"Österreich wird die Ärmel hochkrempeln"
Ganz im Zeichen der ersten Budgetrede von Finanzminister Hans Jörg Schelling stand am Mittwoch der Auftakt zur Plenarwoche des Nationalrats. Der Ressortchef hat das Zahlenwerk vom Ministerrat am Vormitag bereits absegnen lassen: Schelling will auch 2016 das strukturelle Nulldefizit halten und bis 2019 einen echten ausgeglichenen Haushalt zustande bringen. Dazu versprach er eine massive Entbürokratisierung und verlangte Einschnitte im Pensionsbereich. "Jeder Tag, an dem der Staat seinen Aufgaben nicht nachkommt, wird ein verlorener Tag sein", sagte Schelling am Ende seiner Rede. Dem Ministerrat ferngeblieben ist krankheitsbedingt heute übrigens Werner Faymann. Der Bundeskanzler will sich für den EU-Flüchtlingsgipfel am Donnerstag schonen, erfuhr der KURIER.
"Pflicht, reinen Wein einzuschenken"
In seinem 55-minütigen Vortrag versprach Schelling im Nationalrat eine massive Entbürokratisierung, verlangte Einschnitte im Pensionsbereich und sicherte im Gegenzug eine Abschaffung der "kalten Progression" sowie eine Lohnnebenkosten-Senkung zu. Schelling findet, dass nicht alle die "Zeichen der Zeit" erkennen würden. Auch Politiker versteckten sich hinter der Wahrheit. Dabei sei diese den Menschen zumutbar: "Ich gehe sogar so weit: Es ist unsere Pflicht, den Menschen reinen Wein einzuschenken."
Analyse: Schelling legt Budget mit Steuersenkung vor
Schelling bei Registrierkassen strikt gegen Verschiebung
Der reine Wein, von dem Schelling spricht, beinhaltet den Rückfall Österreichs in Sachen Wettbewerbsfähigkeit, dass die hohe Steuer-Last dem Standort schade sowie dass die überbordende Bürokratie den Betrieben die Luft nehme. Das deutsche Wirtschaftswachstum sei vier mal höher als das österreichische.
"Mit der Regionalliga Ost sollten wir uns nicht zufriedengeben"
So hinnehmen will der Finanzminister das nicht: "Der Standort Österreich muss wieder zurück in die Champions League. Mit der Regionalliga Ost sollten wir uns nicht zufriedengeben." Schelling meint, dass das auch gelingen wird: "Das Österreich, das ich kenne, wird die Ärmel hochkrempeln, wenn die Rahmenbedingungen passen."
Was er selbst mit dem Budget geleistet hat, findet Schelling sichtlich nicht so schlecht, gelinge mit diesem doch der erste Schritt heraus aus dem Mittelfeld. Trotz schwieriger Rahmenbedingungen mit Hypo-Folgen, schwachem Wirtschaftswachstum, Flüchtlingskrise und Kosten der Steuerreform liege man mit einem Abgang von 1,4 Prozent des BIP innerhalb der Maastricht-Grenze und halte zum dritten Mal in Serie das strukturelle Nulldefizit ein.
Er selbst hätte sich schon viel weit reichendere und schnellere Reformen gewünscht. Aber auch hier habe einmal ein erster Schritt gesetzt werden müssen, womit der Minister vor allem die "mit solider Gegenfinanzierung" versehene Steuerreform meint, die nicht nur den Bürgern mehr Geld bringe, sondern auch die "Bürokratielawine zu entflechten beginnt".
Schelling widmete Flüchtlingen ein Kapitel
Was die anstehende Bildungsreform angeht, müsse die ihren Namen verdienen. In Sachen Verwaltungsreform nimmt sich Schelling vor, die eine Hälfte der Vorschläge des Rechnungshofs bis Ende 2016 umzusetzen und die andere bis dahin zumindest in Angriff zu nehmen. Zwar redete der Finanzminister pro futuro dem klugen Sparen das Wort, doch hob er auch besonders jene Bereiche hervor, in denen mehr ausgegeben wird, etwa im Bereich Arbeit, in der Forschung oder bei der Sicherheit, der angesichts der Flüchtlingskrise ein ganzes Kapitel in der Budgetrede gewidmet wurde.
