Österreichs Vollkasko-Mentalität: Der Staat wird's schon richten

Rot-weiß-rote Menschen
Die Österreicher haben im internationalen Vergleich ein besonderes Naheverhältnis zu ihrem Staat. Kaum wo ist die Sozialquote so hoch wie hier – und die Scheu vor Eigenständigkeit so groß.
Christoph Schwarz

Christoph Schwarz

Es war im Jänner 1961, als der US-amerikanische Präsident John F. Kennedy in seiner Antrittsrede den bald berühmten Appell an die Bürger richtete: „Frag nicht, was dein Land für dich tun kann. Frag, was du für dein Land tun kannst.“ Heute ist er als geflügeltes Wort Bestandteil jeder Debatte über das Verhältnis zwischen dem Staat und seinen Bürgern.

Hierzulande mag Kennedy damals ungläubiges Staunen geerntet haben. Die berühmteste Rede im Nachkriegs-Österreich, die schlug – schon 16 Jahre zuvor – ganz andere Töne an als Kennedy. Es war am Weihnachtsabend 1945, als der damalige Bundeskanzler Leopold Figl den berühmten Satz sprach: „Ich kann euch (...) nichts geben.“

Wirtschaftlich hat Österreich, damals vom Krieg gebeutelt, seither einen großen Aufschwung erlebt. Am Verhältnis zwischen Staat – konkreter: den Parteien – und Bürger hat sich wenig geändert. Der Österreicher (und die Österreicherin) fragt sein Land gerne, was es ihm geben könne. Mehr noch: Er fordert öffentliche Leistungen mit Selbstverständlichkeit ein.

Für Wolfgang Bachmayer, der als Meinungsforscher seit Jahrzehnten die (wie er es selbst nennt) „österreichische Seele“ erkundet, ist das Naheverhältnis der Österreicher zum Staat „tief in unserer DNA verwurzelt“ und geprägt von zwei Prämissen: „Der Staat diktiert – und der Staat schützt.“ Obrigkeitshörigkeit trifft auf Vollkasko-Mentalität.

Zurück in die Monarchie

Die Spurensuche führt zurück in die Monarchie, in der „die Herrschenden in höchstem Maße anerkannt waren“, wie Bachmayer sagt. Und während das Revolutionsjahr 1848 andernorts zu gesellschaftlichen Umbrüchen führte, „liegt der bürgerliche Liberalismus, der damals seine Geburtsstunde haben hätte können, hierzulande bis heute im Tiefschlaf“.

Auch, als das Land längst zur Republik geworden war, gaben die Parteien ihr Bestes, ihre Bürger von der Wiege bis zur Bahre zu versorgen. „Die staatstragenden Parteien ÖVP und SPÖ tun alles dafür, dass die Neigung zum starken Staat erhalten bleibt“, so Bachmayer. Die Tradition liberaler Parteien fehlt. „Die staatliche Umarmung beschützt und verhindert, dass der Österreicher dem rauen Wind des globalen Wettbewerbs ausgesetzt ist.“

Eine Erzählung, die einst funktioniert hat. Und die Österreich zu einem Wohlfahrtsstaat gemacht hat, der sich kaum noch finanzieren lässt: In keinem Land der Welt ist die Sozialquote (gemessen an der Wirtschaftsleistung) so hoch wie in Österreich. Der Betrag, der in Pensionen, Pflege, Gesundheit und Sozialleistungen fließt, lag (je nach Definition) 2024 bei spürbar über 30 Prozent. Vor allem Pensions- und Gesundheitswesen sind Ausgabentreiber. Die Steuer- und Abgabenlast ist dementsprechend hoch. Dennoch sind – das ergab die KURIER-Regional-Umfrage - drohende Mängel in der Gesundheitsversorgung die größte Sorge.

Politischer Aschermittwoch der FPÖ

Politischer Aschermittwoch der FPÖ

Den Österreichern den Abschied von der Rundumversorgung schmackhaft zu machen, fällt schwer: „Sie ist tief in der Mentalität verwurzelt“, sagt Bachmayer. „Eigenständigkeit ist nicht positiv belegt.“ Das zeige sich schmerzlich in der Wirtschaft: „Die Neigung zum unselbstständigen Erwerb ist im internationalen Vergleich sehr hoch. Und ist in den Krisen–Jahren weiter gestiegen.“ Erneut gilt: Bloß keine Experimente. Mit seinen unzähligen Kammern und Pflichtmitgliedschaften lebt Österreich auch hier die Selbstbeschränkung.

Und weil der, der viel bekommt, auch viel zu verlieren hat, ist letztlich auch der Neid etwas sehr Österreichisches: Während man sich selbst gerne einen kleinen Vorteil erschummelt (Schwarzarbeit etwa gilt bis heute als Kavaliersdelikt; konstant zwei Drittel sind dem „Pfusch“ in Umfragen nicht abgeneigt), wird der Verteilungskampf – von der Pension bis zur Mindestsicherung – mit viel Verve geführt.

Möge der Staat seine Österreicher weiter schützend umarmen. Und einen selbst immer ein bisschen mehr als die anderen.

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