Wie eine sehbehinderte Tirolerin Golf-Weltmeisterin wurde
Sieben Meter liegen noch zwischen Golfball und 18. Loch. Sieben Meter ist Karin Becker vom Weltmeistertitel entfernt – dem ersten in der Geschichte des österreichischen Golfsports, Sehender und Blinder. Drei Löcher zuvor wollte die Tirolerin bereits aufgeben. Zu stark war die Südafrikanerin in ihrem Flight bei der WM in Kapstadt Ende März.
„,Jetzt reiß dich noch einmal zusammen, Mama!‘, sagte mein Sohn und Guide zu mir. Und das tat ich auch.“ Mit dem letzten Putt gewann die 50-Jährige mit einem Schlag Vorsprung auf die Zweitplatzierte, feierte ihr schönstes Golf-Erlebnis und freute sich über den Titel samt Glaspokal – für den sie später am Flughafen Übergepäck blechen musste. Preisgeld gab es keines.
Mit anderen Augen
„Ich liebe Golf, weil es ein Strategiespiel ist, das in einer ruhigen Umgebung in der Natur, mit wenigen Menschen, selbst bei Regen und mit Sehbeeinträchtigung gespielt werden kann“, erklärt Becker. Der größte Unterschied ist, dass blinde und sehbehinderte Golfer immer einen sogenannten Guide mitnehmen dürfen. In ihrem Fall Sohn Jacob, der ihre „Augen ersetzt“.
Der Guide hilft beim Einrichten der Bälle, beschreibt die Entfernung, Flugweite, den Landeort des Balls und darf beispielsweise mit dem Athleten auf das Grün gehen. Aus dem Einzelsport wird ein Teamsport.
„Ich glaube, dass es im Golf gar nicht wichtig ist, zu sehen. Mein Trainer hat einmal gesagt, dass man Golfen am besten kann, wenn man die Augen schließt“, sagt Becker und erklärt, dass man dadurch am wenigsten abgelenkt ist. Die Bewegung ändert sich nie, und der Ball liegt immer ruhig da. Für sie ist Golf eine der wenigen Sportarten, bei der Inklusion „total gelebt werden kann“.
Mit den Füßen fühlen
Neben dem Guide erfährt Becker durch ein GPS-System die genaue Distanz zum nächsten Loch. Doch auch ohne Hilfe fühlt die Weltmeisterin inzwischen, bis auf zehn Meter genau, wie gut der Abschlag war und wo der Ball hingeflogen ist.
„Das höre ich am Klang und fühle es an meiner Bewegung“, beschreibt Becker. Mittlerweile kann sie durch Fühlen das Grün unter ihren Füßen „lesen“. Im Training wird mit Bildern gearbeitet.
Der Golfplatz ist für sie wie ein überdimensional großes Brettspiel, auf dem sie sich von einem Feld ins nächste bewegt. Wenn sie mit dem Schläger bis vier Uhr Schwung holt, weiß die Athletin, wie weit der Ball mit welchem Schläger fliegen wird. Bei Turnieren ist der gleiche Ablauf wichtig: „Ich muss mindestens eine Stunde vorher mit meinem Guide dort sein, mich einschwingen, das Klubhaus und die Wege zum Klo abgehen und schauen, wo ich meinen Kaffee herbekomme“, erklärt Becker lachend.
Vor 13 Jahren stand sie erstmals auf dem Golfplatz, so richtig erwischt hat sie das Golffieber aber 2012. In einer Klinik für Burnout-Betroffene kam sie durch einen Kollegen regelmäßig zum Spielen. „Durch ihn lernte ich Golfen. Er gab mir das nötige Selbstbewusstsein.“
Sport Talk mit Karin Becker
Plötzlich alles anders
Mit 20 Jahren verlor Karin Becker innerhalb von drei Monaten durch einen Gendefekt fast ihre gesamte Sehfähigkeit: „Ich war jung, stand mitten im Studium, hatte meinen Führerschein – auf einmal war alles zu Ende.“ Auf ihrem linken Auge blieben vier Prozent Sehkraft, auf dem rechten fünf. Becker ist aber froh, dass sie noch Konturen wahrnehmen kann.
Heute arbeitet sie 35 Stunden pro Woche als Assistentin der Geschäftsführung in einem großen sozialen Verein in Tirol. Nebenbei ist die leidenschaftliche Sportlerin Präsidentin des Internationalen Blindengolf Verbands, gibt Kurse und Schnuppertrainings für angehende Blindengolfer und trainiert für ihr großes Ziel: „Konstant mit Handicap 18 zu spielen (Pro Bahn ein Schlag über Par, Anm.).“
Die 50-jährige Tirolerin verlor mit 20 Jahren fast ihre gesamte Sehkraft. Durch den Sport kam ihre Lebensfreude zurück. Heute will die Weltmeisterin und Präsidentin des Internationalen Blindengolf Verbands anderen Blinden, Sehbehinderten und älteren Menschen mit geringer Sehkraft den Einstieg in den Golfsport ebnen und Tipps zum weiterspielen geben.
4 Blindengolfer gibt es offiziell in Österreich, die an internationalen Turnieren teilnehmen. „Allein in meinem Golfklub kenne ich drei, die mitspielen könnten, sich aber nicht trauen“, erklärt Becker im KurierTV-Interview (siehe QR-Code links)
Kommentare