Mia san mia: Pilgerreise für Fußballnarren zum FC Bayern München

Die Allianz Arena in München ist das Herz des bayerischen Fußballmekkas. Und immer öfter Ziel für Fußballreisende.
Wenn ein Fußballtraditionalist von Wien nach München fliegt, um die Bayern-Kicker von der Loge aus zu bestaunen, kommt er ins Schwärmen. Und ins Nachdenken.

Da bin ich nun also: In einer anderen Welt. Beim Haxenbauer im Scholastikahaus in München, bei einem Duo von Kalbs- und Schweinshaxe und einer Halben Dinkelacker Privat vom Fass. Dabei spielt gerade in diesem Moment der Wiener Sportclub beim Neusiedler SC.

Doch für mich steht an diesem Wochenende nicht Regionalliga Ost, sondern deutsche Bundesliga auf dem Programm. Nicht der Doppeldecker-Bus der Sportclub-Fans hat mich hergebracht, sondern Flug OS 113 der Austrian. Statt Auswärtssektor im Sportzentrum Neusiedl heißt es Presenters Box in der Allianz Arena. Statt Wurstsemmel und Bier aus dem Plastikbecher Do&Co-Catering und Paulaner in verschiedenen Ausprägungen und dem dazu passenden Glas. Statt beautiful game am Stehplatz gibt es modernen Fußball, erste Reihe fußfrei hinter den Panoramafenstern.

Mia san mia: Pilgerreise für Fußballnarren zum FC Bayern München

Presenters Box 5: Zwei der drei Wände sind mit großformatigen Stadionbildern, eine mit einem Großbildfernseher geschmückt.

Das wirft die Frage auf: Wie konnte es so weit kommen? Seit ich denken kann, gehe ich auf Fußballplätze, jahrelang ballesterte ich mich durch diverse Positionen der Jugendmannschaften des damaligen Zweitligisten SV Braunau, mittlerweile in Konkurs. Für die anvisierte Fußball-Karriere mangelte es nicht nur am Willen. Ich entdeckte meine Liebe für die niederländische Schule – den „totalen Fußball“, geprägt vom legendären Mittelfeldregisseur Johan Cruyff. Als Spieler ein begnadeter Visionär, als Trainer eine Legende, die oft in Rätseln sprach. Das ist zwar lange her, eines ist mir aber stets geblieben: Die Faszination für den Fußball. Neunzig Minuten elf gegen elf auf 105 mal 68 Metern. Die reine Lehre. Für Tradition und Bodenständigkeit, gegen den modernen Fußball.

Und jetzt das: FC Bayern München gegen VfL Wolfsburg. Der einzige Verein im deutschsprachigen Raum, der auf internationalem Parkett reüssieren kann gegen einen Verein, der dem VW-Konzern gehört. Moderner geht Fußball fast nicht. Wie ich hier gelandet bin? In erster Linie, wie gesagt, mit dem Flieger. Auf Einladung von fussballreisen.com, dem größten heimischen Anbieter von – naja, Fußballreisen eben. Am Freitag Anreise, Stadtführung, Abendessen. Am Samstag Führung über den Viktualienmarkt, dann Transfer ins Herzen des bayerischen Fußballmekkas – in die Werner-Heisenberg-Allee Nummer 25, weithin sichtbar und bekannt als Allianz Arena.

3 Tipps einer München-Kennerin

Mia san mia: Pilgerreise für Fußballnarren zum FC Bayern München

Schumann’s: Mit den Baristas Luca und Giovanni beim Morgenkaffee ein Plausch über Fußball, zu Mittag  Lunch auf der Terrasse und am Abend Drinks und Dinner bei  Münchens Bar-Legende Charles Schumann. schumanns.de

