Wahlsonntag einst und jetzt: "Wählen war eine heilige Handlung"
Wie war Wählen früher und war Wahlkampf immer schon so brutal? Wie empfinden ganz normale Bürger das Treiben auf der politischen Bühne und interessiert das die Jungen eigentlich noch?
Wir haben eine Wählerin mit viel Erfahrung, Maria Stastnik, 79, und ihre Enkelin Laura Athanasiadis, 18, zum Interview gebeten. Ein Gespräch über Demokratiebewusstsein und Wahlkampfmüdigkeit; Politiker, die sich schlecht benehmen, Maturanten, die zu wenig wissen, und Omas, die gegen den Klimawandel demonstrieren.
KURIER: Frau Stastnik, können Sie sich an Ihre erste Wahl erinnern?
Maria Stastnik: Dunkel. Es ist ja schon eine Weile her. Die Leute haben das damals ernster genommen als heute. Es wäre unvorstellbar gewesen, dass jemand sagt: ’Ich bin am Sonntag nicht da und kann deshalb nicht wählen gehen.’ (Anm: Das Wahlrecht war früher auch Pflicht). Wählen war eine heilige Handlung!
Sie haben auch eine ganz persönliche Beziehung zur Republik Österreich: Sie waren als junges Mädchen vor dem Belvedere, als dort 1955 der Staatsvertrag unterzeichnet wurde.
Ja, da war ich 15. Das was schon toll. Ein einmaliger Augenblick.
Ist Ihr Bewusstsein für Demokratie deshalb besonders ausgeprägt?
Bestimmt, und jenes für Heimat. Das sage ich bewusst und ohne, dass das mit einer Partei zu tun hat. Es war zehn Jahre nach dem Krieg und wir waren unendlich froh, dass die Alliierten weg waren.
Frau Athanasiadis, können Sie sich vorstellen, was Ihre Großmutter erlebt hat?
Laura Athanasiadis: Nein. So traurig es ist, mein erstes prägendes politisches Ereignis war der Ibiza-Skandal. Das ist im Vergleich zur Staatsvertragsunterzeichnung schon sehr enttäuschend.
Wie sieht Ihr Wahlsonntag aus? Gehen Sie gemeinsam wählen?
Athanasiadis: Ich gehe mit meinen Eltern wählen.
Stastnik: Ich habe schon gewählt. Das ist ja jetzt praktisch mit der Wahlkarte. Das war früher natürlich anders.
War der Wahlsonntag früher etwas Besonderes für Sie?Hat man sich schön angezogen und ist danach essen gegangen?
Stastnik: Ja, das wird so gewesen sein. Wobei: Es wurde ja kein Alkohol ausgeschenkt. Bis 1979 galt am Wahltag Alkoholausschank-Verbot.
Haben Sie je eine Wahl ausgelassen?
Stastnik: Niemals, das könnte ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren.
Glauben Sie, dass Bewusstsein für Demokratie und die Wichtigkeit von Wahlen eine Generationenfrage ist?
Stastnik: Ich glaube eher, dass das eine Erziehungsfrage ist.
Frau Athanasiadis, gehen Ihre Freunde alle wählen?
Athanasiadis: Grundsätzlich schon. Ich habe es meinen Eltern zu verdanken, dass ich mich da ganz gut auskenne. Sie haben immer schon mit mir über Politik geredet. Aber mir fällt auf, dass viele Junge gar nicht wissen, wofür die Parteien eigentlich stehen.
Warum? Geht es in der Politik zuviel um Personen und zu wenig um Inhalte?
Stastnik: Vielleicht liegt es an der Eingebildetheit der Kandidaten? Man hat beinahe den Eindruck, sie sprechen nicht für die Allgemeinheit, sondern für sich selbst. Viele Menschen wissen zwar, wen sie wählen, aber nicht was.
Woran liegt das?
Stastnik: Ich habe einen Fernsehbeitrag gesehen, in dem die Maturanten nicht wussten, wann der Staatsvertrag unterzeichnet wurde. Maturanten! Was lernen die eigentlich in der Schule?
Athanasiadis: Im Geschichtsunterricht lernen wir natürlich Zeitgeschichte, aber wir verbringen zuviel Zeit bei den Griechen und den Römern.
Stasnik: Es wäre schon wichtig, dass die heutige Jugend weiß, was in Österreich vor achtzig Jahren los war. Laura, weißt du genug darüber?
Athanasiadis: Ich schon, weil meine Eltern mir viel erzählt haben und weil es mich interessiert. Schule reicht nicht.
Frau Stastnik, wissen Sie noch, was Sie über Zeitgeschichte gelernt haben?
Stastnik: Nicht mehr genau, aber wir haben sicher nicht nur den Ersten, sondern auch den Zweiten Weltkrieg besprochen.
