Sieg vor Augen: Hirscher stürzt

Sieg vor Augen: Hirscher stürzt
Der US-Amerikaner Ted Ligety entscheidet den Riesentorlauf in Adelboden für sich.

Bei neun Torläufen neun Mal aufs Podium gerast. Doch Kunststück Nummer zehn misslang Marcel Hirscher, obwohl er dazu in Adelboden auf dem besten (und spektakulärsten) Weg war: Mit Zwischenbestzeit lag der Halbzeit-Führende auch im zweiten Lauf voran.

Sieg vor Augen: Hirscher stürzt
Marcel Hirscher of Austria reacts after the second run of the Alpine Skiing World Cup men's giant slalom ski race in Adelboden January 12, 2013. REUTERS/Pascal Lauener (SWITZERLAND - Tags: SPORT SKIING)
Der Amerikaner Ted Ligety blickte überzeugt von einem Hirscher-Sieg hinauf auf den extrem steilen Zielhang. Dort ging der Trapezakt des Salzburger plötzlich schief. Hirscher geriet für kurze Zeit völlig aus der Balance.

Die Folge: statt Platz eins nur Platz 16; statt Hirscher hieß der Sieger in Adelboden erstmals Ligety.

Und mit Fritz Dopfer und Felix Neureuther durften erstmals in der alpinen Weltcup-Geschichte zwei Vertreter des Deutschen Skiverbandes nach einem Riesentorlauf vom Podium zu den Fans herunterwinken.

Erleichterung

Sieg vor Augen: Hirscher stürzt
Ted Ligety of the U.S. celebrates winning the Alpine Skiing World Cup men's giant slalom ski race in Adelboden January 12, 2013. REUTERS/Pascal Lauener (SWITZERLAND - Tags: SPORT SKIING)
Erstaunlich wie der Rennverlauf waren auch die Reaktionen der Hauptdarsteller danach. So haderte Hirscher nicht mit dem Schicksal, sondern meinte: "Trotz des 16. Platzes bin ich erleichtert, weil ich jetzt weiß, welche extremen Schwünge ich fahren kann.“

Hirscher erkannte just bei seiner ersten Torlauf-Saisonniederlage, dass er mit Ligety, dessen Stil im Riesenslalom bisher als unerreichbar gegolten hatte, gleichgezogen hat. "Das ist eine extreme Genugtuung und Belohnung für meine harte Arbeit in den vergangenen Wochen. Nur habe ich heute übertrieben. Ich stand kurz vor dem Ziel. Und jetzt kann ich mir darum nicht einmal eine Wurstsemmel kaufen."

Ted Ligety, der in Adelboden zuvor nie hatte groß auftrumpfen können, freute sich einerseits, dass er jetzt alle Riesentorlauf-Klassiker gewonnen hat, gestand aber andererseits mit bemerkenswerter Fairness: "Hirscher hätte sich heute den Sieg verdient. Ich hatte großes Glück. Ich betrachte den Sieg als Geschenk."

Auch der Deutsche Felix Neureuther relativierte sein bisher bestes Riesenslalom-Abschneiden, "denn eigentlich bin ich Vierter geworden. Hirscher und Ligety fahren in einer eigenen Liga."

Fritz Dopfer rang nach Worten: "Ich hätte mir den zweiten Platz auf dem schwersten Riesenslalomhang der Welt nie erträumt", sagte der Sohn einer Tirolerin und eines Bayern.

Dem WM-Dritten von 2011, Philipp Schörghofer (7.), und Olympiasieger Benjamin Raich (8.) hat das Abschneiden in Adelboden zu WM-Startplätzen im Riesentorlauf verholfen. Euphorisch wirken die beiden Routiniers dennoch nicht. Schörghofer: "Es ist zwar noch nicht ideal. Aber ich bin auf dem Weg der Besserung." Raich: "Ich hatte mir schon mehr vorgenommen, aber nicht den richtigen Zug am Ski." Nachsatz: "Mal schauen, was die Chefs sagen."

Oberchef Mathias Berthold reagierte mit ungewohnt scharfer Kritik, die aber weniger Raich galt: "Einige sind heute im ersten Lauf ins Abseits gefahren. Das hatte nichts mit Skirennsport zu tun, sondern mehr mit Skiurlaub. Das ärgert mich sehr."

Der vierte WM-Platz (neben Hirscher, Schörghofer, Raich) ist auch nach dem letzten Riesenslalom noch nicht vergeben. So schnitten Hirschers Kollegen in Sölden, Beaver Creek, Val d’Isère, Alta Badia und Adelboden ab:

Benjamin Raich: 8 – 30 – 26 – 13 – 8.