Mia san mia: Pilgerreise für Fußballnarren zum FC Bayern München

Kreativ und nackt: Die Szene im Werksviertel Mitte ist jung, kreativ und umweltbewusst. Schafe auf der ehemaligen Pfanni-Fabrik oder das bunte Container Collective  (Bild) –  eine Pop- up-Anlage für Handel, Kunst, Handwerk, Essen und Events. werksviertel-mitte.de
Locker geht es auch im Englischen Garten zu: Zwei Nudisten-Spots finden FKK-Liebhaber beim Isarabschnitt Flaucher in Sendling und auf der „Eierwiese“ beim Eisbach (Eingang Englischer Garten bei der Universität an der Veterinärstraße). einfach- muenchen.de

Mia san mia: Pilgerreise für Fußballnarren zum FC Bayern München

The Flushing Meadows Hotel: Absolut schick die elf Loft-Studios auf den zwei obersten Stockwerken eines Hauses im  Glockenbachviertel. Für Aficionados, die Details und Design lieben. Coole Rooftop-Bar (öffentlich). flushingmeadowshotel.com (Maria Gurmann)

All-inclusive

Derartige Reisen erfreuen sich seit Jahren steigender Beliebtheit, der FC Bayern ist dabei einer der absoluten Publikumsmagneten. In letzter Zeit boomen vor allem die „Hospitality-Packages“, also die All-inclusive-Logen. Wo man bei kuscheliger Raumtemperatur feines Essen, gute Getränke und Fußball auf Großbildfernsehern konsumiert.

Bei der Eintrittskontrolle sind noch alle gleich. Aber schon im Lift, der das Eventpublikum der anderen Art zu seinen Plätzen bringt, erklingen ungewohnte Töne. Keine Schlachtgesänge, kein Fachsimpeln über die aktuelle Befindlichkeit der Bayern, der Liga oder Sonstiges aus dem Gravitationsbereich von König Fußball. Stattdessen einhellige Kritik am Umstand, dass der Porsche Cayenne bei 200 so viel verbraucht, „dass man der Nadel beim Runtergehen zuschauen kann“. Es ist eine eigenartige Welt.

Auf Ebene 2 angekommen, sind es nur mehr ein paar Schritte über Landhausdielen aus Eichenholz, dann liegt das Schmuckkästchen namens Presenters Box 5 direkt vor mir. Zwei der drei Wände sind mit großformatigen Stadionbildern, eine mit einem Großbildfernseher geschmückt. Und eine Seite ist vollverglast, der Stadioninnenraum ist zum Greifen nah. Doch vor den Sport hat der Fußballgott das Catering gestellt. Shrimps extra vierge und Salat von roten Rüben oder geschmorten Rinderbraten mit Kartoffelmousseline, Haricots verts mit Bauernspeck und Schmorjus dazu wahlweise Paulaner Bier (hell, weiß, naturtrüb oder alkoholfrei) oder Wein vom Saarland bis Südafrika, serviert von Kellnerin Katharina in schwarz-weißer Livree.

Dass die Mannschaften mit dem Aufwärmen beginnen, kommt zwischen derlei Köstlichkeiten nur verzögert zu Bewusstsein. Dann aber schlagen die Instinkte zu und ich ertappe mich: Mit der Nase am Glas wie ein kleines Kind zu Weihnachten am Schaufenster des Spielzeugladens; bewundernd und voller Vorfreude. Für Menschen wie mich gibt es wenig Schöneres, als derart begnadeten Fußballern beim Aufwärmen zuzusehen. Frei vom Zwang des Wettkampfes, ohne Gegnerdruck vollführen sie mit dem Ball Kunststücke, die einen Staunen machen.

Plötzlich eine Idee, ein Weckruf der jahrelang antrainierten Reflexe: Ich muss da raus! Zum Glück ist das – den grundsätzlichen Willen vorausgesetzt – ebenso leicht getan wie gesagt. Türe auf, am Security vorbeigeschlängelt eine Sitzreihe runter und da ist er: Block 240, Reihe 26, Platz 20. Mein Sitzplatz.

