Was tun mit Brennpunktschulen? Sechs Wege aus der Krise

Was tun mit Brennpunktschulen? Sechs Wege aus der Krise
Besonders Kinder, deren Eltern nicht deutsch sprechen oder von Armut betroffen sind, scheitern im Bildungssystem. Ein Chancenindex könnte Abhilfe schaffen.

Zum Schulschluss  stellt der Soziologe Johann Bacher (Uni Linz) den Pädagoginnen und Pädagogen  ein gutes Zeugnis aus. „Auf den ersten Blick sieht es zwar so aus, dass sich seit dem ersten PISA-Ergebnis im Jahr 2003 nichts verbessert hat. Aber man muss bedenken, dass sich  die Zusammensetzung der Schülerinnen und Schüler seither verändert hat.“
Hintergrund: Während 2003 nur 13 Prozent der Kinder und Jugendlichen in den Schulen einen Migrationshintergrund hatten, sind es nun 28 Prozent. „Die höhere Diversität der Schülerschaft war eine enorme Herausforderung für die Lehrpersonen.

Diese haben sie gut bewältigt, aber jetzt stoßen sie an ihre Grenzen“, warnt  Bacher.

Benachteilige Kinder

Wie man auf diese Herausforderung reagieren kann, war Thema der Veranstaltung in der Arbeiterkammer: „Zu-MUTungen. Erfolgreiche Schulentwicklung an Schulen in schwieriger Lage“. Ein Weg, der sich auch international als erfolgreich erwiesen hat: Schulen, in denen besonders viele Kinder  aus benachteiligten Familien kommen, erhalten mehr Ressourcen.

Soziologe Bacher hat einen solchen Chancenindex für Österreich entwickelt, auf dessen Basis berechnet wird, welche Schule wie viele Mittel in Form von mehr Personal, aber auch besserer Ausstattung, zusätzlich erhalten soll: „Je nach Zusammensetzung der Standorte sollten das bis zu 100 Prozent mehr  sein“, schlägt der Soziologe vor. Am Ende würden alle davon profitieren – nicht nur die geförderten Kinder.  „Denn wenn wir es schaffen, die Zahl derer zu halbieren, die die Schule verlassen, ohne Grundlegendes zu beherrschen, würde sich das langfristig positiv aufs Budget auswirken.“

Das zeigt eine IHS-Studie. Danach würde sich das Staatsdefizit nach  zehn  Jahren um 70 Mio. Euro reduzieren, nach 20 Jahren  um 300 Mio., wenn es gelänge, die Zahl der frühen Schulabgänge im Alter von 15 bis 18 Jahren zu halbieren  – „denn aufgrund von Multiplikatoreffekten potenzieren sich die Erträge potenzieren“, sagt Bacher, der die IHS-Schätzung noch für sehr konservativ hält.  Das Bruttoinlandsprodukt würde nach 10 Jahren um 110 Mio., nach 20 Jahren um 810 Mio. steigen.

Ein Anfang wurde  schon gemacht: Mit dem Projekt 100 Schulen 1000 Chancen, das  mit 15 Mio. Euro dotiert ist, wurden 100 Volks- und Mittelschulen ausgewählt, die in sozial benachteiligten Grätzeln liegen.  Als Kriterien wurden nicht nur die Alltagssprache der Schüler, sondern auch der Bildungshintergrund sowie sozioökonomische Faktoren des Elternhauses  gewertet.

Die Ressourcen können nicht nur für mehr Personal, sondern auch z.B. für eine Ganztagsbetreuung oder eine räumliche bessere Ausstattung genutzt werden: Wer den Förderantrag stellt, der muss genau beschreiben, warum die Investition  voraussichtlich zu bessern Schülerleistungen führen wird.

800 Schulen

Allerdings – das zeigen Daten der Statistik Austria  im Auftrag der Arbeiterkammer  – brauchen weitaus mehr Standorte als nur diese 100 eine zusätzliche Förderung: Insgesamt  gibt es österreichweit fast 800 Schulen mit  einem hohen bis sehr hohen Unterstützungsbedarf (Förderbedarf Stufe 5 bis 7, siehe Grafik).  Da einzelne Projekte auszurollen, hält Bacher für keine gute Idee: „Bisherige Reformen wie etwa die Umwandlung der Hauptschulen in Mittelschulen haben gezeigt, dass anfangs die Schulen engagiert und erfolgreich waren. Dann wurde ein Konzept  auf alle Schulen übertragen, ohne dass man bei der Ausrollung darauf geachtet hat, wie es umgesetzt wird.“

Das Prinzip „Viel hilft viel“ führt  also nicht immer zu Erfolg. „Es muss auch eine Kontrolle geben, dass sich die Investitionen  auszahlen.“ Heißt: Die Leistungen der Kinder und Jugendlichen müssen  sich verbessern.