Philipp Schörghofer: nicht qualifiziert – 19 – 17 – out im zweiten Lauf – 7.

Hannes Reichelt: 6 – 12 – 23 – 25 – out.

Marcel Mathis: 12 – 17 – 8 – 16 – nicht qualifiziert.

Romed Baumann: 20 – 23 – 25 – nicht qualifiziert – out .

Christoph Nösig: 23 – 10 – 9 – 12 – nicht qualifiziert.

Anders als im Riesenslalom gibt es im Slalom für Raich, Reinfried Herbst, Manfred Pranger und Wolfgang Hörl noch drei Möglichkeiten, um neben Hirscher und Mario Matt ins WM-Aufgebot zu carven. Heute in Adelboden, danach in Wengen und in Kitzbühel.

Früher, erinnert sich der gebürtige Niederländer Frenkie Schinkels, habe ihn der Sportchef des De Telegraaf stets angerufen, um Neuigkeiten über den österreichischen Fußball zu erfahren. Heute erkundigt er sich bei ihm über Marcel Hirscher. Denn dessen Mama kommt aus Den Haag. Hirschers Ski-siege werden auch in den Niederlanden immer wieder groß gewürdigt.

Sylvia Hirscher war der Liebe wegen in einer Zeit nach Salzburg übersiedelt, in der Schinkels in Wien den österreichischen Pass bekam. 1992 erzielte Frenkie für Österreich ein Länderspieltor – gegen die Niederlande. Marcel Hirscher hätte für Holland starten können. Was lag somit näher, als ein Frage-Antwort-Spiel der Doppel-Staatsbürger. Schinkels hat es, ehe er in St. Pölten mit 190 Gästen im Trachtenlook seinen 50.Geburtstag feierte, in seiner Muttersprache begonnen: "He Marcel. Hoe is het met jouw Hollands Praat je zoals je moeder mek eer Haags accent." (Übersetzung wie folgt).

Frenkie Schinkels: Hi Marcel. Wie steht’s um dein Holländisch? Sprichst du wie deine Mutter mit dem Den-Haag-Akzent? Der hat in Rotterdam, wo ich herkomme, den Ruf, so ziemlich der extremste zu sein.
Marcel Hirscher:
Mittlerweile tue ich mir auf Englisch fast leichter, weil ich Englisch viel öfters brauche. Verstehen tu’ ich auf Holländisch alles. Aber reden – dazu brauch’ ich zwei, drei Tage bis ich das wieder kann.

Musstest du in deiner Jugend viele Widerstände überwinden als kleingewachsener Skifahrer? Ich konnte in Holland als kleiner Spieler nur überleben, weil ich viel Technik besaß.
Grundsätzlich hat’s geheißen, aus dem Hirscher wird sowieso nie ein Rennfahrer, weil er körperlich zu unterlegen ist. Ich kam auch in Studien vor – als Negativbeispiel dafür, dass man mit meinem Stil als 16-, 17-Jähriger kaputte Knie haben muss. Jetzt bin ich einer der wenigen Rennläufer, der gesunde Kniegelenke hat.

Wenn mich ein Holländer um eine Beschreibung von Österreich ersucht, dann sage ich: ein kleines Paradies, viel Natur, viel Gemütlichkeit, Land der Berge, gute Weine. Wie aber würdest du einem Österreicher Holland schmackhaft machen?
Es ist primär die Weite, die mich fasziniert. Das In-die-Ferne-blicken-Können. Und die Seeluft ist sowieso ganz was Besonderes. Die Holländer sind sehr herzlich, sehr zuvorkommend. Die Gemütlichkeit ist sehr angenehm.

Was geht deiner Mutter in Österreich am meisten ab?
Ihre Schwester. Wahrscheinlich auch das Meer, die Nordsee.

Mit welchen holländischen Gerichten bist du aufgewachsen?
Toast mit Streuselkuchen, Brot mit Erdnussbutter. Die Kost war sehr Multikulti, sehr asiatisch halt.

Wo siehst du die Unterschiede zwischen der holländischen und der österreichischen Sportmentalität?
Die Offenheit.

Was hast du am meisten von deiner Mama geerbt? Was glaubst du, ist an dir typisch holländisch?
Die Offenheit.

Hat es dir getaugt, dass der Holländer Marvin van Heek bei der Abfahrt in Gröden als Achter besser platziert war als alle Österreicher?
Da müssen’s aufpassen, unsere Jungs (lacht). Es ist nur die Frage, ob Van Heek so eine Platzierung öfters schaffen kann.

