen. Die Partnerschaft mit starken Unternehmen ist noch eine Chance, wirklich nachhaltig etwas in der Region zu verändern.

Kerschbaum: Das kann ich bestätigen. Viele Unternehmen, die wir angesprochen haben, haben vor Ort schon sehr viel geleistet.

Landau: Das sind auch viele österreichische Firmen, die vor Ort präsent sind und eine enge Verbindung zu Region haben.

Kerschbaum: Das war 2005 die Gründungsidee von KURIER AID AUSTRIA, ein Unternehmen, eine Hilfsorganisation und ein Medium miteinzubeziehen. Das war eine hervorragende Idee.

Landau: Wenn aus dieser Aktion ein wenig mehr soziale Aufmerksamkeit erwächst, dass wir verantwortlich sind, jenseits der Grenzen, aber auch im Land selbst, wäre das sehr positiv. Verändern, Hinschauen – wie geht es dem Nachbarn in der eigenen Umgebung, aber auch jenseits der Grenzen. Zusammenstehen, den Schwächsten nicht vergessen.

Kerschbaum: Ich habe die Solidarität auch sehr bewegend erlebt. Bei aller Tragik solcher Katastrophen hat das auch die Chance, dass man sich dieser humanitären Verantwortung mehr bewusst wird. Auch die gesamte österreichische Gesellschaft. Über die eigene Person, das eigene Land hinausgehend Hilfe zu leisten, ist die Essenz der menschlichen Existenz.

Landau: Die Dankbarkeit, dass es uns gut geht, dass wir in einem schönen Land leben, auch in Sicherheit. Und dass es uns vor die Frage stellt: Was ist wichtig im Leben. Zusammenzustehen, sich füreinander einzusetzen und die Schwächsten nicht zu vergessen. Die Dimension jenseits des Konsumierens und Produzierens, die eigentliche Tiefendimension des Menschseins in den Blick zu nehmen, ist die Chance, die aus solchen Katastrophen wachsen kann. Dass wir diese Verantwortung auch wahrnehmen und füreinander einsetzen. Spannend ist, dass die Hilfe hier auch einen Beitrag zur Versöhnung liefert. Ehemalige Kriegsgegner sind miteinander von der gleichen Katastrophe betroffen und arbeiten auch zusammen.Hier kann aus der Katastrophe vielleicht auch ein Stück Versöhnungsarbeit werden. Wenn das gelingt, ist auch das ein ganz wichtiger Beitrag.

Kerschbaum: Das wäre für mich das Gute im Schlechten dieser Katastrophe. Dass plötzlich – was früher unvorstellbar war – Kroaten mit Bosniern, Serben mit Kroaten und Bosnier mit Serben grenzüberschreitende Hilfe leisten. Wenn das bei den Leuten hängen bleibt, wäre das der große Lernerfolg der Katastrophe.

Hier geht es zum Projekt „Wiederaufbau Südosteuropa“ von KURIER AID AUSTRIA (KAA) mit den Partnern Österreichisches Rotes Kreuz, Caritas und Raiffeisen Landesbank Niederösterreich-Wien.

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