KURIER: Sam, hatten Sie bestimmte Schauspieler vor Augen, als Sie das Drehbuch schrieben?
Sam Mendes: Ja, und ich schätze mich sehr glücklich, dass Olivia Colman, für die ich Hilary schrieb, die Rolle auch haben wollte. Und dasselbe mit Toby Jones. Aber damit war’s getan, denn ich wusste, dass ich mir besser eine neue Generation von Schauspielern für die Rolle des Stephen anschauen sollte. Micheal Ward hat zwei-, dreimal vorgesprochen, wobei ich von Vorsprechen wenig halte. Die Schauspieler sind nervös, mit dem Drehbuch noch nicht vertraut und deshalb oft hölzern. Ich führe lieber ein Gespräch mit ihnen und habe die meisten meiner Filme aufgrund dieser persönlichen Konversationen besetzt.
Was hat Sie, Olivia, zu dem Film hingezogen?
Olivia Colman: Ich habe ,Ja’ gesagt, bevor ich das Drehbuch gelesen habe. Und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass irgendein Schauspieler, der Sam Mendes trifft, und wenn es so wie bei uns auch nur auf Zoom ist, sagt, nein, ich bin nicht interessiert. Also sagte ich zu. Dann bekam ich das Drehbuch und war hocherfreut, denn das war eine Rolle, die ich noch nie gespielt habe. Ein bisschen angsteinflößend, aber genau das finde ich spannend. Und eine Frau meines Alters zu spielen, die eine Liebesaffäre mit einem jüngeren Mann hat, war das Tüpfelchen am I. Nicht, dass mir das nicht auch Angst und Schrecken einjagte. Aber dann lernte ich Micheal kennen, und er machte mich sofort entspannt.
Die Hauptlocation Ihres Films ist ein Kino. Können Sie sich noch an Ihren ersten Kinobesuch erinnern, was Sie empfunden haben und die Nostalgie, die das in Ihnen weckt, die die heutige Generation vielleicht nie mehr erfahren wird?
Sam Mendes: Mir tut es weh, dass die heutige und auch die nächste Generation, diese Erfahrung vermutlich nie machen und diese Nostalgie nie empfinden wird. Nicht nur für das Kino selbst, sondern auch für die Dinge, die wir im Film sehen. Das Projektionskammerl, der Stand mit den Drinks und Snacks. Wobei es natürlich noch herrliche alte Kinos gibt, die wir erhalten sollten. Mein erster Kinobesuch war in Oxford. Da gab es ein Kino namens The Penultimate Picture Palace. Und ein weiteres namens Not the Moulin Rouge. Das waren so genannte Repertoire-Kinos, die immer alte Filme spielten. Einmal und dann nie wieder. Da waren Angestellte, die nichts anderes machten als Filmrollen in riesigen Kanistern rein- und dann wieder rauszurollen. Ich habe diese Kinos geliebt.
Olivia Colman: : Ich war von Multiplexen umgeben, aber es gab ein Arthouse Theater, das alt war. Ich war ein Teenager, und dieses Kino war bevölkert von Teenagern, die sich „The Rocky Horror Picture Show“ zwanzig Mal anschauten, und mitsangen und tanzten und vermutlich alles Mögliche machten. Teenager, die im Dunkel des Kinos zusammenkamen und ihr Ding machten. Im Dunkeln liegt Freiheit. Da küsste man sich und rauchte, und teilte sich Zigaretten, denn das war damals in den Kinos noch erlaubt. Abgesehen davon erweiterte dieses Arthouse Theater meinen Horizont, denn es eröffnete mir eine ganz neue Welt des Films. Ich entdeckte ein völlig neues Genre, das ich vorher nicht gekannt hatte. Ich bin am Land aufgewachsen und in die Stadt zu fahren, um einen Film zu sehen, war unglaublich aufregend.
Ihr Film spielt in einem Kino, wo die Angestellten wie eine Familie mit all ihren Sorgen, ihren Träumen und auch ihrer Dysfunktionalität sind. Haben Sie so eine Erfahrung auch gemacht?
Sam Mendes: Für mich war das die einzige Familie, die ich kannte. Ich bin allein mit einer Single-Mutter aufgewachsen, und dieser Film ist in vieler Hinsicht eine Kollektion meiner Erinnerungen als Kind mit einem Elternteil, der mit psychischen Problemen kämpft. Und schauen Sie sich doch alle meine Filme an – in keinem einzigen kommen funktionierende Familien vor! Das war nie absichtlich oder bewusst. Es gibt sie in Wirklichkeit ja nicht, die normale Familie.
Olivia Colman: An fast jedem Film oder Job. Da wird man zu einer zeitlich begrenzten ad hoc-Familie. Man kommt sich während eines Drehs sehr nahe, man ist ja auf sehr engem Raum. Als ich jünger war, ist es mir sehr schwergefallen, mich von den Leuten zu trennen, nachdem der Film abgedreht war. Aber heute weiß ich, dass echte Freundschaften überleben, dass die Menschen, die man wirklich ins Herz geschlossen hat, nicht auf einmal verschwinden, wenn der Job fertig ist. Das ist ja auch das Schöne am Schauspiel – Ich habe meinen Stamm gefunden. Wir emotional offene Menschen, Schauspieler und die Crew.
Sie haben ja selbst mal in einem Kino gejobbt, richtig?
Sam Mendes: Ja, und die Ansammlung an Exzentrikern im Film ist denen, die ich im Kino kennengelernt habe sehr ähnlich. Das sind alles Außenseiter, die sich an diesem Ort gefunden haben.
Gab es einen Film, der der Auslöser für Ihre eigenen Karrieren war?
Sam Mendes: „James Bond - Leben und sterben lassen“ im Odeon Kino in Camden Town in London als ich neun war. Da kam schwarze Magie vor und Voodoo, es war gefährlich, spannend und sexy. Und Jahre später, als Student, habe ich den Wim Wenders- Film „Paris, Texas“ gesehen. Das war das erste Mal, dass ich gedacht habe, vielleicht kann ich Filme machen. Das erste Mal, dass ich die Welt als mystische Landschaft betrachtet habe, nicht als etwas Eingegrenztes.
Olivia Colman: Ich hatte schon beschlossen, dass ich Schauspielerin werden wollte. Aber dann sah ich Lars von Triers „Breaking the Waves“ in Bristol, als ich dort Drama studierte. Es war so atemberaubend für mich, was Emily Watson in dem Film machte, dass ich ihn nie wieder sehen will. Aber das war der Moment, wo ich mir sagte, ich will arbeiten wie Emily Watson.
Was sind heute Ihre Lieblingsfilme, die Sie sich zum Vergnügen ansehen?
Sam Mendes: Für mich ist es „Der Pate 2“. Da kann ich mich hineinfallen lassen, diese Art von Filmemachen ist spannend und unterhaltsam und bewundernswert.
Olivia Colman: Für mich sind es Kinderfilme. Wenn ich unterhalten werden will, schaue ich mir den ganzen Tag die „Paddington Bear“-Filme an. Ich brauche ein Happy End.
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