Kein Russisch, kein Problem
Zugegeben, es war ein wenig naiv, zu glauben, meine Russisch-Kenntnisse würden auf magische Weise zurückkehren, sobald ich mich erst im Lande befinde. In der natürlichen Umgebung ihre volle Blüte entfalten quasi. Zumindest im Unterbewusstsein, so hatte ich gehofft, könnte sich das spärliche Sprachwissen aus zwei Semestern „Russisch für Anfänger“ verfestigt haben. Was sind schon sieben Jahre? Die Lehrbücher habe ich doch auch nach zwei Tagen Suche wiedergefunden.
Auch die Sätze: „Ivan hat keine Banane“, „In unserem Haus gibt es keinen Lift“ und – mein persönlicher Favorit – „Da ist auch schon der Autobus“ erweisen sich in Sotschi und Umgebung als wenig alltagstauglich. Nachdem man in der ersten Woche mit Bussen, die nicht kommen oder dann nicht stehen bleiben wollten, gehadert hat, erscheint letzterer Übungssatz gar als Frotzelei.
Auch der Lift in unserem Hotel funktioniert (leider) einwandfrei – abgesehen von dem einen Tag, an dem die Lüftung defekt war und sich die Temperaturen im Innenraum gefährlich dem Gefrierpunkt näherten. Aber sonst tipptopp.
In einem Restaurant in Sotschi wage ich das Sprachexperiment: „Wo befindet sich bitte die Toilette“, frage ich die freundliche Kellnerin, jedes Wort mühevoll herausgewürgt. Sie lächelt, weiß meine Ambitionen offenbar zu schätzen und antwortet auf Russisch. Ich verstehe kein Wort und verfolge deshalb nur wie gebannt ihre Hände – wie eine Katze eine Schnur. Zuerst nach rechts, dann nach unten, kann ja nicht so schwierig sein. Ich sage artig „Spasiba“, folge den Anweisungen und – lande in der Sushiküche. Experiment gescheitert.
Manchmal ist es aber sowieso besser, wenn man nichts versteht. Dann ist man nämlich auch nicht verdächtig. Am Eingang des soeben fertig zusammengezimmerten Shoppingcenters zum Beispiel. Der Metalldetektor piepst laut. Der Sicherheitsbeamte blickt finster, sagt etwas auf Russisch. Ich antworte: „Do you speak English?“ Sein Blick drückt Mitleid mit der Fremdsprachigen aus, er schüttelt langsam den Kopf und deutet mir zu verschwinden.
Kein Russisch = keine Gefahr. So einfach ist das.
Vielleicht sollte ja das Lektion eins im Lehrbuch sein.
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