Zentralmatura: Stunden der Wahrheit für 45.000 Maturanten

(Symbolbild)
Heute beginnen die Reifeprüfungen mit dem Fach Deutsch. Das Problem-Thema ist Mathematik.

3,4 Millionen Seiten sind bedruckt, 8700 Pakete geschnürt, damit sie pünktlich an die österreichischen Gymnasien ausgeliefert werden können: Die Organisation der Zentralmatura ist jedes Jahr eine logistische Herausforderung, weshalb Beamte am Wiener Minoritenplatz ein wenig nervös sind.

Und die Schüler? Für sie wird es am heutigen Donnerstag ernst – beginnt die schriftliche Matura doch heute mit dem Fach Deutsch. Sie endet am 17. Mai mit Italienisch. Einige sind sicher nervös, andere entspannt.

Dem oft formulierten Vorwurf, die Matura sei seit der Zentralisierung so viel leichter geworden, können die aktuellen Kandidaten nur teilweise etwas ab gewinnen (siehe Erfahrungsberichte rechts): Sophie Zsivkovits aus dem Burgenland sagt zwar, dass sie nicht genau weiß, wie es früher war: „Aber der Stoff ist jetzt nicht so leicht, dass jeder Trottel durchkommt, wie behauptet wird.“ Es sei durch den Fokus auf die Kompetenzen anders, glaubt auch Tobias Voppichler aus Vorarlberg: „Es ist nicht direkt leichter, hat aber natürlich Vor- und Nachteile, abhängig davon, welcher Typ man ist. Ich finde aber gut, dass es der Versuch ist, für alle gleiche Voraussetzungen zu schaffen.“

Ein Problem-Thema aller befragten Maturanten ist die Mathematik-Prüfung. Bei der sieht Voppichler eine Parallele zur ersten Zentralmatura vor vier Jahren: „In Mathe sind wir unsicher, weil wir als erster Jahrgang unsere Tablets einsetzen können.“ Es sei nicht ganz klar, wie die Beispiele gewählt werden, damit die Kandidaten noch selber rechnen müssen. Wie bei der Zentralmatura generell müsse man auch da erst den „goldenen Mittelweg“ finden, glaubt Voppichler.“

Schauen, was gut ist

Bundesschulsprecher Harald Zierfuß wünscht sich deshalb, dass nach fünf Jahren Zentralmatura endlich evaluiert werden müsse. Hintergrund: Vor fünf Jahren lief die neue Reifeprüfung noch als Testphase, bei der nur wenige Schulen teilnahmen. Vor vier Jahren war sie dann für alle AHS verpflichtend, ein Jahr später folgen die Berufsbildenden Höheren Schulen (BHS) wie HTL oder HAK.

Dass die standardisierte kompetenzorientierte Reifeprüfung – so die offizielle Bezeichnung – noch nicht optimal ist, findet auch Herbert Weiß, oberster AHS-Lehrergewerkschafter. Er hätte lieber eine teilzentrale Matura: „Ein Teil der Prüfung wäre dann für alle gleich, ein Teil aber standortspezifisch.“

Wenig geglückt sei z.B. die Aufgabenstellung im Fach Mathematik: „Da klingt vieles komplizierter, als es eigentlich ist.“ Er nennt ein Beispiel: „Früher musste man schlicht und einfach die Schnittpunkte berechnen. „Jetzt lese ich die Aufgabe: Wie sind die Koeffizienten der Gleichung zu wählen, damit die Schnittpunkte berechnet werden.“ Weiß spricht damit ein Problem an, das viele Bildungsforscher mit der Zentralmatura haben: „Es wird in Mathematik vor allem die Lesekompetenz getestet“, sagt Stefan Hopmann von der Uni Wien.

Unglücklich seien auch viele Deutschprofessoren – aus vielen Gründen: „Die Literatur hat einen zu geringen Stellenwert. Die Textsorten sind zum Teil sehr konstruiert. Und mit dem Beurteilungsraster im Fach Deutsch sind die wenigsten glücklich“, sagt Weiß.

Für die knapp 45.000 Maturanten an den BHS und AHS heißt es jetzt, die nächsten Tage zu überstehen. Trost für alle, die die Schriftliche nicht auf Anhieb schaffen: Sie können in einer Kompensationsprüfung ihren Fünfer ausbügeln. Falls nicht, können sie in dem jeweiligen Fach im September einfach nochmals antreten.

