KURIER: Was hat Sie dazu gebracht, ein Buch über diese Gerichtsfälle zu schreiben?
Nick Wallis: Die Masse an Informationen war viel zu viel, als dass man sie leicht verdauen konnte. Es sei denn, man hat wirklich täglich alle Clips auf Youtube angeschaut und alle Abschriften gelesen. Erst dachte ich, ok, ich könnte einen Dokumentarfilm daraus machen. Aber dann kam mir die Idee mit dem Buch, weil ich damit viel mehr in die Tiefe gehen konnte. Und ich wollte auch den Zusammenhang zwischen ihrer Beziehung und all den Klagen herstellen. Denn so wie das alles explodierte, sagt ziemlich viel darüber aus, wie unsere Kultur funktioniert. Sowohl die Promikultur als auch die Gesellschaft und wie man die Auswirkungen noch jahrelang spüren wird, selbst nach dem die Protagonisten aufgehört haben einander zu bekämpfen.
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Beide sind Schauspieler, wissen, wie sie sich in Szene setzen. Wie haben Sie das als Beobachter empfunden?
Sowohl beim Prozess in England als auch dem in den USA hast du sofort gespürt, dass hier ganz große Persönlichkeiten im Spiel sind. Diese Leute sind nicht nur hübsche Gesichter, die haben den X-Faktor, das Charisma. Und als sie ausgesagt haben, ist man an jedem Wort gehangen. Besonders Johnny Depp kann sich sehr gut artikulieren. Und dann hast du da die Nebendarsteller, die Leute, die entweder zu Team Johnny oder Team Amber gehörten. Es ist natürlich sehr schwer herauszufiltern, ob wirklich alles, was sie sagten, auch der Wahrheit entspricht. Aber natürlich kann man Zeugenaussagen vor Gericht nicht infrage stellen, die Leute mussten ja einen Eid schwören. Aber was ganz klar war, ist, dass die alle ihre Geschichten nicht nur erzählen wollten, sie wollten sie auch verkaufen.
Kate Moss hat ausgesagt, aber die geplanten Aussagen von Winona Ryder und Vanessa Paradis wurden gecancelt. Warum?
Man weiß das nicht genau. Wir glauben, der Grund war, dass Johnny ja nie der Gewalttätigkeit gegen Winona oder Vanessa bezichtigt wurde, und dass die Anwälte hinter verschlossenen Türen sehr stark darum kämpften, dass sie nicht in den Zeugenstand gerufen werden. Denn das hätte natürlich den Zirkus rund um Depp und Heard noch schlimmer gemacht, aber dann setzten sich mehrere Gerichtsreporter dafür ein, dass die schriftlichen Zeugenaussagen der beiden wenigstens in den Akt aufgenommen werden.
Ist Amber Heard eine geldgierige Goldgräberin, die Depp ausnehmen wollte?
Was dagegen spricht, ist ihre Scheidung: sie verlangte sieben Millionen Dollar steuerfrei und einen Teil der ersten Prozesskosten, er zahlte ihr dann insgesamt 13 Millionen. Zugestanden wäre ihr viel mehr, denn er hat „Pirates of the Caribbean“ Teil 5 während ihrer Ehe gedreht, und damit hätte sie die Hälfte seiner Einnahmen daraus verlangen können. Hat sie aber nicht. Die andere Seite der Medaille ist natürlich, dass sie mehrmals aussagte, sieben Millionen an eine Charity gezahlt zu haben, was aber nicht der Fall war.
Was halten Sie von Johnnys Comeback in Cannes mit dem „Jeanne DuBarry“-Film?
Ich glaube, vor allem das amerikanische Publikum will ihn rehabilitieren, will, dass er zurückkommt. Ich kann mir gut vorstellen, dass er sehr wohl wieder in das „Pirates“-Franchise einsteigt. Und er braucht das Geld. Johnny gibt jede Menge Kohle aus und wird sich sein Leben nicht leisten können, indem er europäische Arthousefilme macht. Er mag sich mit seinem Dior-Deal was dazuverdienen, aber das ist nichts im Vergleich zu Hollywoodgeld. Die Frage ist, ob sich große Studios wieder mit ihm einlassen. Einerseits wollen die keine Stars mit so viel Gepäck, andererseits werden sie positiv reagieren, wenn sie merken, dass er heute vermutlich mehr Fans hat als vorher. Dabei darf man nicht vergessen, dass er seine schmutzige Wäsche auf beiden Seiten des Atlantiks publik machte, und den Fall in England verlor. Aber weil er den in Amerika gewann, ist alles möglich. Trotz Petitionen von Gloria Steinem und feministischen Organisationen, die sich auf Heards Seite schlugen. Und Heard hat nichts mehr zu verlieren. Sie kann weiterhin ihre „Geschichte“ erzählen, wie sie angekündigt hat. Eine große Filmkarriere wird sie wohl nicht mehr haben, trotz „Aquaman 2“. Aber sie war ja auch nie so erfolgreich wie er.
Wo, glauben Sie, liegt die Wahrheit?
Als Reporter muss ich keine Seite ergreifen. Aber ich kann in die Tiefe gehen, und für mich ist ganz klar, dass beide eine sehr schwierige Kindheit hatten. Und was in deiner Kindheit passiert, hat Auswirkungen auf dein ganzes Leben, wenn du nicht ganz extrem an dir und deiner Vergangenheit arbeitest. Das tat aber keiner der beiden, so viel ist offensichtlich. Die beiden hatten eine wunderschöne Lovestory, die in einen toxischen Irrsinn ausartete, und am Ende war nichts mehr zu retten.
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