Dabei würdigte Schelling die Menschlichkeit des Landes, warb aber auch für schnellere Verfahren und konsequente Abschiebungen, wenn kein Asylgrund besteht. Betont wurde vom Minister, sich als Erster bei der Europäischen Kommission dafür eingesetzt zu haben, dass die Solidarität einzelner Länder wie Österreich nicht bestraft werden dürfe - dass also die höheren Kosten durch die Flüchtlinge beim strukturellen Defizit angerechnet werden können.
Reformbedarf im Pensionssystem
Reformbedarf nannte Schelling wieder einmal im Pensionssystem. Die Verweildauer im Ruhestand steige jährlich, während die Versicherungszeiten weniger würden: "Das kann sich rechnerisch nicht ausgehen." Eingriffe in bestehende Pensionen plant der Finanzminister freilich nicht.
Wichtig ist Schelling auch eine Neuordnung der Kompetenzen zwischen den Gebietskörperschaften: "Der Finanzausgleich in seiner heutigen Form ist undurchschaubar." Derzeit sei jeder für etwas zuständig, aber niemand für etwas verantwortlich. Hier müsse dringend aufgeräumt werden: "Es kann nicht sein, dass einer bestellt, und der andere zahlt."
Scrollen statt Blättern
Was die Opposition vom Schelling-Voranschlag hält, erfährt man erst am Donnerstag, wenn die "Erste Lesung" des Budgets auf der Tagesordnung steht. Der Mittwoch bringt nach der Budgetrede unter anderem eine Ausweitung der Studieneingangsphase an den Unis. Ferner wird es zu einer "Dringlichen Anfrage" seitens des Team Stronach oder der NEOS (zum Arbeitsmarkt) kommen.
Ungewöhnlich offen zieht Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) im KURIER-Interview Zwischenbilanz nach etwas mehr als einem Jahr im Amt. Für seine erste Budgetrede hat sich der frühere Top-Manager einen Weckruf vorgenommen. Sein Motto: Den Menschen ist die Wahrheit zumutbar. Wegen der Fünf-Milliarden-Steuerreform und einem Wirtschaftswachstum, das äußerst schleppend in die Gänge kommt, gibt es nichts zu verschenken. Bildungsreform, Pensionspaket, Finanzausgleich – die nächsten Monate werden herausfordernd. Gefragt ist die Langfristig-Perspektive, nicht Kurzfrist-Denken – oder in Schellings Worten: "Wir müssen die Dinge tatsächlich angehen und nicht nur Kosmetik betreiben."
KURIER: Herr Minister, nach acht Monaten im Amt fühlten Sie sich bereits um acht Jahre gealtert. Jetzt sind Sie rund 14 Monate Finanzminister. Ging es in dem Alterungs-Tempo weiter?
Hans Jörg Schelling:Nein, aber es herrschte schon unglaublicher Druck, speziell am Anfang, und man braucht auch extrem viel Energie, um sich in so komplexe Themen wie die Hypo rasch einzuarbeiten. Aber dann sinkt der Druck auch wieder. Irgendwann kann man von seinem Konto abheben, wenn man vorher eingezahlt hat.
Wie schaut Ihre Zwischenbilanz aus? Was gelang, was ist offen?
Für einen Unternehmer ist eine Bilanz Vergangenheit und nicht Zukunft. Ich schaue lieber in die Zukunft, aber es ist schon auch sehr viel gelungen. Grob gesagt, hatte ich zuerst vor allem mit der Steuerreform und dann vor allem mit der Hypo zu tun. Und Griechenland war zusätzlich ein enormer Stress. Ich war bei 20 internationalen Meetings, davon ging es bei 17 um Griechenland. Das hat ordentlich Substanz gekostet, fad ist uns nicht geworden.