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„In unserer Schule gut vorbereitet“

Mit einem Zeugnis-Notenschnitt von 1,0 geht Sophie Zsivkovits aus Stinatz (Bgld.) entspannt in die Matura: „Ich tu’ mir leicht in der Schule und die Lehrer haben uns gut vorbereitet, viele Maturaaufgaben mit uns geübt.“ Damit sind die Grundkompetenzen gefestigt, eigene Vorbereitung braucht man nur für überdurchschnittlichen Erfolg, glaubt die 18-Jährige, die schriftlich in Deutsch, Mathematik, Latein und Kroatisch antritt – Zsivkovits besucht das zweisprachige Gymnasium in Oberwart.
Am ehesten macht ihr Mathematik Sorgen. „Das sehe ich auch in der Klasse: Manche könnten zwar gelernte Rechenmuster wiedergeben, tun sich aber mit dem neuen System schwer.“ Bei dem geht es bekanntlich um die Kompetenz des logischen Denkens, was an ihrer Schule über die Jahre gut geübt wurde, findet Zsivkovits: „Das klang vor drei Jahren chaotisch, ich war auch nicht überzeugt davon, aber es wurde logischer, vernetzt zu denken, Bereiche miteinander verbinden zu können, kritisch zu sein.“ Das kommt einer, deren vorwissenschaftliche Arbeit den Titel „Die historische Bedeutung der Stinatzer Tracht und ihre soziale Bedeutung heute“ hat, natürlich entgegen.

„Vertiefende Vorbereitung ist gut“

Er sei „gut genug“ vorbereitet, möchte aber auch „nur bestehen“, sagt Tobias Voppichler und setzt nach: „Oder schlechtestenfalls ein Befriedigend.“ Unsicherheit gebe es für den 19-Jährigen vom Bundesrealgymnasium Egg (Vorarlberg) nur in Mathematik: „Wir dürfen als erster Jahrgang unsere Tablets einsetzen. Viele der Beispiele aus der Vorbereitung würde das dann aber selber rechnen – wir sind gespannt, wie die Aufgaben gestellt werden, dass wir selbst noch rechnen müssen.“
Für die schriftlichen Fächer würde sich Voppichler mehr vertiefende Vorbereitungszeit wünschen, wie es in seiner Schule die „freie Lernphase“ in der letzten Woche des Schuljahres ist: „Da hatten wir Anwesenheitspflicht, gingen aber nur mehr in die Schulfächer, in denen wir antreten.“ Besonders in so genannten Nebenfächern sieht Voppichler den Bedarf nach eigener Vorbereitung. „In Geografie etwa hat man dafür zu wenig Stunden im Verhältnis zu dem vielen Stoff.“ Neben Geografie und Biologie maturiert er auch in E-Gitarre, wozu er die vorwissenschaftliche Arbeit nutzte: „Ich habe selber eine E-Gitarre gebaut und mit dem Originalmodell des Herstellers verglichen.“

„Es ist fairer geworden“

„Es gibt Schlimmeres im Leben als die Matura.“ Lucia Jauernik klingt locker, sie freut sie sich „einfach so sehr auf danach“. Die 17-Jährige besucht das Gymnasium der Wiener Sängerknaben und muss in einem musikalischen Fach maturieren, nämlich „Gehörbildung und Tonsatz“. Vor ein paar Wochen sei sie noch nervös gewesen, wegen Mathematik. „Da habe ich viel Nachhilfe gebraucht, aber ich denke, jetzt passt es.“ Das Durchkommen zählt, denn „es ist nicht so wichtig, welche Noten man hat.“
Der Fokus auf Kompetenzen helfe ihr trotz Mathe-Sorgen dabei, sich auf das Fach gut vorzubereiten, ansonsten irritiert er eher: „Bei einer Deutsch-Schularbeit hatte ich wegen Nicht-Gendern und ein paar Wortwiederholung einen Vierer – den hatte ich nie.“ Aber gut, man könne sich darauf einstellen.
Die Zentralmatura sieht Jauernik differenziert: „Es ist fairer geworden, weil der Lehrer die Matura nicht zu leicht oder zu schwer machen kann.“ Für spezialisierte Schulen wären Ausnahmen gut. „Uns würde angewandte Mathematik reichen – und dafür mehr Zeit für Musikalisches bleiben.“

„Das ist noch nicht einheitlich“

Schriftlich tritt sie neben den Pflichtfächern (Deutsch, Mathe) in Englisch an, mündlich in Spanisch, Altgriechisch und Englisch –  Johanna Brunar ist an Sprachen interessiert.  Die 18-Jährige besucht das Gymnasium Kundmanngasse (Wien) und ist zuversichtlich: „Natürlich ist da eine gewisse Anspannung, aber es wird schon gehen. Vor allem, weil unsere Schule ein relativ hohes Niveau hat.“ Solche Schulen seien dank Zentralmatura im Vorteil, da man bei der Aufgabenwahl auf mittleres Niveau sinken musste.
Aber auch bei Brunar ist Mathematik das größte Fragezeichen, wiederum wegen der Neuerung: „Wir verwenden als erster Jahrgang einen Taschenrechner, der integrieren und differenzieren kann. Da stellt sich halt die Frage, ob die Mathematik zu kurz kommt. Daher schwitzen alle ein bisschen.“
Vieles an der jetzigen Form der Matura sei gut, die vorwissenschaftlichen Arbeiten würden manchmal  chaotisch sein (Brunars Thema: „Die Bedeutung Bad Ischls im 19. und 20. Jhdt.“): „Da gibt es widersprüchliche Infos zur richtigen Zitierweise oder zur Mindestzeichenanzahl. Das wird an jeder Schule etwas anders gehandhabt, das ist noch nicht einheitlich.“

(Axel N. Halbhuber)

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