Das banale Ende eines Polit-Popstars. Was wird von Sebastian Kurz bleiben?
Kurzfristig einmal nicht viel Gutes. Die Chats, die Ermittlungen, der U-Ausschuss werden alles überlagern. Das tun sie jetzt schon. Es ist kaum möglich, ein sachliches Urteil über die Steuerpolitik der ÖVP abzugeben mit dem Nachhall der Chats („Hure der Reichen“) und dem Wissen, dass sich Millionäre bei der ÖVP Millionen Steuernachlässe raus„verhandeln“ können, im Hinterkopf.
Was soll sich da ein normaler Steuerzahler denken? Oder eine ausländische Pflegerin, der die ÖVP die Kinderbeihilfe kürzte?
Es wird die Zeit kommen, in der man das Thema Kurz wieder ohne Blutdruck senkende Mittel erörtern wird können. Dann wird sich vielleicht auch ein differenzierteres Bild von ihm zeichnen lassen. Vielleicht sieht man Sebastian Kurz dann als einen, der gezeigt hat, dass man in Österreich durchaus etwas bewegen kann, dass man verkrustete Strukturen aufbrechen und innovativ sein kann. Und auch, welche Fehler man dabei besser nicht nachmachen sollte.
Beispiel 1 Personal in der Politik Es war richtig, dass sich Kurz von seiner Partei nicht die Minister diktieren ließ. Sein Fehler war: Er hat diese Chance vergeben. Er hätte tolle Kapazunder holen können, den temporären Wechsel in ein politisches Amt attraktiv machen können. Herausgekommen sind türkise Marionetten, die eher das Gegenteil bewirken.
Beispiel 2: Kassenreform Kurz schnappte das FPÖ-Projekt „Zusammenlegen der Kassen“ und zog es durch. Eine Zentralisierung des Gesundheitssystems – wenigstens im Teilbereich der Kassen – war richtig. Das hat man in der Pandemie wieder gesehen.
Aber: Gerade bei Corona hat Kurz die neue ÖGK nicht eingesetzt. Sie wäre, vor allem am Land, eine schlagkräftige Impf-Infrastruktur gewesen, sie hat Lokalitäten, Ärzte, Computer, Daten. Aber Kurz hat die Kassenreform nur so lange interessiert, solange er eine „Patientenmilliarde“ (die es nie gab) propagieren konnte.
An Baustellen hat Kurz hier hinterlassen: Ärztemangel; Pflegereform.
Beispiel 3: Einstieg in die Öko-Steuern Nach der Bruchlandung mit der FPÖ ist es Kurz gelungen, trotz seines forschen Rechts-Kurses mit den Grünen ein Koalitionsabkommen zu schließen. Mit dieser Kombination war er ein Vorreiter in Europa. Kurz hat den Einstieg in Öko-Steuern politisch geebnet und wird vielleicht auch mit seiner belächelten Wasserstoff-Strategie richtig gelegen sein. Wie die Öko-Geschichte mit Kurz weiter gegangen wäre, wird man nicht erfahren, der Rücktritt kam dazwischen.
Beispiel 4: Steuerpolitik Seine Steuersenkungen konzentrierten sich auf die kleinen und mittleren Einkommen, und anders als die alte ÖVP bedachte Kurz auch die Kleinstverdiener mit Zuwendungen. Das tat er nicht aus Überzeugung, sondern, um diese Stimmen nicht der SPÖ oder der FPÖ zu überlassen. Das Image der sozialen Kälte hatte Wolfgang Schüssel, seinen Ratgeber im Hintergrund, 2006 das Kanzleramt gekostet. Diesen Fehler wollte Kurz nicht wiederholen, dafür war er bereit, konservative Budgetdisziplin zu opfern. Der Satz „Koste es, was es wolle“ stammt von Kurz.
Sowohl der Steuer- als auch der Krisen-Budgetkurs von Kurz waren weitgehend unbestritten. Hinterlassen hat er hier aber ein Dauerproblem: Der Dienstleistungssektor braucht eine Lohnnebenkostensenkung, um bessere Löhne zahlen zu können. Aber statt Wirten, Bäckern und Friseuren ließ Kurz Kapitalgesellschaften Milliarden zukommen.
Beispiel 5: Demokratie und Information Hier war Kurz die größte Enttäuschung. Erwartet wurde von einem Regierungschef in den Dreißigern, dass er einen Digitalisierungsschub mitbringen würde. Jetzt wissen wir, wozu das Handy benutzt wurde. Es wurde manipuliert, Steuergeld verschwendet, Studien gefälscht, fast jede Grenze überschritten. Ein bezeichnendes Beispiel: Karl Nehammer erzählte vorige Woche in einem Hintergrundgespräch, im GECKO werde man erstmals eine Social-Media-Expertin zuziehen, damit die Schwurbler mit ihren abstrusen Horrorstorys der Bevölkerung auf den sozialen Medien nicht mehr unwidersprochen Angst vorm Impfen einjagen können. Man fragt sich: Was haben die Heerscharen von mit Steuergeld bezahlten Propagandisten im Kanzleramt das ganze Jahr gemacht? Haben die nur Kurz-Bilder gepostet?
Hier ist nach Kurz am meisten zu tun: Parteiengesetz mit echter Kontrolle; Abstellen der Inseratenkorruption; Informationsfreiheit mit Strafen für amtliche Manipulationen und einer Beschwerdestelle für Bürger.
Sechs von zehn Österreichern zweifeln laut aktuellem Demokratie-Monitor am Funktionieren unseres politischen Systems – der schlechteste Wert, den SORA je gemessen hat. Das ist wohl auch zum Teil ein Kurz-Erbe.
Kommentare