Platz nehmen, tief einatmen. Die Atmosphäre aufnehmen. Fokussieren. Wichtig ist auf’m Platz, wie Otto Rehhagel meinte. Das Stadion füllt sich, die Anspannung steigt, die „Schickeria“, der harte Kern der Bayern-Fans in der Südkurve singt sich warm. „Stern des Südens“, die Hymne auf den FC Bayern München, die dem eigentlich großartigen Willy Astor 1997 seinen einzigen Charterfolg beschert hat, gibt die Richtung vor: „FC Bayern Deutscher Meister, ja so heißt er, mein Verein, ja so war es und so ist es und so wird es immer sein.“ Deswegen sind sie hier, die Familienväter mit ihren Kindern und ohne dieselben, die „Schickeria“ in der Südkurve und die VIPs im Oberrang.

Dann endlich: Anpfiff! Meine Augen heften sich auf – die beiden riesigen Bildschirme, die über meinem Kopf und der gegenüberliegenden Südkurve hängen und das Spiel zeigen. Aber halt! Leicht beschämt ertappe ich mich beim Fernsehen im Stadion und senke meinen Blick. Der ist ehrlicherweise grandios: Genau in der Mitte der Nordkurve und in einer Höhe gelegen, die geradezu Taktikanalyse schreit. Das Verschieben der Ketten, das Umschalten zwischen Angriff und Verteidigung, Rotationen und Variationen werden einem auf dem Silbertablett präsentiert.

Freibier

Als in der 34. Minute Serge Gnabry zum 1:0 für die Bayern trifft, entlädt sich die Festmasse, Elias Canetti selig hätte seine Freude. Der offizielle Getränkepartner lässt 100 Liter Freibier sprudeln, die ersten von insgesamt 600, die heute fällig werden sollen, schon in der ersten Hälfte folgt die nächste Runde. Berührt mich das? Nein. Ich muss mir die Wartezeit auf’s Kaltgetränk nicht mit Fachsimpeleien über das Spiel mit Unbekannten vertreiben. Ich muss nur aufstehen, in die Lounge gehen und mir das Getränk meiner Wahl einschenken lassen. Man bleibt unter sich, in der Blase. Und genießt die perfekte Verkleinerungsform ebendieser in Form einer flockig-luftig geschlagenen Creme Nougat Mousse als Pausensnack. Oder flambierte Lemon Tarte. Oder hausgemachte Rohnudeln mit Vanillesauce. Oder – klar – Bayerisch Creme mit Himbeersauce, stilecht mit FC Bayern-Logo. Nicht jeder schafft es nach einer derartigen Pauseneinlage wieder zum Anpfiff auf die Ränge. Am Millerntor in Hamburg, der Heimstätte des magischen FC St. Pauli, wird in solchen Fällen gern in Richtung der Lounges skandiert: „Das hat mit Fuß! Das hat mit Ball! Das hat mit Fußball nichts zu tun!“

In der zweiten Spielhälfte fallen noch vier weitere Tore, die brav bejubelt werden. Die Schickeria macht auch in der torlosen Zeit Stimmung, als wüssten sie, dass die Bayern nach diesem Spiel die Tabellenführung übernehmen und diese bis zum Saisonende nicht mehr abgeben werden. Auf das restliche Publikum will der Funke nicht überspringen. Zu viele Titel, zu viele Tore in den vergangenen Jahren? Oder – wie bei mir – zu viel gegessen?

Nach dem Abpfiff wird trotzdem noch zu Mini-Käsekrainern geladen. Dann im Minibus zum Flughafen und im Airbus nach Wien. Ist das jetzt die Zukunft meines Fußballkonsums? Ich bin ratlos, suche Hilfe bei Johan Cruyff, meinem Fußball-Säulenheiligen. „Herr Cruyff, was soll mir das Erlebte sagen?“ „Hätte ich gewollt, dass Sie das verstehen, hätte ich es besser erklärt.“ Klar.

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