Gelingt mit dem Budget 2016 der Befreiungsschlag aus dem Stimmungstief, in dem die Bundesregierung steckt?
Das Budget ist kein Befreiungsschlag, eher eine Zwischenetappe unter schwierigsten Rahmenbedingungen: Zusatzkosten angesichts der hohen Arbeitslosigkeit; Zusatzkosten bei den Pensionen; Zusatzkosten wegen der Flüchtlingsproblematik. Und das alles bei einem Wachstum, das nur halb so kräftig ist wie in Deutschland. Da vergisst man fast, dass auch noch eine Steuerreform mit fünf Milliarden Euro unterzubringen war. Der Budgetvollzug 2016 wird also extrem herausfordernd.
Heißt im Klartext, zu verteilen gibt es nichts.
Soll heißen, wir müssen den Konsolidierungskurs fortsetzen und brauchen Druck und Tempo bei den Reformen. Manche Kosten werden uns sonst auf den Kopf fallen, die langfristige Pensionsproblematik, Pflege oder Gesundheit. Wir müssen die Dinge tatsächlich angehen und nicht nur Kosmetik betreiben. Den Menschen ist die Wahrheit zumutbar. Die meisten wissen ohnehin, dass sich etwas ändern muss.
Apropos: Die Bildungsreform steht an. Sind Sie zuversichtlich, dass da mehr als ein Reförmchen gelingt?
Wir diskutieren leidenschaftlich gerne zuerst über die Strukturen und dann erst über Ziele und die Strategie. Wenn es wieder nur darum geht, ob Länder oder Bund für die Lehrer zuständig sind, ist die Bildungsreform gescheitert. Genauso gilt: Das Lehrerdienstrecht muss der Ausfluss und nicht der Beginn einer Bildungsreform sein.
Gingen Reformen mit der FPÖ leichter als mit der SPÖ? Stünden Sie für Schwarz-Blau zur Verfügung?
Nein, ich sehe bei der FPÖ nur Protest und das Ausländer-Thema. Damit kann man die Welt nicht verändern.
Sie wollen die Welt verändern? Ich sehe mich als Reformer, aber Reformen nicht als Selbstzweck, sondern zum Erhalt unseres Wohlstandes.
Wer sind die Bremser? Die Sozialpartner, denen Sie ein Ultimatum gestellt haben, weil sie in Sachen Arbeitsmarkt und Pensionen nichts weiter bringen?
Die Regierung arbeitet gut, ich bin mit allen in sehr gutem Einvernehmen. Ich will nicht von Bremsern reden, aber das Haupt-Handicap ist, dass es zu viele Organisationen gibt, die Teil des Problems und nicht Teil der Lösung sind. Wir unterhalten uns auch viel zu oft und viel zu viel über Nebenthemen, zum Beispiel in Wien wochenlang über die Ampel-Männchen. Oder wenn eine fix ausverhandelte und beschlossene Steuerreform an der Registrierkassa scheitern soll, dann verstehe ich die Welt nicht mehr. Die Sozialpartner bräuchten den übergeordneten Blick auf das Gesamtinteresse und nicht nur den kleinsten gemeinsamen Nenner als Richtschnur.
Was lesen Sie aus den Wahlniederlagen der ÖVP in Oberösterreich und Wien? Ist das alles der Flüchtlingsproblematik geschuldet?Ich würde lieber über Wachstum und Beschäftigung reden, dort liegen unsere Problemfelder. Aber das Flüchtlingsthema überlagert alles andere schon sehr stark. Meine Antwort sind Reformen. Klar ist, die Bevölkerung will nicht Ankündigungen hören, sondern Resultate sehen.
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