Lewis Hamilton kommt seinem fünften Titel immer näher

Lewis Hamilton kommt seinem fünften Titel immer näher
Die WM-Entscheidung ist schon im übernächsten Rennen möglich - Vettel kann aus eigener Kraft nicht mehr Weltmeister werden.

Als ob ein weiterer Sieg von Lewis Hamilton nicht schon genug wäre: Dass Mercedes dem WM-Titelverteidiger in Russland den Sieg durch einen taktischen Positionswechsel geschenkt hat, kommt für Sebastian Vettel der Höchststrafe gleich. 50 Punkte Rückstand hat der Ferrari-Pilot fünf Rennen vor Schluss bereits, schon beim übernächsten Rennen in den USA könnte der fünfte WM-Titel für Hamilton fix sein.

Denn Vettel kann nun rechnerisch aus eigener Kraft nicht mehr Champion werden, der erste Titel mit einem Ferrari ist für den vierfachen Red-Bull-Weltmeister wieder einmal in weite Ferne gerückt. Mangels relevantere Themen verkrallte sich die internationale Presse nach dem Rennen in Sotschi an Toto Wolffs richtiger Entscheidung, Hamilton am Teamkollegen Valtteri Bottas vorbeizuschleusen.

Selbst Vettel hatte dafür Verständnis, obwohl ihm von der deutschen "Bild"-Zeitung unterstellt wurde, "vorgeführt" worden zu sein. "Beide haben es gut gemacht, sie haben als Team sehr gut zusammengespielt. In ihrer Position ist es ein Selbstläufer, so etwas zu tun", räumte der Ferrari-Pilot in Richtung Mercedes ein. Gelernt hat man unpopuläre Team-Order ja auch von Ferrari. Der Funkspruch von Jean Todt "Let Michael pass for the championship" 2002 in Österreich an Rubens Barrichello und seine Folgen sind unvergessen. Daraufhin verboten, ist die Stallorder seit 2011 wieder erlaubt.

Den Glauben an seine immer dramatischer schwindenden Chancen auf den Premierentitel mit Ferrari will Vettel trotzdem noch nicht aufgeben. "Es ist ein großer Brocken, aber nicht unmöglich. Jeder weiß, wie viel passieren kann", meinte er nach der Stallorder-Blaupause der Silberpfeile in Russland. "Ich glaube noch immer an die Chance." In der aktuellen Form von Mercedes werde "es aber schwer".

Zu dieser Erkenntnis ist Vettel nicht nur wegen der Leistungsstärke von Hamilton gelangt. Der viermalige Weltmeister aus England ist nach dem fünften Erfolg in den vergangenen sechs Grand Prix auf dem schnurgeraden Weg, nach Titeln mit Ikone Juan Manuel Fangio gleichzuziehen. Die Geschehnisse von Russland seien ein "Grabstein auf den Hoffnungen" von Ferrari gewesen, befand selbst die "Gazzetta dello Sport".

Vettel erkannte die polarisierende Taktik von Mercedes an, den Führenden Valtteri Bottas einzubremsen, um Hamilton dadurch den Sieg zu ermöglichen. Genau solch eine Form des Teamworks hätte Vettel Anfang September beim Ferrari-Heimspiel in Monza gebrauchen können. Doch die Scuderia ließ in seinem Windschatten den Finnen Kimi Räikkönen zur Pole Position fahren. Man beschäftige schließlich "Fahrer und keine Butler", beschied damals Teamchef Maurizio Arrivabene. Hamilton fand in Russland hingegen für Bottas Bezeichnungen wie "wahrer Gentleman" und "unglaublicher Teamplayer".

Von dieser Form der Schützenhilfe fühlte sich der Engländer dennoch beschämt. "In dem Sport ist das der merkwürdigste Tag in meiner Karriere, an den ich mich erinnern kann", meinte der 33-Jährige nach seinem 70. Grand-Prix-Sieg. "Ich will auf die richtige Weise gewinnen. Dieser Sieg steht definitiv auf der Liste meiner Siege, auf die ich am wenigsten stolz bin." Aus der Heimat sekundierte der "Telegraph" eilig: "Diese Art von Sieg ist nicht Hamiltons Stil."

Bottas war sichtlich deprimiert. Sein fast greifbarer erster Saisonsieg wäre Seelenbalsam für ihn gewesen. Da sich der Mercedes-Kommandostand aber mit dem Zeitpunkt des Reifenwechsels bei Hamilton vergriff, wodurch dieser erst hinter Vettel auf die Strecke zurückkam und sich dann bei der Verfolgung auf den Gummiwalzen auch noch Blasen einfing, mussten die Bosse handeln.

"Jemand muss der Bösewicht sein - und diesmal bin ich es", räumte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff ein, obwohl die Silberpfeil-Strategen mit ihren beiden Fahrern vorher schon diverse Szenarien durchgespielt hatten. "Du musst dann abwägen: Willst du am Sonntagabend aus vielen richtigen Gründen der Bösewicht sein oder der Idiot am Ende der Saison in Abu Dhabi. Dann bin ich lieber der Bösewicht heute und nicht der Idiot in Abu Dhabi."

Vettel wäre glücklich, könnte er eine WM-Entscheidung bis zum Wüstentrip hinauszögern. Vor der Kulisse aus Tausendundeiner Nacht findet am 25. November das Saisonfinale statt. Hamilton könnte rein rechnerisch aber schon viel früher die WM perfekt machen.

"Ich war kein Genie in Mathematik, bin aber clever genug und weiß, dass es nicht einfacher wird, wenn wir Punkte verlieren", sagte Vettel. "Ich denke aber noch immer, wenn wir die nächsten Rennen gewinnen, können wir eine Menge Druck auf sie aufbauen."

Kommentare