Stoss: "Andere haben mehr Hunger auf Erfolge"
Karl Stoss, 59, ist seit 2009 Präsident des Österreichischen Olympischen Comités (ÖOC). Bronze von Thomas Zajac und Tanja Frank im Segeln war die erste Sommersportmedaille unter seiner Präsidentschaft. Noch vor der Schlussfeier am Sonntag zog er in Rio im Gespräch mit dem KURIER ein Resümee.
KURIER: Herr Stoss, wie sieht Ihre Olympia-Bilanz aus?
Karl Stoss: Ich bin erleichtert, aber ich bin nicht ganz zufrieden. Wir haben noch eine Menge zu tun. Wir haben nach acht Jahren endlich wieder eine Medaille bei Sommerspielen gewonnen. Gerade bei dem Paar in der Nacra17-Klasse haben wir nicht unbedingt damit gerechnet. Außerdem freut mich, dass die Debütanten gute Leistungen gezeigt haben. Etwa Olivia Hofmann im Schießen oder Bernadette Graf im Judo. Sie war erst verletzt, dann krank, und trotzdem hat sie toll gekämpft. Sie hat eine Beißer-Mentalität gezeigt.
Zufrieden werden Sie aber nicht sein?
Nein. Wir können uns sicher nicht zurücklehnen und sagen: "Toll, wir haben eine Medaille." Natürlich haben wir mit mehr gerechnet, obwohl wir 17 Top-Ten-Plätze haben. Zuerst müssen wir schauen, woran es gelegen ist. Da müssen wir jeden einzelnen Sportler und dessen Wettkämpfe analysieren. Dann setzen wir uns mit den Dachverbänden zusammen und besprechen, wo wir noch etwas verbessern können.
Wird es weiterhin ein Förderprojekt geben, wie es das Projekt Rio war?
Rio ist Vergangenheit. Aber wir möchten diese Plattform nutzen und das weiter vorantreiben. Bewährt hat sich die Zusammenarbeit der Olympia-Zentren. Wir werden auch neue spezifische Olympia-Projekte initiieren. In Hinblick auf die Winterspiele in Südkorea, aber besonders in Hinblick auf Tokio 2020. Ein Return on Investment kommt nicht nach zwei Jahren. Da muss man mit acht bis zwölf Jahren rechnen. Diese Chance möchten wir bekommen. Alle Förderungen müssen aus einer Hand vergeben werden.
Wie soll das aussehen?
Wir müssen längerfristig denken. Welche Strategien wollen wir verfolgen? Wollen wir nur noch mit all jenen Athleten zu den Spielen fahren, die eine realistische Chance auf Medaillen haben? Oder wollen wir es weiter zulassen, dass wir alle mitnehmen, die die Limits erbringen? Diese Sportler haben eine unheimliche Breitenwirkung. Denn wir wollen unserer Jugend zeigen, dass es unglaublich wertvoll ist, Sport zu betreiben.
Welche Möglichkeiten hat da das ÖOC?
Wir müssen schauen, dass wir die Verantwortung für den Spitzensport schon früher übernehmen. Derzeit bekommen wir die Verantwortung erst ganz knapp vor Beginn der Spiele und geben sie danach sofort wieder an die Vereine und Verbände ab.
Was kann man von anderen erfolgreichen Nationen lernen?
Wir werden uns ganz genau anschauen, was vergleichbare Länder besser gemacht haben, wie etwa Dänemark, Ungarn oder Neuseeland, die viel mehr Medaillen als Österreich geholt haben.
Wir haben das Gefühl, dass Sie sich diese Länder schon genauer angeschaut haben. Was machen die anders?
Sie haben recht. Sie konzentrieren sich ganz klar auf jene Sportarten, wo sie Medaillenchancen haben und unterstützen ausschließlich diese im Hinblick auf die Olympischen Spiele. Sie haben aber auch andere Strukturen in den Verbänden. Österreich ist ein relativ kleines Land und leistet sich nach wie vor sehr komplexe Strukturen. Das verteilt sich dann noch auf neun Bundesländer.
Immer wieder wird behauptet, Österreich sei keine Sportnation. Stimmt das?
Die Begeisterung und das Mit-dabei-Sein bei Wettkämpfen fehlt etwas. Schauen Sie sich die Biathlon- und Langlauf-Bewerbe in Skandinavien an, da sind Zigtausende mit Langlaufskiern unterwegs und verfolgen das mit den kleinsten Kindern im Schlepptau. Diese Euphorie und diese Begeisterung fehlt mir einfach. Es gibt viel kleinere Länder, die viel mehr in die Infrastruktur investieren, weil sie das als ganz wichtig betrachten. Sie investieren auch viel mehr in die Sportaktivitäten für Kinder und Jugendliche in der Schule. Wenn ich nur daran denke, wie lange wir über diese begleitende Aktivitätsstunde in der Schule diskutiert haben. Und dann muss man da noch ein Gesetz machen. Das ist zu kompliziert. Man braucht doch nur ein bisschen Hausverstand und den Willen, ein paar Dinge anzuschieben.
Ist das nicht auch eine Frage der Mentalität und der Wertschätzung?
Ganz bestimmt. Andere Länder haben mehr Hunger auf Erfolge, mehr Hunger auf Anerkennung. Die tun alles und kämpfen bis zum Ende, bis sie sagen können: "Ich habe für mein Land etwas ganz Großes geleistet."
Sind die 20 Millionen Euro für zusätzliche Athletenförderung aus dem Projekt Rio zu wenig gewesen, wie Peter Schröcksnadel meint?
Wir müssen eher nachdenken, wie man die vorhandenen Mittel sinnvoll einsetzt. In Summe haben wir mehr als 120 Millionen für den österreichischen Sport. Davon geht ein größerer Teil für den Breitensport drauf, und das ist gut so. Aber die Mittel für den Spitzensport müssen wir stärker fokussieren. Wir müssen die Sportarten reduzieren, die wir intensiv fördern – für die bleibt dann auch genug übrig.
Sieht es dann schlechter aus für Sportarten, in denen Österreich weit von der Weltspitze entfernt ist? Badminton etwa?
Stimmt. Da wird es nicht mehr so gut ausschauen, denn da ist Österreich von den Besten doch recht weit weg.
In Rio hat das ÖOC mit dem Austria House Tourismuswerbung gemacht. Gehört das auch zu den Aufgaben?
Wir sind ganz bestimmt kein Tourismusunternehmen, das weisen wir ganz entschieden von uns. Wir betreuen die Sportler und Sportlerinnen und sind am Abend auch noch da und kümmern uns um die Gäste. Wir wollen das auch künftig in unseren Händen behalten.
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