Nachdem ich als halber Holländer Zweiter bei den österreichischen Dancing-Stars wurde, freu’ ich mich schon, wenn der nächste halbe Holländer bei den Dancing Stars gewinnt? Könntest das du sein?
Zunächst stellt sich die Frage, welchen Halb-Promi außer mir du sonst noch als halben Holländer einstufst. Aber im Ernst: Bis es bei mir so weit ist, dauert es noch einige Jahre. Im Moment würden meinen Tanzstil die wenigsten Leut’ als Tanzstil einstufen.

Was ist deiner Meinung nach eher vorstellbar? Dass Österreich Fußball-Europameister wird oder ein Holländer auf der Streif gewinnt?
Mit einer Antwort würde ich mir nur ein Eigentor schießen – in beiden Richtungen.

Endstand:

1. Ted Ligety USA 2:28,67
2. Fritz Dopfer GER 2:29,82
3. Felix Neureuther GER 2:29,91
4. Manfred Mölgg ITA 2:30,24
5. Ivica Kostelic CRO 2:30,40
6. Aksel Lund Svindal NOR 2:30,53
7. Philipp Schörghofer AUT 2:30,82
8. Benjamin Raich AUT 2:30,96
9. Marcus Sandell FIN 2:31,03
10. Davide Simoncelli ITA 2:31,10
11. Gino Caviezel SUI 2:31,21
12. Mathieu Faivre FRA 2:31,36
13. Matts Olsson SWE 2:31,37
14. Alexis Pinturault FRA 2:31,54
15. Kjetil Jansrud NOR 2:31,62
16. Marcel Hirscher AUT 2:31,67
17. Victor Muffat Jeandet FRA 2:31,73
18. Florian Eisath ITA 2:31,90
19. Leif Kristian Haugen NOR 2:32,06
20. Steve Missillier FRA 2:32,29
21. Marc Berthod SUI 2:32,73
22. Andre Myhrer SWE 2:32,92
23. Robby Kelley USA 2:32,96
24. Cyprien Richard FRA 2:35,02
Ausgeschieden:
. Hannes Reichelt AUT
. Romed Baumann AUT

. Thomas Fanara FRA
. Brennan Rubie USA
. Stefan Luitz GER
. Massimiliano Blardone ITA

Stand nach dem 1. Durchgang:

1. Marcel Hirscher (AUT) 1:14,22
2. Ted Ligety (USA) 1:14,39 +0,17
3. Thomas Fanara (FRA) 1:15,28 +1,06
4. Aksel Lund Svindal (NOR) 1:15,47 +1,25
5. Alexis Pinturault (FRA) 1:15,59 +1,37
6. Ivica Kostelic (CRO) 1:15,65 +1,43
7. Massimiliano Blardone (ITA) 1:15,68 +1,46
8. Fritz Dopfer (GER) 1:15,73 +1,51
9. Felix Neureuther (GER) 1:15,85 +1,63
10. Benjamin Raich (AUT) 1:16,02 +1,80
11. Kjetil Jansrud (NOR) 1:16,06 +1,84
12. Philipp Schörghofer (AUT) 1:16,17 +1,95
. Manfred Mölgg (ITA) 1:16,17 +1,95
14. Matts Olsson (SWE) 1:16,18 +1,96
15. Cyprien Richard (FRA) 1:16,28 +2,06
Weiter:
21. Hannes Reichelt (AUT) 1:16,98 +2,76
26. Romed Baumann (AUT) 1:17,17 +2,95

Nicht qualifiziert u.a.:
31. Christoph Nösig (AUT) 1:17,52 +3,30
33. Marcel Mathis (AUT) 1:17,70 +3,48

Ausgeschieden im 1. Durchgang u.a.: Manuel Feller (AUT), Matthias Mayer (AUT), Carlo Janka (SUI)

Zweiter Durchgang
1. Felix Neureuther (GER) 1:14,06
2. Manfred Mölgg (ITA) +0,01
3. Fritz Dopfer (GER) +0,03
4. Gino Caviezel (SUI) +0,09
5. Ted Ligety (USA) +0,22
6. Davide Simoncelli (ITA) +0,30
7. Florian Eisath (ITA) +0,40
8. Victor Muffat Jeandet (FRA) +0,52
9. Philipp Schörghofer (AUT) +0,59
10. Marcus Sandell (FIN) +0,63
11. Ivica Kostelic (CRO) +0,69
12. Mathieu Faivre (FRA) +0,83
13. Benjamin Raich (AUT) +0,88
14. Aksel Lund Svindal (NOR) +1,00
15. Matts Olsson (SWE) +1,13
Weiter:
23. Marcel Hirscher (AUT) +3,39

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