Frau Athanasiadis, Sie sagen, Sie sprechen mit Ihrer Familie über Politik. Wissen Sie voneinander, wer wie wählt? Streiten Sie darüber?
Athanasiadis: Ja (lacht). Es wird viel diskutiert. Auch im Freundeskreis meiner Eltern, mitunter wird auch gestritten. In meinem Freundeskreis eher nicht, da vermeidet man das Thema Politik. Auf Partys ist das ein Stimmungskiller.
Könnten Sie sich vorstellen, einen Freund zu haben, der eine andere Partei wählt?
Athanasiadis: Das könnte ich mit meinen Überzeugungen nicht vereinbaren.
Frau Stastnik, können Sie sich an die SPÖ-Politikerin Gertrude Fröhlich-Sandner und ihren Mann, den ÖVP-Politiker Josef Fröhlich erinnern?
Stastnik: Ja, natürlich, die waren ja das Paradepaar der Politik!
Athanasiadis: Früher war das bestimmt anders. Heute hat man das Gefühl, dass die Kandidaten von SPÖ und ÖVP sehr weit auseinander sind.
Stastnik: Naja, Differenzen haben sie immer gehabt. Aber vielleicht nicht ganz so extrem wie jetzt.
Ist nicht die Stimmung zwischen allen Parteien derzeit sehr hochgekocht?
Stastnik: Ja, furchtbar.
Athanasiadis: Was sehr schade ist. Denn gerade jetzt, mit der Klimakrise, wäre es so wichtig, davon zu reden, was die Parteien eigentlich vorhaben und nicht, was einzelne Kandidaten nach Feierabend machen. Das sieht man auch so deutlich bei den Fernsehdiskussionen. Ich muss erwachsenen Menschen zuschauen, wie sie einander nur beleidigen. Das ist so traurig!
Jetzt gehen die Jungen wegen des Klimawandels auf die Straße.
Athanasiadis: Und dann müssen wir uns anhören: Geht’s doch nach der Schule demonstrieren! Nur, weil wir jung sind, heißt das nicht, dass unsere Stimme weniger zählt! Es ist unsere Zukunft, über die entscheiden wird.
Werden die Jungen nicht ernst genommen?
Athanasiadis: Nicht ernst genug. Es ist meine Zukunft und ich muss mir Gedanken machen, ob ich überhaupt einmal Kinder kriegen will – weil die kriegen dann ja alles ab!
Stastnik: Aber sonst stirbt die Menschheit aus!
Athanasiadis: Deshalb sollte die Politik endlich handeln. Auch wenn wir ein kleines Land sind, sollte Österreich endlich einen Beitrag leisten.
Frau Stastnik, finden Sie, dass die Jungen übertreiben oder haben sie recht?
Stastnik: Sie haben recht.
Ist es gut, dass die Jugend auf die Barrikaden steigt?
Stastnik: Ja, vielleicht erreichen sie ja etwas.
Würden Sie mit Ihrer Enkelin demonstrieren gehen?
Stastnik: Also, wenn’s sein muss, dann geh ich mit!
Athanasiadis: Oma, ich nehm dich beim Wort!
Haben sich die Politiker früher besser benommen?
Stastnik: Ja. Wissen Sie, die Politiker sind besser miteinander umgegangen. Natürlich hatten sie verschiedene Ansichten, aber sie sind nicht so aufeinander losgegangen.
War man staatstragender?
Stastnik: Ja, auf jeden Fall.
Athanasiadis: Warum kann sich nicht jede Partei auf ihr Programm konzentrieren und die anderen in Ruhe lassen, anstatt sie anzupatzen?
Stastnik: Mich stört ja im Wahlkampf schon das Wort „Kampf“.
Sind Sie wahlkampfmüde?
Stasnik: Na, das glaub ich! Ich bin froh, wenn das vorbei ist! Egal, wie es ausgeht, der Sonntag ist auf jeden Fall ein guter Tag.
Wie begehen Sie den Wahlabend? Was machen Sie, wenn die Hochrechnungen kommen?
Athanasiadis: Ich sitze mit meinen Eltern vor dem Fernseher und schimpfe oder freue mich, jedenfalls fiebere ich mit.
Stastnik: Ich schau mir natürlich auch immer die Hochrechnungen an. Das geht heute ja alles viel schneller. Früher war da zuerst immer der Herr Doktor Bruckmann, der war als Statistiker eine Art „Hochrechner der Nation“. Das war sehr spannend. Heute hält die Spannung ja nicht mehr so lange, weil die Hochrechnungen ja meistens ziemlich genau sind.
Und danach ein Glas Wein?
Stastnik: Ja, oder zwei, je nach Ergebnis (lacht).
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