Wie es besser geht

Was andere Städte  – denn vor allem dort ballen sich die Herausforderungen –   besser machen,  fasst Martin Schenk von der Armutskonferenz in sechs Punkten  zusammen.  Er bezieht sich auf  Erfahrungen aus  Städten wie  Toronto, Berlin, Bremen und London.
 

  1. Nicht freiwillig „Man darf Schulen nicht die Wahl überlassen, ob sie an ihrer Verbesserung arbeiten wollen oder nicht. Der Anstoß muss manchmal von außen kommen“, sagt Schenk. In London erhielten die Schulen, die bei nationalen Tests schlechter abschnitten als auf Grund ihrer Klientel zu erwarten wäre, ein Angebot: Sie erhalten Hilfe  dabei, ihren Unterricht zu verbessern und auch bis zu 50 Prozent   mehr Ressourcen – diese reichen  von Einzelunterricht für schwache Schüler bis zu Lernangeboten  an Wochenenden. Schafften  Schulen die Vorgaben nicht, wurden sie  geschlossen.
     
  2. Besserer Unterricht Oft wird in Österreich über Strukturreformen debattiert, dabei ist die Qualität des Unterrichts entscheidend. Daran gilt es zu arbeiten. Die Ausbildung an den Pädagogischen Hochschulen bereitet immer noch  zu wenig auf die Praxis vor.
     
  3. Qualifizierte Fortbildung Jeder Standort hat so seine eigene Herausforderung. Wie damit umgegangen wird und wie man generell besser unterricht,  sollte Thema von Lehrerfortbildungen sein.
     
  4. Multiprofessionelle Teams Armut, nichtdeutsche Muttersprache, Scheidung der Eltern, kein Platz zu Hause, Gewalterfahrungen oder Kriegstraumata:  Manche Kinder tragen einen riesigen Rucksack an Ängsten und Problemen mit sich. Es würde eine Lehrkraft überfordern, da auf  alles zu reagieren. Ohne  multiprofessionelle Unterstützungsteams geht es nicht. Das können Sprachlehrerinnen genau so sein wie Psychologinnen, Sozialarbeiter oder medizinisches Personal. Da es derzeit nicht möglich ist, pro Schule eine solche Unterstützungskraft zu mobilisieren, schlägt Bacher vor, Schul-Cluster zu bilden, in denen Volks- und Mittelschulen, Gymnasien und berufsbildende Schulen zusammengefasst werden: „Die hätten  nicht nur gemeinsam eine Psychologin, sondern könnten zum Beispiel auch Lehrpersonen austauschen. Dies  ist angesichts des Lehrermangels eine weiter Hilfe.“ Um Cluster zu ermöglichen ist allerdings eine Strukturreform nötig.
     
  5. Grätzelarbeit Schule  gelingt dort am besten, wo  sie nicht als isolierter Raum wahrgenommen wird, sondern Teil des Grätzls ist und Kooperationen mit  Vereinen, Jugendhäusern usw. eingeht.  Bildungswissenschafterin   Dominique Klein (TU  Dortmund) betont: „Eltern sollten  Schule als einen positiven Ort erleben – und nicht als einen, zu dem sie nur gerufen werden, wenn etwa schief läuft.“
     
  6. Ganztagsschulen Viele Kinder haben derartige Bildungsdefizite, dass diese in einer halbtägigen Schule nicht zu bewältigen sind. Will man Bildungsarmut bekämpfen, gelingt das nur in einer ganztägigen Form.  Denn in der Regel haben  Kinder mit hohem Förderbedarf keine Eltern, die mit ihnen lernen können. Und oft fehlt zu Hause auch der Platz. „Zudem brauchen wir endlich eine echte Lernmittelfreiheit. Alle Materialien sollten von der Schule gestellt werden“, sagt Bacher.

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